Buchmesse Frankfurt – bei zweiten Mal tut es nicht mehr weh – 3. Teil

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 Frau Nefe, Frau Mayer, Herr Minkmar

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VR für Bücherwürmer

Henni und die beiden Mädchen kamen heran geeilt und liefen quasi ohne anzuhalten zum Arte-Stand. Ich schlürfte erst einmal in aller Ruhe meinen heißen Kaffee. Eigentlich war die Buchmesse hier für mich vorbei. Die meisten Veranstaltungen auf meiner Liste hatte ich verpasst. Meine Füße taten mir weh, ich hatte Hunger und war müde. Der letzte Schluck Kaffee schien besonders viel Koffein zu beinhalten. Ich raffte mich auf und fand neue Energie für den zweiten Teil des Buchmessetages. Ich irrte zum Arte-Stand. Meine Familie war schon weiter geeilt. Kurz blieb ich stehen. Ein etwas aufgeregter Moderator brüllte eine Geschichte über Theo Sarrazin heraus, die er damit endete, dass er lustvoll Theo Sarrazin als Arschloch bezeichnete. Mag ja sein, dass es ein Arschloch ist, aber muss man ihn in der Öffentlichkeit als solches bezeichnen? Die Rechten aller Prägung scheinen nicht nur das rote Tuch, sondern auch der inoffizielle braune Faden dieser Buchmesse zu sein. Ein paar Meter weiter am Dumontstand finde ich meine Familie wieder. Dort liegt der neue Hollebeque aus. Ich will das Buch anfassen und durchblättern und bemerke, dass alle Exemplare noch eingepackt sind. Entweder man will Neugierde schüren und aus dem Inhalt ein Geheimnis machen oder irgendein Praktikant hat vergessen beim Auslegen der Bücher die Folie zu entfernen.

Eigentlich wollte ich zur Leseinsel der unabhängigen Verlage, die sich in 4.1 befindet. Allerdings wird dort auch nur gebrüllt. Auf der Leseinsel versucht jemand zu erklären, wie die Rechten (brauner Faden) Werbung für sich vereinnahmen. Der Referent am Nachbarstand kann auch nur brüllend seinen Vortrag halten und so entsteht an der Leseinsel ein komisches Bild: Ein junger, schicker und schillernde Typ, der lässig und geschmeidig halb auf seinem Stuhl liegt, brüllt in sein Mikro, um den Nachbarn zu übertönen. So etwas halten meine Nerven nicht aus.

Wir denken, dass es in 4.1 nichts mehr entdecken gibt und finden im letzten Gang die Arts+-Ausstellung. Hier präsentieren sich der TASCHEN-Verlag, andere Kunstbuchverlage und Künstler. Dort finde ich einen Band über Stanley Kubricks Archiv, dass ich mir unbedingt kaufen sollte. Um die Ecke stehen in einer Reihe Kinderautomaten, kleine Autos und Motorräder. Auf den Geräten sitzen Erwachsene, die alle eine Virtual-Reality-Brille tragen. Meine beiden großen Töchter wollen in die virtuelle Welt tauschen. Sie sitzen auf den Automaten, verdrehen die Köpfe, wackeln unruhig hin und her und meine kleine Tochter winkt ins Nichts. Menschen mit VR-Brillen sehen aus wie blinde Idioten, die avantgardistische Tänze belgischer Choreographen aufführen. Meine Töchter sind ganz begeistert. Sie waren für kurze Zeit in Amsterdam und haben von einer Kracht aus das Ufer beobachtet.

Zurück in der wirklichen Realität machen wir uns auf den Weg zum Frankreich-Pavillon. Meine Frau hatte in Ebay-Kleinanzeigen ein altes Bett und unseren alten Kinderwagen verkauft. Sie hat uns versprochen, dass wir den Verkaufserlös gut investieren. Im Frankreich-Pavillon sollte es eine Brasserie geben und der Gedanke war es, dort in hoffentlich ruhiger Umgebung französische Backwaren und einen Kaffee zu genießen. Leider war da nicht viel. Es gab belegte Baguettes (z.B. mit eine Pastete von Stopfleberenten, wäh!), Suppe und Eclairs. Wir bestellten zwei Stück. Dazu gab es starken cafe américain.  Der Pavillon des Gastgeberlandes befindet sich immer in der zweiten Etage des Forums. Letztes Jahr war der Saal abgedunkelt und an der eigentlichen Fensterfront hatte man einen Blick vom niederländischen Strand auf die Nordsee imaginiert. Der Frankreich-Pavillon dagegen ist lichterfüllt. Man hat unzählige Holzregale als Wände aufgebaut und präsentiert dazwischen unzählige Themen rund um die französische Literatur. In den Regalen stellte man abertausende Bände französischer Literatur zu Verfügung, die zum Stöbern einladen sollten. Weil es zwischen den Holzregalen sehr eng war, haben wir uns hinter der Bar an der Fensterfront postiert. Jule hatte sich einen Barhocker geschnappt und etwas abseits von uns ihren Eclairs gefuttert. Ich ging auf den Balkon, um die Sonne zu genießen und auf den Platz zu schauen, der inmitten der Messehallen liegt.  Vor dem Signierzelt stapelten sich die Menschen. Dort unten in dem Signierzelt saß eine amerikanische Bestsellerautorin, um im Akkord ihre Schmachtschinken abzuzeichnen. Ich ging wieder rein und kaum hatte ich den letzten Schluck Kaffee getrunken, beauftragte mich meine Frau unseren jüngsten auf die Toilette zu bugsieren, um ihn eine neue Windel zu verpassen.  Eine Sekunde später hatte ich alle drei Kinder am Jackenzipfel hängen. Das mag in anderen Hallen kein Problem sein, weil es dort auf jeder Ebene mindestens vier oder fünf Toiletten gibt. Im Forum gibt es allerdings nur einen Aufzug und eine Toilette, die sich im Keller befindet. Es dauert gefühlt eine halbe Ewigkeit bis man diese erreicht. Als wir zurückkamen, gab es vor dem Pavillon auch eine erhebliche Menschenansammlung. Ein französischer Autor, der mir nicht bekannt war, hatte die Aufgabe seinem hauptsächlich weiblichen Publikum seinen Namen in ihre Buchexemplare zu kritzeln. Mittlerweile fand ich die Buchmesse sehr anstrengend. Insbesondere da Henni sich ein wenig in den Pavillon verloren hatte und nicht mehr rausfinden wollte. Aufgrund ihrer guten Französischkenntnisse konnte sie die ganzen Inschriften, Tafeln und Filmvorführungen verstehen. Ich dagegen war einfach ständig drei Kinder am Suchen, die mehr oder minder ziellos durch die Regalgänge irrten.

Als ich sie endlich aus dem Labyrinth heraus  an dem französischen Autor und seiner Kundschaft vorbei geführt hatte, liefen wir in die Halle 3.1. Es war schon nach vier und die Haale leerten sich allmählich. Wir schlenderten durch den Rohwolt-Stand. Es ist ein ziemliches sinnloses Unterfangen vom Verlagspersonal so etwas wie ein Lächeln zu erhalten. Das ist gelebte Arroganz der Kreativen und darin sollte man sie nur bestärken. Von weitem den neuen Roman von Daniel Kehlmann, der wie letztes Jahr eher in der Präsentation verschwindet. Man hat ja noch genug andere Bestseller.

Um siebzehn Uhr beginnt unser letzter Event. Auf dem kleinen Podium des Spiegelverlags wird das Buch der drei Journalistinnen Elke Schmitter, Christiane Grefe und Susanne Mayer „Was tun – Demokratie versteht sich nicht von selbst“ verhandelt. Frau Grefe und Frau Mayer sind vor Ort und werden von Nils Minkmar, Spiegel-Redakteur, interviewt. Die beiden Damen haben eine engagierte Haltung zur Demokratie und ihre Begeisterung für die Demokratie spornt an. Insbesondere sind sie der Kontrapunkt der Geschehnisse, die fast zur gleichen Zeit in der gleichen Messehalle ein paar Gänge weiter für Aufregung gesorgt haben. Aber davon haben wir während unseres Aufenthaltes auf der Buchmesse nichts mitbekommen. Erst auf dem Rückweg habe ich die Schlagzeile vernommen, dass Herr Höcke ein paar Meter seinen Auftritt hatte und es zum Eklat kam (hoffentlich hat er wieder erzählt, dass wir wieder alle männlicher werden müssen. Lächerlich geht’s nimmer). Frau Sargnagel hatte übrigens recht: Am nächsten Tag hat sich Herr Höcke beschwert, dass die anwesenden Sicherheitskräfte ihn nicht genügend vor den linken Aktivisten geschützt hätte. Wenn das mal keine Inszenierung als Opfer ist! Frau Mayer, eine wohl sehr erfahrene Journalistin, die sich wunderbar mit Handfläche auf dem Brustkorb echauffieren kann, hat eine Faible für Großbritannien. Sie berichtet über den Brexit und das dies der Auslöser für das Buch gewesen sei. In Großbritannien habe die rechte Boulevardpresse des Herrn Murdoch jahrelang offensiv Stimmung gegen Europa gemacht. Die Politiker sahen sich entweder gezwungen, sich dem Thema zu widmen, um die Wähler nicht zu verlieren oder sie haben die Situation schamlos ausgenutzt haben, um sich zu profilieren (Sie zielte insbesondere auf Boris Johnson ab). Sie war überrascht, wie viele Menschen in ihrem Umfeld, die ansonsten an Politik interessiert sind, das Geschehnis um den Brexit abgetan haben oder auch es gar nicht realisiert haben, was dort geschehen sei. Frau Nefe lächelte ab und zu mal in unsere Richtung und betrachtete unseren Sohn, den ich mit meinem Iphone für ein Augenblick ablenken konnte (er drückt und schiebt mit den Fingern und freut sich, wenn er nach mehrfacher Falscheingabe meines Codes mein Handy deaktiviert hat). Dann legt sie los und erzählt über ihren Anteil an dem Buch. Sie ist weitaus zurückhaltender und wirkt nur Anfangs weniger kämpferisch als Frau Mayer. In dem Buch hat sie einen Aufsatz über Parteien geschrieben. Es ging ihr darum, deutlich zu machen, dass Parteien kein Auslaufmodell sind, sondern eine wichtige Funktion innerhalb unseres bewährten parlamentarischen Systems haben und nicht das Problem die Parteien an sich sind, sondern dass diese Organisationen oft nicht wissen, wie sie Menschen für sich begeistern können. Deswegen ruft sie dazu auf, dass man sich aktiv in Parteien engagieren soll. „Suchen sie sich die Partei, mit deren Zielen sie sich am ehesten identifizieren können!“, ruft sie aus und ich denke nach. Ich könnte zu den Grünen gehen. Kann ich mich am meisten mit identifizieren. Allerdings haben die in den letzten zwei Jahren bei Brückenlauf in Wetzlar jedes Mal als Verpflegung (für eine Strecke von 2 Kilometer) Wasser in Plastikbechern verteilt und die leeren Plastikbecher lagen dann in der letzten Runde überall verteilt auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadt verteilt. Da habe ich mich wahnsinnig darüber aufgeregt. Wie kann man sich als ökologisch orientierte Partei bei einer der seltenen sichtbaren Auftritte in der Stadt mit der Verteilung von Plastikbechern profilieren wollen? Mein Sohn reicht mir mein Handy und ich muss es wieder entsperren, sonst wird er ungeduldig. Der Vortrag ist nach einer halben Stunde vorbei und wir machen uns auf dem Heimweg. Wir irren noch ein wenig durch die mittlerweile leere Halle. Viele Aussteller packen zusammen. Viele Stände sind schon nicht mehr besetzt. Meine Kinder lassen sich am Lego-Stand noch mit einem Lego-Ninja fotografieren und danach entwischen wir durch den Ausgang Ost, fahren mit dem Bus zum völlig entvölkerten Parkhaus und sind innerhalb von zehn Minuten auf der Autobahn. Meine Frau bestellt noch eine Pizza auf der Heimfahrt. Irgendwie müssen wir ja unsere Ebay-Einkommen geschickt investieren. Wir fahren in die Dämmerung und meine Frau zieht Fazit: “Naja, weiß nicht!“

Damit ist alles gesagt. Es beschreibt nicht nur unseren erschöpften Zustand, sondern auch den Zustand eines Landes, das sich politisch gerade in die falsche Richtung bewegt. Und leider wurde die Buchmesse nicht nur von einem braunen Faden umwoben, sondern man merkt, dass sich viele Autoren und Journalisten an dem Thema abarbeiten und den politischen Diskurs suchen, aber an der Lust zum Krawall und destruktiven Provokation der rechten Brandstifter verzweifeln.

So fahren wir auf der A5, hungrig und desillusioniert, in die Zukunft…bis zur nächsten Buchmesse.

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