Austreten – Eintreten / Teil eins

Ich habe es getan: Ich bin aus der katholischen Kirche ausgetreten. Mit einer einfachen Unterschrift auf einem Tablet habe ich meine Mitgliedschaft bei diesem Verein beendet. Ich hätte nicht erwartet, dass es mir letztendlich doch so einfach fällt.

 In meinem Umfeld gibt es einige Menschen, die keinerlei Beziehung zu einer Religionsgemeinschaft haben, andere sind einer Religionsgemeinschaft angehörig, ohne die Religion auszuüben und wiederum andere haben einen engen Bezug zu ihrer Religion.

 Ich gehöre zu keiner dieser Gruppen. Mein Verhältnis zur Religion war seit meiner Kindheit nie eindeutig, eher verschwommen, schwer zu umschreiben, voller Ambivalenzen.

 Obwohl meine Eltern wenig Bezug zur katholischen Kirche haben, bin ich katholisch erzogen worden. In der Generation meiner Eltern hatte die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion noch eine andere Bedeutung. Sie war Zeichen von Zugehörigkeit und diente viel stärker der sozialen Kontrolle. Meine Mutter ist Protestantin. Hier in Mittelhessen ist die evangelische Kirche seit Jahrhunderten die mitgliederstärkste Religionsgemeinschaft. Erst nach dem Krieg mit der Ankunft vieler Flüchtlinge aus dem Osten (Schlesier und Sudetendeutsche) bekamen die kleinen katholischen Gemeinden starken Zuwachs. In Wetzlar gibt es alleine vier katholische Kirchen, die nach dem zweiten Weltkrieg gebaut wurden (St. Markus, St. Walburgis, St. Bonifatius, St. Elisabeth). Mein Vater ist Sudetendeutscher und katholisch. Meine Eltern haben in den späten sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts geheiratet und laut der Familienlegende war die Heirat aufgrund der Herkunft meines Vaters nicht unumstritten. In der Regel stimmen Priester einer Eheschließung nur zu, wenn man verspricht, die Kinder aus der Ehe im katholischen Glauben zu erziehen. Meine Eltern hätten sich an das Versprechen nicht halten müssen. Aus irgendeinem Grunde haben sie sich verpflichtet gefühlt und so wurde ich katholisch getauft, ging ich mit acht Jahren in den Kommunionsunterricht und musste 1981 am weißen Sonntag zum ersten Mal vom Leib Christi naschen. Ich habe noch sehr deutliche Erinnerungen an diese Zeit. Erst einmal war der Kommunionsunterricht wider Erwarten sehr lehrreich. Ich hatte zum ersten Mal Kontakt mit der christlichen Lehre und den Geschichten aus dem neuen Testament. Wir hatten einmal in der Woche Unterricht bei einem Ehepaar, das bei uns in der Straße wohnte, liebevoll mit uns umging und darauf achtete, uns die Inhalte kindgerecht näher zu bringen. Ende der Siebziger Jahr war das nicht selbstverständlich, schließlich galt die katholische Kirche schon immer als konservative und rückwärtsgewandte Institution. Die Widersprüche zwischen Außenwirkung und innere Haltung erkannte ich schon früh. Die Gemeinde St. Markus war relativ jung und man hatte gerade ein neues modernes Gotteshaus errichtet. Ein schicker niedriger Bau, ohne Kirchturm und mit viel Sichtbeton. Der Priester dagegen war ein eigensinniger, distanzierter und emotionsloser Hirte, der bei der Messe mit dem Zeigefinger seine Schäfchen abzählte. Ihm war es sehr wichtig, dass ihm keines seiner Schäfchen abhandenkam. Schließlich waren die Verlockungen der Moderne zu groß. Die Schäfchen waren nicht frei von Sünde und konnten jederzeit den Versuchungen erliegen.

 Im Kommunionsunterricht lernte ich früh, dass in der christlichen Lehre der Begriff der Nächstenliebe eine zentrale Bedeutung hatte. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Jesus war ein Vorbild, selbstlos, ohne Allüren, ein einfacher Mensch, der sich um die sozial Schwachen kümmerte und selbst nur der Sohn eines Zimmermanns war. Dagegen stand der Prunk und die Hierarchie in der Amtskirche, alte Männer im Rock, die mit alten Ritualen und Dogmen die Gläubigen an die Kirche zu fesseln versuchten. Die Messe am Sonntag dauerte bis zu zweieinhalb Stunden, davon verbrachte man fast die Hälfte auf Knien und in Büßerhaltung. Die Predigt, die ganzen Sprüche und Formeln klagen hohl und unverständlich. Ich hatte die Messe als eine Veranstaltung des schlechten Gewissens erlebt. Als armer, schwacher Mensch, musste man jede Sekunde seines Lebens auf der Hut vor sich selbst sein. Daher hatte ich auch unheimlich Angst vor der ersten Beichte. Wer ein Sakrament erhält, muss vorher beichten. Ein zehnjähriger, der erklären muss, dass er unkeusche Gedanken hat, seine Eltern nicht ehrt und lügt und betrügt, wenn er die Hausaufgaben nicht macht, kann sich nicht frei fühlen und ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln.

 Die Feier meiner Erstkommunion war für mich die Hölle, ich war unsicher, fühlte mich verloren und sie endete damit, dass ich Windpocken bekam. Während meine Familie und meine Verwandten feierten, lag ich im Bett und wurde von Fieberträumen geplagt.

 Mit zwölf Jahren habe ich das nächste Sakrament erhalten: die Firmung. Wieder gab es Unterricht und in Vorbereitung zum Sakrament die obligatorische Beichte. Seit Jahren erduldete ich nun die langweiligen Messen, das falsche Pathos, die gesalbten und heiligen Bewegungsabläufe, einstudiert und einzementiert in die Ordnung einer Amtskirche, die wenig Spielraum für Abweichung zulässt. Ich hoffte mit der Firmung von der Verpflichtung, Sonntagsmessen besuchen zu müssen, befreit zu werden. Ich konnte die Messdiener, Ihr Gebimmel, ihre gewichtigen Schritte, ihre Verbeugungen, ihr stundenlanges Verharren auf den Knien und das arrogante, ausdruckslose Gesicht des Priesters, das Erheben der Hostie, das Nippen am Kelch, das unheimlich affektierte Abtupfen seiner Lippen nach dem Genuss des Blutes Christi, das Weihrauchgedöns und seine unheimlich tristen und von Phrasen durchseuchten Predigten nicht mehr länger ertragen. Ich sehnte mich nach dem Tag der Firmung, weil es meine letzte Messe sein sollte und ich bald jeden Sonntagmorgen ausschlafen konnte.

 Die Firmung war bei weitem nicht so feierlich wie die Erstkommunion. Es wurden nicht alle Verwandten vorgeladen, keine großen Geschenke verteilt und man erwartete nicht, dass wir uns in dunkle Samtanzüge oder weiße Spitzenkleidchen zwängten.

 Die Firmung wird vom Bischof vorgenommen. In unserem Falle war das Bischof Franz Kamphaus. Wetzlar gehört zum Bistum Limburg. Der Dom in Limburg an der Lahn ist vielen Menschen außerhalb Hessens bekannt, weil er bis 1992 auf der Rückseite des 1000 DM-Scheines zu sehen war. Franz Kamphaus hatte sein Amt noch nicht lange inne und viele haben ihn damals in der der Messe als sehr zugewandt und freundlich erlebt. Er schien frischen Wind in das Bistum zu bringen und die Gemeindemitglieder schienen erleichtert zu sein, dass er menschlich und nahbar wirkte. Der frische Hauch der durch den Kirchraum wehte und den Weihrauchmief vertrieb, nahmen sogar wir Firmlinge wahr.

 Trotzdem war für mich mit der Firmung die Angelegenheit erledigt. Ich wollte nichts mehr mit dieser Zwangsgemeinschaft der Christen zu tun haben.

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