Der erste und der letzte Mensch

Mein Roman drei trägt den Titel „der letzte Mensch“. Eine Reminiszenz an Albert Camus und seinem letzten Roman „der erste Mensch“. Camus kam vor der Fertigstellung des Buches 1960 bei einem Autounfall ums Leben kam und das ca. 160 Seiten lange Fragment wurde erst 1995 veröffentlicht.

 Ich bin seit meiner Jugend ein Camus-Fan. „Der Mythos von Sisyphos“ und auch „Mensch in der Revolte“ haben mein Art zu Denken maßgeblich geprägt. Ich habe die meisten seiner literarischen Werke wie „Der Fremde“, „die Pest“ usw. schon als junger Erwachsener gelesen. Der „erste Mensch“ war erschienen als meine Camus-Phase schon hinter mir lag. Bei der Konzeption von Roman drei, der die Geschichte einer sozialen Aufsteigerin, die sich bei ihrem Aufstieg korrumpiert, nachzeichnet, kam mir Camus wieder in den Sinn. Der Titel „der letzte Mensch“ ist einer der ersten Entscheidungen, die ich getroffen und auch nie wieder in Frage gestellt habe. Ich habe meinem Roman den Titel gegeben, ohne „der erste Mensch“ gelesen zu haben. Er im letzten Winter habe ich die Lektüre nachgeholt.  

 Camus schreibt über seine eigene Herkunft, seine Jugend in Algier und den Beginn seines Aufstieges, der in der Verleihung des Nobelpreises 1957 gipfelte. Camus kam aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war früh verstorben. Seine Mutter beschreibt er wenig liebevoll als einfältige, intellektuell sehr eingeschränkte Person, die kein Interesse an Dingen außerhalb ihres Blickfeldes hatte. Den Titel „der erste Mensch“ bezieht sich auf Camus Werdegang, weil er der erste Mensch in seiner Familie sein konnte, also der erste der sich ohne soziale Einschränkungen frei entfalten konnte.

 Warum also mein Titel „der letzte Mensch“? Meine Geschichte ist die Geschichte einer Regression. Johanna Sommer kommt aus einer Familie, die zerfällt, weil sie sich schnell aufgibt. Alle Menschen in ihrem Umfeld sind emotionsarm und phlegmatisch. Es wird sich nichts ändern und wenn dann zum Schlechten. Johanna versucht aus diesem Kreislauf auszubrechen, indem sie Bildung als Wettbewerb begreift und als sie endlich für ihre Anstrengungen belohnt werden soll, verändert sich die ganze Welt um sie herum. Von einem Tag auf den anderen etabliert sich eine starre Klassengesellschaft. Anstatt Widerstand zu leisten, passt sich Johanna an. Mit der Anpassung kommt der soziale Aufstieg in einer autoritären Hierarchie. Durch ihre Kindheit und Jugend geschädigt erkennt sie erst spät, dass sie mit ihrem Aufstieg sich und anderen Schaden zufügt und sie am Ende tief fallen wird. Sie kann sich nur retten, indem sie sich opfert. Am Ende, einsam und verloren in einer Eiswüste, nimmt sie ihr Schicksal an und erklärt sich zum letzten Menschen.

 Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der mich bei der Lektüre des Romans „der erste Mensch“ fasziniert hat. Das fragmentarische und unfertige des Textes gibt dem Leser ein die Möglichkeit den Schriftsteller bei der Arbeit zuzuschauen. In der mir vorliegenden Ausgabe von 1996 hat man Ungenauigkeiten belassen. Der Text wurde nicht korrigiert oder gerade gebogen. Man hat ihn sogar um die Notizen des Autors ergänzt. Als Camus starb, hatte er  anscheinend erst die Hälfte seines Textes geschrieben. In seinen Notizen, in der er die gesamte Handlung skizziert hatte, erkennt man noch die Lücken. Dem Leser fallen sofort Fehler im Plot auf. Er schreibt am Anfang von einem Geschwisterkind und zwei Sätze weiter beschreibt er ein Einzelkind usw. Während des Schreibprozesses scheint der Unterschied zwischen großen Autoren und Amateuren doch gering zu sein. Schlagen sich doch alle mit den gleichen Problemen herum….

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6 Gedanken zu “Der erste und der letzte Mensch

    • Haha, umkurven!! Ist das eine subtile Anspielung auf die Art wie Herr Camus sein An-und-Für-sich-Sein auf Erden beendet hat?
      Falls dich dein Weg doch einmal zu Camus führt, gebe ich dir gerne eine Lektüreempfehlung.

      • Naja wenn du es während der Pandemie nicht gelesen hast…wegen Seuche und Quarantäne und so… dann wird es in diesem Leben nix mehr…

      • Ich hab zu Beginn der Pandemie eine wenige Monate alte Tochter gehabt, die während der Pandemie gewachsen ist, heute ist sie 3,5 Jahre alt. Und neben Arbeit, Haushalt, Kinderbetüdeln, Kochen, Schreiben… bei schlafärmsten Nächten… bleibt wenig an Ressourcen für Lektüre. Insofern besteht da kein Kausalzusammenhang durch Ignoranz oder Desinteresse. Aber im Zweifel haben mich, wenn, andere Autoren dann noch den Tick mehr gereizt…. Bauchgefühl, Impuls. Dostojewski, Tolstoi, Flaubert, Javier Marías, James Joyce, Laurence Sterne, Jonathan Franzen, Thomas Pynchon, Julian Barnes, Elias Canetti, Dezsö Kosztolanyi, Mark Z. Danielewski…

      • Lange Liste…ich fand es eher befremdlich, dass an einigen Stellen Camus und die Pest als Lektüre empfohlen wurde, weil irgendwas mit Pest ist ja schon auch wie Corona..

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