Stillleben Deutschland III: Der Weihnachtsbaum

Weg ist er, der Weihnachtsbaum! Am 6. Januar wurde das profane Nadelgewächs seines Amtes als Weihnachtssymbol enthoben. Von seinem Schmuck befreit hat man ihn aus dem Fenster geworfen. Der 6. Januar als Ende des Weihnachtsfestes mag etwas mit Tradierung zu tun haben, aber leider verliert nicht nur der Baum aufgrund der trockenen Raumluft viele Nadeln, sondern wir verlieren langsam die Lust an allem, was man mit Weihnachten verbindet.

Den letzten Glühwein hat man getrunken, die letzte Kopfschmerztablette ist gelutscht, die mit Geschenkpapier vollgefüllte blaue Tonne wurde abgeholt, das letzte Stück Braten vom Heiligabend hat man gerade in die schwarze Tonne geworfen, es lag schwer im Kühlschrank und hätte noch schwerer in irgendeinem Magen gelegen und die alkoholgeschwängerten Nächte, in denen man sich mit seiner Verwandtschaft, die man nur einmal Jahr sieht, in den Armen gelegen hat, sind schon wieder vergessen. Man rennt wieder los, geht in Geschäfte, macht Geschäfte, hasst den Mitmenschen, ist frustriert, weil alles so ist, wie es ist und leidet an seiner Unfähigkeit, dem Leben etwas positives abzugewinnen.

Seien wir ehrlich zu uns selbst: Weihnachten ist der in jeder dunklen Jahreszeit wiedergeborene fromme Wunsch, dem Alltag zu entfliehen. Plötzlich ist der anhaltende Überfluss an Dingen und Emotionen für etwas anderes gut, als damit Profit zu erwirtschaften. Wir beschenken uns gegenseitig, essen und trinken gemeinsam, lachen und singen und sind für drei Tage frohlockende Engel der Gemütlichkeit, die ab und zu mal besoffen über einen Haufen Geschenkpapier stolpern oder rülpsend und furzend auf der Couch einschlafen.

Ein schönes Leben für drei Tage und dann geht der Stress wieder von vorne los. Weihnachten ist wie der Sommerurlaub eine systemimmanente Fluchtmöglichkeit, die uns die Gesellschaft als Ventil gelassen hat, um unsere Funktionsfähigkeit als Glied in der Kette des monströsen und kräftezehrenden Wirtschaftsbetriebes zu erhalten.

Der Pessimismus hat kurz Pause und danach kehrt er schnell wieder zurück. Vor der Krise ist nach der Krise und eigentlich ist immer Krise.

Am 6. Januar reibt man sich die Augen und merkt, alles ist so wie immer. Der arme Baum muss die Konsequenzen tragen und wird entsorgt. Und nächstes Jahr muss wieder ein anderer Baum als Weihnachtssymbol herhalten und so geht das immer weiter…..

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