Was macht sie? Ein Beispiel:“Jason sagt nichts, und Stella schweigt ein wenig und sagt dann, ich möchte vielleicht gerne im Center an der Kasse sitzen. Ich möchte Kaffee und Crossaints verkaufen in diesem kleinen Stand da in der Mitte der Halle. Ich möchte eine Saison lang Erdbeeren pflücken. Eine Ausbildung zur Floristin machen. In der Buchhandlung aushelfen. Im Büro rumsitzen, so wie Paloma. Ich möchte vielleicht Paloma sein? Stella fällt ein, dass es riskant sein könnte, mit Jason über Ideen von einem anderen Leben zu sprechen, einen anderen Beruf. Was soll er dazu sagen? Aber er lacht jetzt, leise, und sagt, dann mach doch einfach. Nicht Paloma sein, aber alles andere- warum machst du`s es nicht einfach. Weil es nicht einfach ist, sagt Stella. Für mich jedenfalls nicht einfach. Nichts kommt mir einfach vor auf dieser Welt, außer vielleicht, für Ava das Abendbrot zuzubereiten oder die Betten neu zu beziehen oder das Geschirr ordentlich abzuwaschen.“
Mal abgesehen vom Sprachduktus, der eher nach Sendung mit der Maus als nach ernsthafter Literatur klingt und mit dem Frau Hermann ihren Figuren als naiv und leicht schwachsinnig demaskiert, ist inhaltlich ausgedrückt, worum es in den Roman anscheinend geht. Ein junges Paar, ein Kind, er, Jason, Fliesenleger, der für andere Häuser am See baut und irgendwie unglücklich dabei ist und Sie, Stella, Krankenpflegerin, die vier Patienten den ganzen Tag versorgt und den kranken Menschen in Zeitlupe beim Hinsiechen zuschauen darf, ein Kind, Ava, die den Tag im Kindergarten verbringt, wo auch die Kinder den Kopf auf den Tisch legen, weil sie in völliger ahnungsloser Larmoyanz an ihrem trögen Dasein verzweifeln, leben in einer Siedlung, in der nichts passiert. Irgendwann taucht Mister Pfister auf und belästigt Stella mit Briefen und Klingelstreichen. Das soll der Aufreger im Buch sein und dümpelt so dahin. Stella braucht lange, bis sie etwas gegen Mister Pfister unternimmt und irgendwann am Schluss reicht es allen Beteiligten und Jason haut Mister Pfister voll auf die Omme. Hätte man dem sanften eher triebgedämpften Jason gar nicht zugetraut. Stella will weg aus der Siedlung und irgendwo finden sie sich wieder und sie scheint einfach nur in einer anderen Siedlung vor sich her zu seufzen. Keine Metaebene, keine Absicht, keine Spannung. Man möchte immer etwas ändern, aber vielleicht könnte es einfach sein, aber eigentlich ist nichts einfach. Was soll das? Wo kommt es her, wo geht es hin? Einheitsgesülze von einem Durchschnittsleben, das kurz von einem unangenehm empfunden Störfaktor unterbrochen wird, um nach einem kurzen Paukenschlag wieder weiter zu machen, wo es so schön war, sich über sein Leben zu beschweren. Jede Situation wird mit endlosen Aneinanderreihungen von Objekten beschrieben und das macht es noch tröger. Beispiel“Im Wintergarten riecht es nach Erde und nassem Kies. Über dem Sofa eine orangene Decke, auf dem Tischchen davor Kinderbücher, Wachsmalstifte, eine Teekanne, auf dem Teppich ein einzelner Schuh von Ava neben einem Stapel Zeitschriften. Vom Sofa aus geht der Blick aus den Fenstern in den Garten über den Zaun hinweg auf das Feld hinaus. Das Wintergras steht noch mattgrün, es sieht aus wie ein Wasser. Der Wind scheint mit den Händen ins Gras, ins Wasser zu greifen. Die Wolken ziehen schnell.“ Das mag nach Poesie klingen und wird aber im Laufe des Buches immer aufdringlicher und naiver. Dabei macht Frau Hermann nur einen Fehler. Sie konzentriert sich zu sehr auf das Filetieren von Wörtern und hinterlässt zu viel mageres Fleisch. Vielleicht sollte man ihr sagen, das Fett manchmal auch ein guter Geschmacksträger ist. Zu meiner Überraschung fand ich einige existenzialistisch anmutende Formulierungen, die auch von Herrn Sartre hätten stammen können. Stella liest bei ihren alltäglichen Arbeiten im Haus gleichzeitig in Büchern, indem sie ein oder zwei Seiten liest, allerdings auch schnell vergisst, was sie gerade gelesen hat. Es geht beim Lesen,“um einen Widerstand. Oder um ein Widersprechen. Vielleicht geht es auch ums Verschwinden.“ Als sie Mister Pfister von ihrem Fenster aus beim Rauchen beobachtet, zerdehnt sich die Zeit zwischen ihnen. Wow! Sehr tiefsinnig, aber eigentlich nur Abklatsch. Bei Herrn Sartre waren solche Sätze aufgeladen und durchdrungen von seiner philosophischen Grundhaltung. Jeder dieser Sätze, die seltsam klangen und den Leser zusammen zucken ließen, weil sie eine Störung im Sprachfluss darstellen, hatte seinen Zweck. Bei Frau Hermann dienen sie der Ökonomisierung des Textes. Man muss sich nicht lange aufhalten, wenn sich die Zeit dehnt. Alles ist gesagt. Und das macht diesen Text für mich unerträglich. Ich frage ich andauern, was hat sich die Autorin dabei gedacht und werde aggressiv bei der Entdeckung, dass sie sich nichts dabei gedacht hat. Ich will nicht gemein sein und kann nicht beurteilen, wie Frau Hermanns Leben verläuft. Allerdings kann ich mir denken, dass sie ein Leben wie es Stella und Jason führen nicht kennt. Sie sitzt in Berlin, ohne Mann und Kind, ist fast Mitte vierzig, geht immer am Prenzlauer Berg an den Spielplätzen vorbei und ertappt sich bei dem Gedanken, dass sie das gar nicht kennt, mit den Familien, den Ehen, dem gewöhnlichen Leben, den sie war immer nur die traurige Schriftstellerin, die Preise dafür gewann, langweilig zu sein. Also schrieb sie sich ihre Not vom Leib und ermutigte die Versager ihrer Generation dazu ermutigen, zu sagen, ja Stella und Jason so ist das Leben, es könnte vielleicht eventuell besser sein, wenn man Kassiererin im Aldi ist oder Raumpflegerin und noch nicht einmal den Mindestlohn verdient, aber warum selbst was ändern, warten bis man geändert wird, weil man alt ist oder Mister Pfister vorbeischaut. Erst dann ist die Not groß genug und man muss sofort alles ändern, sprich man zieht in eine andere Siedlung. Ein Leben, was Frau Herrmann nicht kennt und doch mit ihrem Leben gleichgezogen hat. Ein durch und durch bürgerlichen Roman hat Frau Hermann geschrieben. Herr Sartre hätte daran seine Freude gehabt, um ihn wegen seiner bürgerlichen Spießigkeit zu zerreißen. Sie ist ein wenig der Idiot der Familie. Unbewusst hat sie den zögernden, zaghaften in Weltscherz versinkenden Zeitgenossen die Hand gereicht und alles nur, weil sie anscheinend sich vorher keine wirklichen Gedanken über eine Metaebene gemacht hat.