Also blieb mir nichts anderes übrig als zum Arena-Stand zu eilen und mich für meine mittlere große Tochter Jule an die Signierschlange zu stellen. Die Autorinnen von Lotta Leben haben im Lesezelt eine Lesung bis zwölf abgehalten und sollten um zwölf am Arena-Stand ihre Signierstunde beginnen. Wie kann das bitte funktionieren? Deswegen sollte ich schon einmal einen Platz für meine Tochter sichern, die kurz nach zwölf mit einem Lotta-Leben-Band in der Hand angerannt kam. Erst dachte ich, dass ich weit hinten in der Schlange stand. Als ich mich um zehn nach zwölf umdrehte, war die Schlange ca. fünfzig Meter lang und immer noch am Wachsen. Der Publikumsdruck in Halle drei nimmt um die Mittagszeit zu. Kein Ort für Leute mit Angst vor Menschenmassen. Frau Panthamüller, die Textschreiberin des Autorenteams um Lotta-Leben blieb ganz gelassen und schrieb jedem eine Widmung ins Buch und Frau Kohl, die Illustratorin im Team, malte rund um ihre Signatur Sternchen und Katzen oder Vögel. Die armen Eltern am Ende der Reihe!!! Die Buchmesse war wohl für diese Menschen gelaufen. Es ist äußerst nett von diesen Autorinnen sich in dieser Weise mit ihren Autogrammen zu beschäftigen und gerade Frau Panthamüller hat noch das eine oder andere Wort mit den Kindern gewechselt. Allerdings wird so aus einer Signierstunde ein Signiernachmittag. Als Jule freudestrahlend ihr signiertes Buch entgegennahm, verliefen wir uns zwischen den weißen Bücherregalen auf dem Arenastand und auch ich musste mich zusammenreißen, um nicht zwischen diesen vielen Kindern mit Lottalebenbänden in den Händen klaustrophobische Angstzustände zu bekommen. Als ich meine Frau und meine beiden anderen Kinder wiederfand, eilten wir aus der Halle hinaus ins Freie.
Wir hetzten durch den Ausgang und am Eingang stapelten eine Horde schwarz gekleideter junger Menschen, die vom Sicherheitspersonal am Eintreten der Halle gehindert worden. Zuerst habe ich gedacht, die Halle sei überfüllt. Allerdings sahen diese jungen Menschen nicht wie die üblichen Buchmessenbesucher aus. Ich hatte eher den Eindruck, sie warteten auf den Einlass zu einem Heavy-Metal-Konzert. Erst später wurde mir klar, dass es sich um die Demonstranten handelte, die am Nachmittag am Stand des rechten Verlages Antaios den Auftritt von Herrn Höcke verhindern wollten.
Wir schlenderten zur Openstage. Die Autorin „die Schule der magischen Tiere“ Margit Auer kam auf die Bühne und hielt ihre Lesung ab. Meine Tochter Jule war vollkommen begeistert, während ich mich zu Tode langweilte. Ich bekam langsam Hunger und machte mich auf zu den Imbissständen, die allerdings dermaßen überlaufen waren, dass ich lieber hungrig blieb.
Während meine Frau und die Kinder bei der Lesung blieben, schlenderte ich wieder in die Halle drei an den Stand des Spiegels und wartete auf Frau Sargnagel. Ich weiß nicht viel über Frau Sargnagel, nur dass sie sich mit Gott und der Welt anlegt, insbesondere mit allen Rechten dieser Welt und dass sie das viel geliebte Bad-Girl der Literaturszene ist. Sie wurde von Stand zu Stand gereicht. Ich hätte an dem Tag mindestens dreimal die Chance gehabt, ein Interview mit ihr erleben zu dürfen. Da ich als Spiegelabonnement große Sympathien für die Spiegelleute hege und davon ausging, dass dort die intelligenteren Frage gestellt werden (Spiegel-Leser wissen mehr (ein Werbespruch, der solche Klugscheißer wie mich in ihrer Funktion als Leser besonders adeln)) hatte ich mir dieses Gespräch ausgesucht. Die Moderatorin des Spiegels eine Frau Thöne vom Spiegel-Online ist jung, noch aufgeregt und hatte deshalb ihre Startschwierigkeiten. Frau Sargnagel machte es ihr anfangs nicht leicht, denn sie schien wenig Lust zu verspüren, sich durch Fragen aus der Reserve locken zu lassen. Frau Sargnagel erinnert mich an eine Oberstufenschülerin, die oft den Unterricht schwänzt und meistens mit ihrer Clique kettenrauchend auf dem Schulhof steht und dabei möglichst wirken möchte. Diese kleine kompakte Frau sitzt in ihrem Wintermantel auf der Bühne, trägt ihre obligatorische Baskenmütze auf dem Kopf und scheint trotzdem zu frieren. Die rotgeschminkten Lippen und die weggeschminkten Ränder um die Augen können den Eindruck nicht verhindern, dass sie trotz ihrer jungen Jahre unzählige Packen Zigaretten weggeraucht und einige Kasten Bier während ihrer unzähligen durchwachten Nächte weggesoffen hat. Sie lebt und das macht sie zwischen den vielen glattgebügelten Verlagsautoren zu einer sympathischen Erscheinung. Irgendwann während des Gespräches taut sie auf und findet sich in ihrem Element als zynische Provokateurin wieder. Sie erzählt mit wienerischen Akzent von ihrem Engagement in einer Burschenschaft, die natürlich nur aus Frauen besteht und die momentan darum kämpft das Männerwahlrecht abzuschaffen. Sie grinst, bekommt Lust darauf die bürgerliche Lebensweise satirisch zu spiegeln und erzählt davon, dass in einer komplexen Welt Verunsicherung herrscht und man sich in einer solchen Burschenschaft doch aufgehoben fühlen kann. Sie wären ja auch offen für diese armen Männer, die doch auch ein Zuhause brauchen. Politisch interessant finde ich ihre Aussagen bezüglich der Rechten. Sie selbst weiß nicht, ob sie deren Aussagen lieber unkommentiert lassen solle oder durch Gegenrede sie eher aufwertet. Sicher ist sie sich nur, dass die Rechten als Opfer darstellen, als wären sie eine unterdrückte Randgruppe. Viele der Rechten hätten machtvolle Positionen und seien gesellschaftlich etabliert. Man müsse ihnen Einhalt bieten und zeigen, dass sie kein Recht zur Opferhaltung haben. Diese Meinung kann ich nur teilen und alleine schon wegen dieser Haltung hat es sich gelohnt, Frau Sargnagel zuzuhören. Meine Frau war mit den Kindern kurz da. Sie konnte mit Frau Sargnagel nichts anfangen und machte sich weiter. Sie überließ mir allerdings unseren zweieinhalbjährigen Sohn und seinen Buggy. Henri hatte natürlich auch nichts übrig für Frau Sargnagel und versuchte alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, in dem er den Buggy hin und herschob und laut vor sich her plapperte.
Nach dem Interwiev machte ich mich auf die Suche nach dem Rest meiner Familie. Wir wollten uns in der Halle 4.1 treffen. Allerdings war der Rest der Familie erst einmal in der Halle 3.2 gelandet und ich musste warten. Wenigstens hatte ich die Chance auf einen Kaffee und Ruhe, denn in der Halle 4.1 gab es ausreichend Sitzplätze und eine Saftbar, an der man für drei Euro einen einigermaßen trinkbaren Milchkaffee im Pappbecher bekam.

Frau Sargnagel beim Spiegel

Lotta Leben-Signierstunde

Massenandrang