
Der Staat gegen Fritz Bauer ist unser letztes Stück in dieser Spielzeit. Damit endet dieses Jahr unser Abonnement. Wir haben den Film gesehen. Endlich mal keine schwere Kost. Denn wir kennen die Handlung und es wird keine Überraschung geben. Am heutigen Abend wird es keine komplizierten Verse, verschachtelte Handlungen oder emotionales Geplärre geben. Ideal für einen Freitagabend. Die Woche war wieder anstrengend, viele Termine, viel Arbeit, wenig Pause, die Geschehnisse der Woche haben sich zwar aufgedrängt, aber es war noch keine Zeit, sie zu reflektieren. Wir sind ausnahmsweise früh dran, reservieren uns ein Tisch und zwei Gläser Wein für die Pause. Ich lese meiner Frau einen Tweet von Micky Beisenherz vor. Es geht um die Sprache der Bild. Nur nicht nachlassen Bild, schreibt Beisenherz und meint es natürlich ironisch. Nach Heiz-Polizei und Energie-Stasi drängen sich noch weitere Wortschöpfungen mit den die Bild die Empörung über die Grünen und Robert Habeck anheizen könne. Beisenherz schlägt Worte vor wie: Fernwärme-Faschisten, Thermo-Taliban und Gebäude-Energie-Gestapo. Besonders gut hat mir das Wortkompott Jute-Junta gefallen. Wir verschlucken unser Lachen. Und dann noch die Sache mit den Klima-Klebern, da wir schon bei den Wortschöpfungen der Bild sind, die in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind. Zwei Tage zuvor gab es in Bayern und Berlin Razzien gegen Mitglieder der letzten Generation. Teile des politischen Establishments möchten gerne die jungen Aktivisten, die einfach nur wollen, dass der Staat und die Gesellschaft endlich handeln, als Kriminelle brandmarken. Angeblich haben die Politiker eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, die die Aktionen der letzten Generation nicht gutheißen, obwohl die letzte Generation weder Verfassung- noch demokratiefeindliche Ziele verfolgt, sie transparent und offen kommunizieren und sich dem gewaltlosen Widerstand verschrieben haben.
Wir diskutieren und stellen fest, dass uns die Situation sehr stark an einige Ereignisse in der bundesrepublikanische Vergangenheit erinnert: Angefangen bei der Spiegel-Affäre, den Studentenprotesten Ende der Sechziger Jahre, bis hin zu der Kriminalisierung von RAF-Sympathisanten in Siebziger Jahren und weiter gedacht, bis zur NSU und zum Aufstieg der Rechten in den letzten zehn Jahren. Immer geht es darum, dass Politiker meinen sich durch Härte profilieren zu müssen und sich als Opfer junge Aktivisten aus dem linken Politikspektrum aussuchen, während man rechte Spießgesellen schützt, deren Taten verharmlost oder sogar nachäfft.
Und schon sind wir bei Fritz Bauer: der mutige Generalstaatsanwalt jüdischer Herkunft, Atheist, Sozialist, wahrscheinlich homosexuell, in der Nazizeit verfolgt, war in den fünfziger und sechziger Jahre scheinbar einer der wenigen, die das Verharren ehemalige Nationalsozialisten in Schlüsselpositionen nicht ertragen konnten und Verbrecher wie Eichmann und Konsorten gedeckt haben.
Eine der zentralen Themen in dem Stück ist die Frage, ob Fritz Bauer sich des Landesverrates schuldig macht, wenn er dem Mossad Informationen über den Aufenthaltsort von Eichmann gibt. Fritz Bauer lebt in der ständigen Angst, kriminalisiert zu werden, entweder als Landesverräter oder Homosexueller. Er trotz standhaft allen Kollegen und Politikern, die die Vergangenheit auf sich ruhen lassen wollen. Wir wissen wie die Geschichte ausgeht. Eichmann wird in Argentinien vom Mossad einkassiert und in Israel zum Tode verurteilt und hingerichtet. Damals hat der deutsche Staat keinen Auslieferungsantrag gestellt, angeblich um die beginnende Aussöhnung mit Israel nicht zu gefährden. Eine Chance, die deutsche Vergangenheit aufzuarbeiten war damit vertan. Erst ein paar Jahre später konnte mit den von Bauer initiierten Auschwitzprozessen die Lawine losgetreten werden, die der jungen Generation zum ersten Mal vor Augen führte, in welche Verbrechen ihre Eltern direkt oder indirekt verstrickt waren. Junge Menschen begannen unbequeme Fragen zu stellen und ein paar Jahre später führte es zu den Studentenprotesten und auch hier wissen wir, wie die Geschichte ausging.
Die Aktivisten der letzten Generation mit Fritz Bauer auf eine Stufe stellen, kann nicht mein Ansinnen sein. Die Herausforderungen sind andere und auch die Vorgeschichte ist eine andere. Aber damals wie heute geht es darum, dass Politiker aus Gründen des Machterhalts oder weil sie hoffen, mit Empörung Wähler aus sich zu ziehen, keine Veränderungen zulassen und diejenigen, die nötige Veränderung anstoßen mit ungerechtfertigten Mitteln aus dem Spiel kicken wollen und dafür bereit sind, den Rechtsstaat zu missbrauchen. Hier der Landesverrat, da die kriminelle Vereinigung, schwerwiegende Straftatbestände, die für Spione und die Mafia gedacht sind und nicht für ehrenwerte Staatsanwälte und politische Aktivisten.
Ein wichtiger Satz von Fritz Bauer, der mehrmals in dem Stück fällt, lautet: Beuge dich niemals der Tyrannei.
Eine Überschrift wie in Stein gemeißelt. Standhaft zu bleiben kostet Lebenskraft und Zuversicht, im schlimmsten Fall das Leben. Es ist so schwer zu glauben, dass wir in einem demokratischen Land wie Deutschland, das dem Einzelnen die Einhaltung hoher rechtsstaatlicher Standards verspricht, auf der Hut sein müssen, damit die Tyrannei nicht wieder Teil des Tagesgeschäftes wird.
Die Inszenierung und Schauspieler waren übrigens hervorragend und es war keine leichte Kost. Im Gegenteil, ein beeindruckender und bedrückender Abend, der mich zum Nachdenken angeregt hat. So soll Theater sein, aber das habe ich an dieser Stelle schon öfter geschrieben….