Wieviel Leben passen in ein einziges Leben hinein?

Nachdem mich das richtige Leben wieder einmal ein halbes Jahr vom Schreiben abgehalten hat, versuche ich wieder an meine Romanidee vom Sommer 24 anzuknüpfen. Ich hatte ja großspurig ein paar Kurzgeschichten versprochen. Trotz allem war ich nicht untätig, aber zu Kurzgeschichten hat es nicht gereicht. Im Moment strukturiere ich die Geschichte, um einen Plot herauszufiltern, der mich und hoffentlich auch die Leser ansprechen wird. Dabei kommen manchmal ulkige Dinge zum Vorschein, wie z.B. der folgende nicht ganz ernst gemeinte Klappentext…obwohl er schon die wirklichen Figuren und ein Konflikt beinhaltet, der mich an der Geschichte interessiert.

Hier nun der Klappentext für den Roman: „Wieviel Leben passen in ein einziges Leben hinein?“

Die Familie Rabe ist eine scheinbar glückliche Familie. Fabian Rabe ist ein erfolgreicher Unternehmer, seine Frau Leonie eine tolle Mutter und die dreijährige Elli ein kleiner Sonnenschein. Sie leben glücklich und einträchtig in einem neuen schicken Haus am Stadtrand. Eines Tages zieht die Kinderfrau Tula Andersen zu ihnen und entdeckt hinter der Fassade der glücklichen Familie ein Geheimnis.

Fabian Rabe führt ein Doppelleben: tagsüber der eloquente Unternehmer, abends der treusorgende Vater und nachts umtriebig unterwegs, um seine Begierde freien Lauf zu lassen.

Als er alles aufs Spiel setzt und mit seiner Geliebten und seinem Geliebten ein neues hedonistisches Leben beginnen will, stellt sich ihm Tula in den Weg….was wird er tun? Wird er Tula aus dem Weg räumen und ein Leben auf der Flucht führen? Wird er reumütig zu seiner lieben Frau und seiner süßen Tochter zurückkehren? Lesen sie dieses spannende und moralisch einwandfreie Machwerk über das Glück, dass Mann nur in einer heterosexuellen gesetzlich legitimierten Ehe finden kann.

(Das KI-generierte Bild zum Klappentext ist genauso erschreckend flach wie der Klappentext…da hat die KI gut getroffen…)

Ein Autor macht sich nackig…

Mein letzter Blogeintrag ist schon wieder ein paar Wochen her und ich hatte versprochen, auf die Kurzgeschichte näher einzugehen. Entgegen der landläufigen Annahme, Autoren ließen sich nicht in die Karten schauen, ist es mir ein dringendes Anliegen, die zukünftigen Leser meiner Romane mit auf die Reise zu nehmen. Man soll wissen, wie ich ticke. In dieser Hinsicht bin ich ein sehr schlechter Autor. Und in vielerlei anderer Hinsicht wahrscheinlich auch. Ich eigne mich nicht zum Massenphänomen. Eher verschwinde ich in den dunklen und staubigen Nischen der Bedeutungslosigkeit. Niemand sollte glauben, ich hadere. Im Gegenteil: mein Unvermögen ist meine Stärke. Ich muss nicht liefern, ich muss keinen Markt befriedigen, ich muss meine Zielgruppe nicht mit billigen Tricks ködern. Und daher, liebes Publikum, feuere ich die volle Ladung meines Dilettantismus auf auch ab.

 Daher: ich weiß nicht, wie man einen Roman schreibt. Ich habe es des Öfteren getan, aber wie man seine Ideen pflegt wie ein geliebtes Haustier, um später daraus eine Geschichte zu extrahieren, ist mir dabei vollkommen verborgen geblieben. Manchmal am Ende einer Tiefschlafphase, wenn das Bewusstsein in meinen Hirnlabyrinth nach einem Ausgang sucht, überkommen mich Ideen für Geschichten. So fängt es immer an und so geht es auch immer weiter. Wenn ich bei einem Projekt feststecke, muss ich eigentlich nur dafür sorgen, dass ich gut schlafe und am nächsten Morgen Zeit zum Aufwachen habe. Dann ereilen mich die Lösungen für meine literarischen Rätsel sozusagen im Schlaf.

 Was habe ich aus den letzten Projekten gelernt: Verwurste nicht jede Aufwachidee zu einem Text. Schreib die Idee erstmal auf und entwickle sie. Bei den letzten beiden Projekten habe ich mich dermaßen verzettelt, die Geschichten zu unbeherrschbaren Monstern  aufgebläht, kam doch immer eine neue Idee dazu, die ich sofort in meinen Text einfügen musste. Die Text-Konglomerate wurden immer größer, immer undurchschaubarer und immer zusammenhangloser. Also habe ich mich bei meinem jetzigen Projekt für eine ganz andere Herangehensweise entschieden. Ich notiere in einer Kladde handschriftlich einen Plot, gerne schon detaillierter und schon zum Teil mit Ideen für ganze Kapitel. Wenn ich Seite um Seite schon produziert habe, fällt es mir schwer, etwas aufzugeben. Das Herz hängt am Text. Jeden Satz habe ich mir aus dem Hirn geprügelt und dann soll ich ganze Handlungsstränge streichen? Wenn ich in einer Kladde Ideen formuliere, habe ich noch nicht viel investiert. Ich kann den ganzen Bums immer noch ohne Verlust verkaufen…mache ich dann auch.

 In der ersten Version meines neuen Projektes, das noch keinen Titel trägt, gab es eine ellenlange und verzwickte Vorgeschichte rund um die männliche Hauptfigur. Das Drama seiner Jugend: der Vater, der die Jugendliebe des Protagonisten vergewaltigt und dann vom besten Freund der Hauptfigur eins auf den Schädel bekommt. Der Vater wird mit einem fingierten Unfall um die Ecke gebracht, die Jugendliebe und der beste Freund flüchten aus dem Heimatort..Stoff für meinen nächsten Krimi, den ich niemals schreiben werde. Falls irgendein Lokalkriminalist eine Story sucht, ich kann sie gegen ein kleines Entgelt abgeben. Ich habe den gesamten Plot in meine Kladde über die Sommerferien hinweg notiert und schon beim Schreiben meine Überforderung konstatieren müssen. Wenn ein Handlungsstrang oder ein Stoff nicht wächst, sondern wuchert, weil man mit jeder neuen Idee die Mängel zukleistern muss, sollte man schnell handeln. Ich hatte den Plot schon fast zu Ende gebracht und war schon beim Konzipieren der letzten Kapitel total genervt. Ich habe die Kladde zur Seite gelegt und mich mit der Kurzgeschichte beschäftigt. Fabian und Leonie Rabe sind die Protagonist:innen des Romans. Um Ihre Beziehung dreht sich die Geschichte. In der Kurzgeschichte stehen sie noch am Anfang Ihrer Beziehung. Sie haben sich kennengelernt und fahren zum ersten Mal miteinander in den Urlaub. Kurz vorher hatte ich selbst mit meiner Familie im Chiantital Urlaub gemacht. Ich war schon mehrfach dort und es ist für uns ein kleiner Sehnsuchtsort. Daher fiel es mir leicht, die Umgebung zu beschreiben. Aber der Ort ist vollkommen egal. Wichtig ist, dass sie noch ineinander verliebt sind und trotzdem schon erkennen müssen, dass es Reibungspunkte gibt, weil sie unterschiedliche Vorstellungen haben. Der normale Verlauf einer modernen Beziehung. Man gönnt sich die ersten Jahre ein wenig Romantik, hängt aufeinander und weiß eigentlich schon, dass der Alltag die Liebe zerstören wird. Das ist nicht schlimm, das ist der Lauf des Lebens. Sich die Liebe zu einem eigentlich fremden Menschen zu bewahren, geht nur, in dem die Beteiligten miteinander sprechen und wertschätzend und vertrauensvoll miteinander umgehen. Fabian und Leonie sprechen schon nicht mehr miteinander, sie verharren in ihren eigenen Welten und die Liebe wird höchstens verklärt, aber nicht mehr gelebt. Die nächsten Jahre werden sie viel Kraft kosten und beide werden der Meinung sein, dass sie viel zu viel in den anderen investiert haben und dabei ihre eigenen Bedürfnisse auf der Strecke geblieben sind. Das ist der Kern des Romans und jede weitere Handlungsschicht muss passgenau aufeinander aufbauen. Alles andere werde ich nicht zulassen können. Keine Ausflüge mehr zu den Monstern!

 Als ich die Geschichte geschrieben hatte, hatte ich die Namen für die Protagonist:innen gefunden und mich entschlossen, den ersten Plot zu streichen und mich wieder an die Arbeit zu machen. Bei alten Projekten hätte ich geschriebenen Text, vielleicht hunderte von Seiten, korrigieren und anpassen müssen. Kugelschreibernotizen in Papierheften haben noch keine Romanqualitäten. Mir fällt es leicht, aufbauend auf den alten Plot einen anderen Plot zu entwickeln. Ich spare Zeit und hangele mich nun von Version zu Version und zwischendurch garniere ich meine Notizen mit Kurzgeschichten zu bestimmten Begebenheiten oder Romanfiguren. Am Ende sollte der eigentliche Romantext mir nur noch aus den Fingern fließen (Wer es glaubt, ist selbst dran schuld.)

Da reitet er schon wieder…..

Vor drei Monaten habe ich an dieser Stelle von meinem Schreibprojekt berichtet. Mittlerweile habe ich in einer Kladde handschriftlich einen Plot und eine Geschichte entwickelt (Nix mehr Kühltruhe) mit dem ich ganz zufrieden bin. Um mich weiter an das Projekt heran zu tasten, werde ich kleine Szenen, Kurzgeschichten und ähnliche Formen nutzen. Anbei die erste Szene. Ich freue mich über Anmerkungen, Rückmeldungen und Hinweise und werde in einem weiteren Blogbeitrag mich auch noch einmal den Inhalt und Kontext erläutern:

Unauffällig schnurrt die Klimaanlage im Auto. Vor ein paar Sekunden umwehte Fabians schweißgeplagten Gesichtspartien noch ein angenehm kühler Luftstrom. Leonie klemmte mit ihrem kleinen Oberkörper hinter dem Lenkrad, hatte ihren Sonnenbrillenblick fest auf die enge Straße zwischen Castellina und Greve gerichtet und mit einer unauffälligen tastenden Handbewegung die Klimaanlage des FIAT heruntergeregelt. Ein Halbsatz reichte ihr aus, um ihre Entscheidung zu begründen: „Ist zuviel.“

Fabian wollte die Zweckmäßigkeit dieser Handlung mit ihr diskutieren. In der brütenden toskanischen Hochsommerhitze ohne einen kühlenden Luftstrom zu fahren, hält er für glatten Selbstmord.  Weil Leonie das Fahrzeug durch eine Serpentinenkurve steuert und die Fliehkräfte seine inneren Organe an den Rand des Abgrundes drücken, verkneift er sich einen Einwurf. Mit einem Blick auf die Weinstöcke, die in Reih und Glied den Hang hinaufwuchsen, kann er dem Brechreiz entfliehen.

Die Ordnung der Rebstöcke vermittelt Fabian Sicherheit. Er hasst die Unsicherheit. In jedem Moment kann auf dieser Straße ein Unglück passieren. Es muss nur ein anderes Fahrzeug auf ihre Spur geraten und Leonie kann nicht ausweichen. Fabian hat kein Vertrauen in Leonie, die nicht in der Lage sein wird, adäquat mit einer solchen Situation umzugehen. Für Fabian ist es von größter Bedeutung über  jeden Moment Kontrolle auszuüben. An Leonie einen Teil der Verantwortung abzugeben, betrachtet er als Liebesbeweis. Ein Liebesbeweis der ihm nur Kummer bereitet und kaum Gewinn erwirtschaftet. Der lange Anstieg der Straße endet in einer weiteren Spitzkehre. Er spürt Schweiß im Nacken. Eine Mischung aus Angst- und Hitzeschweiß. Mit seinen Fingerspitzen krallt er sich instinktiv in den Schaumstoff seiner Sitzfläche. Leonie soll sein Unwohlsein nicht bemerken, daher bemüht er sich um ein Grinsen, das nur zur Grimasse gerät und einen nach vorne gerichteten starren Blick.

Erst als die Kurve in einer langen Gerade übergeht, entkrampft Fabian und gönnt sich einen kurzen Gedankenausflug. Er und Leonie waren seit zwei Jahren ein Paar. Sie arbeiteten im gleichen Unternehmen: sie als Marketingassistentin und er als Trainee in der Geschäftsführung. Zum ersten Mal waren sie sich in einem Meeting begegnet. Irgendwas mit Marketingplanung für das nächste Jahr, eine große Runde, Vertreter der Geschäftsführung, Vertreter der Marketingabteilung, man hockte in einem Konferenzraum an einer langen Tafel aufeinander und redete sich die Zukunft schön. Leonie saß am anderen Ende des Tisches und hatte keinen einzigen Redebeitrag beigesteuert. Stundenlang war sie ihm gar nicht aufgefallen, fast als sei sie unsichtbar. Dann bat ihre Abteilungsleiterin sie nach vorne. Sie sollte das neue Costumer-Relation-Management-System erläutern, das kurz vor dem großen Rollout stand. Sie erhob sich, zog am unteren Saum ihres schwarzen Blazers und trat mit großen Schritten ihren Weg nach vorne an. Fabian war schon fast weggenickt, aber als er den geradlinigen Rhythmus ihrer Schrittfolge wahrnahm, wachte er auf.

 Leonie lächelte in die Runde und es fühlte sich an, als lächelte sie nur für ihn, als seien er und sie alleine im Raum. Ihr glattes Gesicht, die halblangen dunkelblonden glänzenden Haare, ihre junger unverbrauchter Blick aus ihren braunen Augen faszinierte ihn sofort. Ihre Art zu reden glich einem  Seidentuch in Apricot, das am offenen Fenster hing, leise im Wind hin und her wogte und die Sonnenstrahlen schimmern ließ. Durch ihr Erscheinen erstrahlte der Raum in einem rötlichen Abendleuchten und in ihm breitete sich ein warmes Gefühl des Einverständnisses aus.

 Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprach sie am Ende des Meetings an.

„Haben Sie in den nächsten Tagen noch einmal Zeit für mich? Mich interessieren einige Details zum CRM.“ Sie lächelte verschmitzt, nickte, holte ihr Handy heraus, checkte ihren Kalender.

 Seitdem waren sie unzertrennlich miteinander verbunden. Der etwas ruhige Verlauf der Strecke erlaubt es Fabian, den Blick von der Straße zu nehmen und auf Leonie zu richten. Er will die zärtliche Empfindung von damals reproduzieren. Solange ihm das immer wieder gelingt, hält die Liebe zu ihr an.  Oberhalb ihrer Lippen glitzern kleine Schweißperlen. Das warme Gefühl der Zuneigung breitete sich in ihm aus. Sie ist das wunderbarste Wesen unter der Sonne. Er hört ihre Schritte, der geradlinige Rhythmus. Tam, TaTam, Tam, TaTam. Wir sind jung und eine makellose Zukunft liegt vor uns. Er hatte mittlerweile ein eigenes Unternehmen gegründet. Es lief wahnsinnig gut. Sein Konto und der Stolz auf seine Leistungsfähigkeit platzten aus allen Nähten. Er kann für sie beide sorgen. Sie klebt an ihrem Job in der alten Firma. Wie oft hat er hier gesagt, sie kann jetzt zu Hause bleiben, sie können ein Haus bauen, eine Familie gründen, sie kann ihm den Rücken freihalten. Sie verzieht dann nur das Gesicht und wird schmallippig. Sie ist noch widerspenstig. Sie lässt sich noch nicht kontrollieren. Die letzten Zugeständnisse: Der Urlaub in einem Ferienhaus, mitten im Nirgendwo, Sie kocht für ihn kleine italienische Speisen, in der Nacht schwitzt sie, anstatt zu schlafen. Leonie geht in riesige Supermärkte einkaufen, riecht an in Plastikfolie verpackten Pecorinostücken, schnuppert an Pfirsichen, inspiziert die Etiketten der zahlreichen Olivenölsorten und packt zahllose Laibe Weißbrot in den Einkaufswagen. Sie fährt mit einem Kleinwagen durch die Toskana, erkundet Florenz, Siena, San Gigmiano, Lucca, Pisa. Sie besucht Wochenmärkte, klappert Souvenirgeschäfte ab, schaut nach Salatbesteck aus dem Holz des Olivenbaums, bestellt in Reiseführeritalienisch Gelato, Pasta und Chianti und Fabian begleitet sie, im inneren missmutig verstimmt, nach außen Interesse bekundend und wohlwollend. Sie hätten sich absoluten Luxus leisten können. Urlaub in einem teuren Ferienresort, irgendwo an einem exotischen Ort, vollklimatisiert, mit Personal, das einem alles hinterherträgt. Sie müsste nicht kochen, nicht einkaufen, nicht Autofahren, nicht herumrennen. Einfach am Privatstrand liegen und auf das blaue Meer glotzen, mit einem kalten Getränk in der Hand und wenn das leer ist, steht schon ein Kellner neben der Liege und fragt, ob man noch etwas haben möchte. Sie ist noch widerspenstig aber nicht mehr lange. Die Wärme der Zuneigung verschwindet bei dem Gedanken, dass er noch Arbeit in sie investieren muss. Fabian denkt sich das und Leonie, die hinter dem Lenkrad eingeklemmt sitzt, erstarrt zu einer halbfertigen Statue, die Fabian mit Hammer und Meißel noch bearbeiten muss. Wie ein Bildhauer will er sich das Bildnis einer Frau erschaffen, das seine Bewunderung verdient hat und für das er Anerkennung erhalten wird.

 Seitdem sie heute Morgen ihr Ferienhaus verlassen haben, hat er kein Wort mehr gesprochen. In den letzten Tagen hatten seine Redebeiträge an Dauer und Häufigkeit abgenommen. Es fühlte sich an, als habe Fabian sich ein Schweigegelübde auferlegt.  Als Leonie eben das Gebläse der Klimaanlage heruntergeregelt hatte, hatte sie mit Gegenwehr gerechnet. Aber kein einziges Wort kam über seine Lippen. Obwohl sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem schwierigen Straßenverlauf widmen muss, spürt Leonie die Anspannung, die sich in Fabian aufgebaut hat. Sie weiß nicht, was an ihm zerrt, aber es wird an einem bestimmten Punkt zu einer unangenehmen Reaktion führen. Fabian betrachtet sie von Zeit zu Zeit, sein Blick sucht ihr Blick und wenn sie sich ihm zuwendet, dreht er sich weg, so wie gerade jetzt. Er schaut angestrengt aus dem Fenster und sie kann seine Halsmuskeln zucken sehen, seine Schultern bewegen sich unmerklich auf und ab. Leonie hasst diese Spielchen. Erwachsene Männer wie Fabian, die breitbeinig im Leben stehen, mit den Fingern an ihren Hemdkragen nesteln, die Reverse ihrer dunkelblauen Jacketts mit den Fingerspitzen geraderücken und sich dafür loben, dass sie wieder einmal einen ihrer Konkurrenten besiegt haben, benehmen sich privat wie kleine zerbrechliche Porzellanfiguren, die jeden Moment vom Fenstersims heruntergestoßen werden und am Fußboden zerschellen können. Leonie spürt die Kupplung unter ihrem Fuß. Sie schaltet einen Gang zurück und schiebt den FIAT in der steilen Kurve den Hang hinauf. Sie gönnt sich einen Blick hinunter ins Tal und feiert die Aussicht und feiert ihr Leben. Sie ist auf der Suche nach solchen ungestümen unverbrauchten Momenten. Sie wird von Euphorie ergriffen. Nacheinander beginnen ihre Nervenbahnen in den Armen und an der Wirbelsäule zu glühen. Leonie spürt sich selbst, ihren Körper und ihr Verlangen nach purem Erleben.  Sie ist besessen von der Idee, die Essenz der Dinge, die sie umgeben, körperlich zu erfahren. Sie muss herausfinden, ob es für sie selbst eine Bestimmung gibt, ob ihr Leben ein Sinn hat. Sie zelebriert das Leben, indem sie jedem Schluck Cappucino nachspürt, am Weinglas schnüffelt, bevor sie trinkt und dann den Chianti im Mund zergehen lässt, das Gelato auf der Zunge belässt, bis sie die verschiedenen Fruchtaromen erfasst hat, Pecorino beschnuppert, Brot abtastet, Ölivenöl beim Emulgieren mit dem Balsamico beobachtet. Das Kleid der verschiedenen Grüntöne, in die das Chiantital gehüllt ist, zu benennen, solche verrückten Sachen muss sie einfach machen. Sie schaut wieder auf die Straße und nimmt sich vor die Grüntöne, wenn Fabian nicht in der Nähe ist, leise vor sich herzusagen. Smaragdgrün, Froschgrün, Salbeigrün, Minzgrün, Absinthgrün, Waldmeistergrün, Ampelgrün. Die Beziehung zu Fabian gibt ihrem Leben einen Rahmen, eine Struktur. Bevor sie sich kennengelernt hatten, irrte sie ziellos durch den Garten der Möglichkeiten. Ihr fiel es nicht schwer, ein Studium zu absolvieren, einen Job zu finden, sich in der Firma zu etablieren, aber sie empfand dabei keine Befriedigung. Allerdings hatte sie auch keine Ahnung welchen Weg sie beschreiten müsste, um Zufriedenheit empfinden zu können. Mit Fabian kam ein Plan in ihr Leben. Er war Erfolgsenthusiast. Die Dinge, die er anpackte, begriff er als Wettbewerb und er wollte immer der Sieger sein. Er eroberte sie und seine Geradlinigkeit und seine Leidenschaft für Erfolg imponierten ihr. Nach zwei Jahren hat sich ihre Bewunderung etwas verbraucht. Daher ist es ihr so wichtig, ihre Eindrücke mit ihm zu teilen. Denn sie hofft, dass er mit seinem üblichen Enthusiasmus reagiert. Der ruhige Verlauf der Straße erlaubt es Leonie, ihn noch einmal anzuschauen. Ihre Blicke trafen sich. Sie bemerkte seine sanftmütigen salbeigrünen Augen oder waren sie eher seladongrün?  „Schön Landschaft, findest du nicht?“ Er schnaufte  angestrengt.

„Ja, schon. Kannst du trotzdem die Klimaanlage wieder höher drehen?“

Frankfurter Buchmesse 2023

Nach einigen Besuchen auf der Buchmesse in Frankfurt kann uns nichts mehr erschüttern und aus der Ruhe bringen. Der Tag fängt immer mit einem überfüllten Zug an. Eine Horde Fußballfans, die sich in Gießen in den Wagen quetschen, vormittags Flaschenbier konsumieren und im dichten Gedränge an ihren Verdampfern ziehen, gehören dazu. Genauso wie die unscheinbare Frau, die morgens um halb zehn genüsslich mit der Gabel in einem kalten Potpourri aus Kartoffeln und Zwiebeln herumstochert, das sie in einem Blechbehältnis seit Tagen gären lässt. Der scharfe Geruch der Zwiebeln steigt mir in die Nase und ich halte ihn stoisch aus. Daneben sitzt die Armada junger Frauen, die sich an ihren New Adult Schinken festhalten und keinen Zentimeter weichen wollen, wenn man im Gang um ein wenig Platz bettelt. Hinter mir piksen mich die selbst gebastelten Schwerter der als Anime-Figuren verkleideten Cosplayer in den Rücken und eine hysterische Person beschwert sich lautstark über den Platzmangel im Gang.  Beim Ausstieg am Zielbahnhof versperren uns alte Herren in verbeulten Anzügen, die seit vierzig Jahren nicht gereinigt wurden, den Weg, weil sie mit ihren verbeulten Lederkoffern in der Hand den Bahnsteig gemächlich entlangtrotten wollen.  Aber das ist ja nur der Anfang. Spätestens wenn man gegen Mittag in Halle 3.0 versucht von einem Ende zum anderen Ende der Halle zu kommen und sich fragt, wo die ganzen Menschen plötzlich herkommen, man 13000 Schritte gelaufen ist, vier Stunden gestanden hat, drei bis vier matschige Wurstbrötchen, die man von zu Hause mitgebracht hat, verschlungen hat, weil man sich das Anstehen an den Ständen und die Mondpreise für das Messeessen ersparen will, man mindestens einmal in Panik gerät, weil man seinen achtjährige Sohn nicht mehr findet, er nach einer aufwendigen Suchaktion an irgendeinem Stand am anderen Ende der Halle wieder auftaucht und so tut als sei nichts gewesen, um dann doch in Tränen auszubrechen, weiß man, dass man auf der Buchmesse in Frankfurt ist.    

Und trotz alledem passieren wir gutgelaunt um 9.45 die Zutrittsschleuse und bewegen uns flott über die langen Gänge, die die Messehallen verbinden, auf die Halle 3.1 und den Stand der Süddeutschen Zeitung zu. Die Hallen sind noch leer und wir bekommen einen guten Platz neben der Bühne. Zwei Minuten später drängelt sich Frau Föderl-Schmid, stellvertretende Chefredakteurin der SZ und Deborah Feldmann an uns vorbei, um auf der Bühne ihre Plätze einzunehmen.

Nur am Rande des Interviews geht es um Frau Feldmanns neues Buch „Judenfetisch“ (ISBN 978-3-630-87751-8, Luchterhand).  Frau Förderl-Schmidt, die selbst in Israel gelebt hat, lenkt das Gespräch schnell auf die aktuelle Situation in Israel. Deborah Feldmann ist ergriffen von den Geschehnissen. Sie sucht nach den richtigen Worten und versucht sehr stark zu differenzieren. Man merkt ihr an, dass sie ihre Perspektive vermitteln will, ohne ihre Meinung den Zuhörer aufzudrängen. Mittendrin appelliert sie an die Zuhörer und fordert sie auf, sich mehrere Meinungen zu dem Thema anzuhören und sich selbst ein Bild zu machen, weil sie selbst befangen ist.

Wenn sie von Hoffnungslosigkeit spricht, glaubt man ihr, dass es aus ihrer Sicht nun keine Chance mehr auf ein friedliches Zusammenleben in der Region gibt und sie spart nicht mit Kritik an der israelischen Politik, die sich in den letzten Jahren von den Ideen des linken Zionismus entfernt hat und sich immer mehr dem biblischen Zionismus zugewandt hat, der kein Raum für Frieden lässt. Sie kritisiert aber auch die deutsche Politik, die sich hinter den Floskeln der Solidarität zu Israel versteckt und keine Taten folgen lässt. Niemand scheint anzuerkennen, dass  Israels Sicherheit nur durch Frieden und Verständigung gesichert werden kann.

Zum Schluss erzählt sie über eine Familie aus einem Kibbuz, die einen Angriff überlebt haben und die vorher jahrelang Kindern aus dem Gazastreifen geholfen hat und nun nicht mehr helfen will. Plötzlich hält Deborah Feldmann inne und es überkommen Trauer und Schmerz. In dem Moment schnürt sich mir der Hals zu. Dieser Konflikt ist so vielschichtig und unbegreiflich für uns und als wir den Stand verlassen, fällt es uns schwer, einfach weiter zu gehen. Im Laufe des Tages kommen wir immer wieder auf das Thema zurück, sprechen in den Pausen darüber und sind uns einig, dass Deborah Feldmann mit ihrer persönlichen und emotionalen Analyse uns die schwierige Situation erhellt hat. 

Nach einer Verschnaufpause gehe ich zum Stand der F.A.Z. um Daniel Kehlmann zu lauschen, der im Gespräch mit Sandra Kegel (Ressortleiterin Feuilleton der FAZ) seinen neuen Roman über den Stummfilmregisseur G.W. Pabst vorstellt. Ich sehe Herrn Kehlmann zum ersten Mal live und Frau Kegel stellt ihn als einer der freundlichsten deutschen Schriftsteller vor. Er wirkt äußerlich nicht wie der Star der deutschen Literaturszene, er könnte glatt als Verwaltungsfachangestellter oder Gymnasiallehrer durchgehen. Er gibt gerne Auskunft zu der Entstehung seines neuen Romans „Lichtspiel“(978-3-498-00387-6, Rohwohlt), der sich um den Stummfilmregisseur G.W. Pabst dreht. Für Kehlmann war die Figur G.W. Pabst interessant, weil er erst nach Hollywood emigriert war, um nach ein paar Misserfolgen nach Österreich zurückzukehren. Pabst hatte den Ruf ein „roter“ Regisseur zu sein, seine frühen Filme waren sehr sozialkritisch. Er stand ideologisch den Nationalsozialsten nie nahe, hatte aber im dritten Reich im Auftrag des Propagandaministeriums  weiter Filme gedreht. Pabst hat den modernen Filmschnitt mitentwickelt und Kehlmann hat neben der Geschichte der Reimmigration die Übersetzung des filmischen Schnittes in Literatur gereizt. Zudem gab es genug Lücken in der Biographie des Regisseurs, die Kehlmann genutzt hat, um sie literarisch auszufüllen. Das Ganze hat er mit fantastischen und surrealen Elementen angedickt.  Das sind alles typische Ingredienzen, die man aus seinen Romanen kennt und zu schätzen weiß. Das Buch werde ich mir auf jeden Fall kaufen. Nach zwanzig Minuten ist der Spaß vorbei und meine Beine zeigten erste Ermüdungserscheinungen.

Die nächste Stehparty folgt sofort. Schlangestehen im Congress-Zentrum, um Cornelia Funke zu sehen. Die Veranstaltung war hoffnungslos überlaufen und man kam noch nicht mal in Sichtweite des Eingangs zum Saal.  Also taumeln wir durch diverse Hallen und landen am Stand von BookTok: Die Plattform bringt viele junge Leser zurück zum angestaubten Medium Buch. Den jungen Lesern ist es auf einmal wieder wichtig, ein Buch als haptisches Produkt zu besitzen.  Und doch ist es wie immer: es gibt viele ältere Menschen, die jungen Menschen vorwerfen, dass sie ihr Zeit nur noch am Handy verbringen und keine Bücher mehr lesen (seltsamerweise kommt der Vorwurf oft von Menschen, die selbst keine Bücher mehr lesen) und wenn sie dann an ihrem Handy Bücher für sich entdecken und daraus auch neue Literatur entsteht, ist es auch nicht richtig. Es ist der ewige Generationenkonflikt, den meistens die jungen Menschen für sich entscheiden. BookTok nimmt auf jeden Fall eine große Fläche in einer Halle ein. Dort kann man an einem Glücksrad ein Buch gewinnen. Die Schlange vor diesem Rad scheint durch die ganze Halle zu reichen. Meine Frau und Meine Tochter stehen vierzig Minuten an. Meine Tochter darf endlich drehen und wie der Zufall es will, kommt das Glücksrad an der richtigen Stelle zum Stehen.  Sie wollte sich „22 Bahnen“ (ISBN 978-3-8321-6803-2, DUMONT) von Corinna Wahl aussuchen, aber der BookTok-Aufpasser hat den Gewinn nicht anerkannt. Er hat wohl nicht richtig hingeschaut und es gab nur eine Stofftasche von TikTok. Wir wittern Betrug und wollen die Chinesen verklagen…Hilft ja nix..

Wir sind zurück in Halle 3.0 in der mittlerweile die Hölle ausgebrochen ist. Es ist erstaunlich wie viele junge Menschen sich dort herumtreiben und ihre Liebe zum totgesagten Medium Buch kundtun. Sogar am Reclamstand, an dem ich in den letzten Jahren einige schöne Bücher gefunden habe, ist die Schlange an der Kasse lang. Vor mir stehen nur junge Damen, die mit gelben Heften bepackt, schüchtern ihre Geldbeutel zücken. Ich bin meiner Tradition treu geblieben und kaufe bei Reclam „Sound of Rebellion“ von Peter Kemper(978-3-15-011324-0) , ein Buch über die politische Ästhetik des Jazz für 38 EUR und zwei rote Bücher mit italienischen Liedern und Sprichwörtern.

Ich wechsle wieder in Halle 3.1 und muss Umwege in Kauf nehmen, weil Ordner die Menschenströme zu lenken versuchen und einen nicht mehr überall durchlassen. Neben den F.A.Z.-Stand hat sich der Katapult-Verlag breit gemacht. Letztes Jahr war der Verlag noch eine frische und interessante Erscheinung am Verlagshimmel. Nun ist er pleite. Auch dieser Umstand wird mit widerborstigem Humor zu Schau gestellt. Letztes Jahr hatte ich das Buch über PhilosophInnen mit einem Alkoholproblem an dieser Stelle empfohlen, aber nicht gekauft. Kurz habe ich überlegt, ob ich das Buch jetzt kaufe, bevor der Verlag endgültig pleite ist und man das Buch nicht mehr bekommt. Die Tatsache, dass es noch einen zweiten Teil gibt (Die Kaputten, s.u.), hat mir die Entscheidung noch schwerer gemacht. Ich hatte aber bei Reclam mein Buchbudget schon überschritten und mich gegen den Erwerb der Bücher entschieden.

Während ich am SZ auf Terezia Mora warte, die gleich ihr neues Buch „Muna“ (ISBN 978-3-630-87496-8, Lucherhand) vorstellen wird, starre ich auf meinen Handybildschirm und spüre meinen Schmerzen in den Oberschenkeln und Waden nach. Das Stehen kostet mich Kraft. Plötzlich schiebt mich jemand zur Seite. „Können Sie mal Platz machen?“ Die Redakteurin, die Frau Mora gleich interviewen wird, geleitet Frau Mora durch die Menge. Als nächstes sehe ich die Rückseite der Autorin, die ihren Körper in Richtung Publikum dreht und das Vorgehen der Redakteurin kommentiert.

„Ja stimmt, man kann ja die Menschen auch mal fragen, ob sie Platz machen.“

Ich sehe Frau Mora zum zweiten Mal auf einer Buchmesse und wie beim letzten Mal bietet sie einen kurzweiligen und tiefsinnigen Einblick in die Entstehungsgeschichte ihres neuen Romans. Frau Mora berichtet über Schreibkrisen, die ihre Agentin noch befeuerte, in dem sie für die Autorin einen Vertrag über drei Romane abgeschlossen hatte. Frau Mora hatte keinerlei Idee für neue Bücher. Die Agentin empfahl ihr einfach abzuwarten, da sich ja die Ideen von selbst ergeben werden. Bald hatte Frau Mora die Idee, eine Trilogie über Frauen zu schreiben. Zum ersten Mal hatte sie in einem Roman die Geschichte aus Sicht einer Frau erzählt. Die Tatsache scheint sogar Frau Mora zu erstaunen. Muna ist eine patente und starke Frau, die sich einem Mann hingibt, der kalt und unnahbar scheint. Sie begibt sich in eine toxische Beziehung, die ihr Leben von nun an bestimmt. Frau Mora unternimmt den Versuch, zu ergründen, warum Frauen freiwillig in solche Abhängigkeiten begeben und sinniert auskunftsfreudig über ihre Gedanken zu dem Thema. Nachdem ich alle drei Romane der Darius-Kopp-Trilogie gelesen habe, werde ich auch diesen Roman und alle weiteren Romane der neuen Trilogie lesen.

Ich war mir nicht sicher, ob ich im Anschluss Bov Bjerg am SZ-Stand zuhören sollte. Ich ging davon aus, dass meine Beine nach einer weiteren dreiviertel Stunde unbewegten Stehens dann endgültig zu Schmerzsäulen erstarren. Obwohl ich den Autor gerne mal live erlebt hätte, weil ich seinen Roman „Serpentinen“ damals verschlungen habe und die Beschreibung seines neuen Buches „Der Vorweiner“ echt schräg und skurill klingt, hat er sich doch diesmal an eine Dystopie gewagt, lasse ich das Gespräch am SZ-Stand aus und vereinige mich wieder mit meiner Frau und den Kindern, um im zweiten Stock des Forums den Pavillon des Gastlandes Slowenien zu besuchen. Ich sehe nicht viel von Slowenien, weil ich mich sofort auf einen Hocker fallen und mich von meiner Frau mit Zartbitterschokolade füttern lasse, die von netten Slowenen kostenlos an Besucher verteilt werden.

Im Erdgeschoß des Forums laufen wie immer ohne Unterbrechungen Podiumsdiskussionen und Interviews von ARD, ZDF und 3Sat. Als wir aus Slowenien zurückkommen, reden Isabel Schayani, Sineb el Masrar, Jagoda Marinic gerade über das allgegenwärtige Thema, Migration und Integration.  Dazu muss ich nicht viel sagen, denn man kann sich alle Gespräche in den Mediatheken anschauen.

Es folgt ein absoluter Themenbruch: Otto Waalkes betritt gemeinsam mit Bärbel Schäfer die Bühne, deren dunkle Vergangenheit als Moderatorin eine Thrash-Talkshow im Privatfernsehn fast genauso wenig wie der altbackene Humor von Otto Waalkes zu ertragen ist. Aber Irgendwie haben sich beide  in die Gegenwart gerettet und scheinen nun geläutert zu sein.

 Auch Otto hat ein neues Buch veröffentlicht, in dem er 75 große Meisterwerke der Kunstgeschichte den Ottifanten untergejubelt hat. Meine Tochter fragte mich, ob das der Kerl mit den schwulen Schlümpfen sei? Eine Freundin von ihr stünde total auf Otto. Äh? Schwule Schlümpfe? Stimmt, da war was….Ja, das ist er! Otto kann man ja total blöd finden. In meiner Kindheit war er schon das Maß für bitterbösen Humor, auch wenn er immer kalauernd und blödsinnig daher kam. Was ich an Otto noch nie leiden konnte: Es gibt ihn in der Öffentlichkeit nur als seine eigene Kunstfigur und ich war positiv überrascht, dass er für seine Verhältnisse sehr ernst über sein Buch gesprochen hat. Aber das kann man sich auch in der ZDF-Mediathek anschauen.

Am späten Nachmittag ist in Halle 3.0 mittlerweile Ruhe eingekehrt. Der große Andrang ist vorbei. Für meine Frau und die Kinder ergibt sich die letzte Chance zum Bücherkauf. Für meinen Sohn musste es ein Fußballbuch sein. Meine Tochter holte sich, nachdem man ihr den Gewinn des Buches am Booktok-Stand verwehrt hatte, „22 Bahnen“ von Caroline Wahl bei Dumont. Meine Frau hat den Roman von Deborah Feldmann bei Penguin Random House gefunden und gekauft.  

Als letzte Veranstaltung haben wir uns im Forum noch das Interview von Cornelia Funke mit Bärbel Schäfer als Rausschmeißer gegeben. Frau Funke hat lange in der USA gelebt, ist jetzt in die Toskana gezogen und nach sechzehn Jahren zum ersten Mal auf der Buchmesse. Ich kann nicht behaupten, dass ich sie vermisst habe. Ich finde sie als Person wie als Autorin total überbewertet. Ich kann ältere Frauen nicht ausstehen, die so tun als seien sie innerlich Kinder geblieben. Auch wenn sie über irgendwelche aktuellen Themen spricht, klingt sie leicht naiv. Aber das ist meine subjektive Meinung und wer sie nicht teilt, ist herzlich willkommen.

Genervt von Frau Funke und meinen Beinschmerzen nahm ich gerne den Vorschlag meiner Frau an, sich zu beeilen, um noch den übernächsten Zug nach Hause zu bekommen. Der Zug war leer und wir bekamen alle einen Sitzplatz. Ich atmete einmal tief durch und biss in meine Ditsch-Brezel. Wieder einmal haben wir eine Buchmesse entspannt hinter uns gelassen.

Talentfreier Autor sucht Talent

Wenn Amateure sich der Öffentlichkeit stellen, um die Ergebnisse ihres kreativen Prozesses zu präsentieren, kann es zu einem jähen Erwachen kommen. Für meinen Roman „der ewige Kreislauf“, dessen Überarbeitung ich mehrfach in meinem Blog zum Thema gemacht habe, hatte ich im Frühjahr Testleser gesucht. Da ich bei meinem letzten Romanprojekt mich in eine Sackgasse geschrieben hatte, suchte ich nach Inspiration und Auswegen.
Selbstreflektion stiftet Verwirrung. Profis werden an der Überwindung der Verwirrung wachsen. Amateure kämpfen jedes Mal erneut um ihre Daseinsberechtigung.
Eine Strategie des Amateurs ist es, einfach so zu tun, als sei er ein begnadeter Autor. Er überspielt seine Unsicherheit oft mit einer überheblichen Arroganz. Er berichtet in hymnischen Euphemismen von seinem besten Buch, das er nun bei Amazon für 5,99 EUR veröffentlicht hat. Liest man die erste Seite des vom Autor angepriesenen Werkes, stolpert man sofort über Rechtsschreib- und Logikfehler. Der Autor degradiert sich selbst zum Hochstapler.
So wollte ich nie sein. Wahrscheinlich schreibe ich deshalb einen Blog, in denen ich allzu gerne meine mittelmäßigen Fähigkeiten zur Schau stelle. Vielleicht auch eine Art der Kompensation….
Also habe ich es mir selbst gegeben, TestleserInnen gesucht und drei Personen gefunden. Ich hatte schon bei der Ausschreibung ein schlechtes Gefühl. Insgeheim suchte ich die Bestätigung für meine eigene Einschätzung, die ich vor mir gern selbst geheim gehalten habe. Eigentlich war es eindeutig: Für den ewigen Kreislauf werde ich niemals den Nobelpreis für Literatur erhalten. (Ich gebe es zu: jeden Oktober sitze ich immer in der Nähe unseres Festnetzapparates…wenn die Schweden sich vielleicht mal verwählen!)
Das Urteil der TestleserInnen war vernichtend. Es gab viel Kritik und wenig Lob und natürlich könnte ich jetzt behaupten, dass die Testleser keine Ahnung haben und mich mit ihnen streiten. Machen viele Dilettanten nur zu gerne: Sie verschwenden ihre Zeit mit einen Disput, der nur ihre Leberwurstigkeit offenbart.
Natürlich werden die TestleserInnen in ihrem Urteil durch den eigenen Geschmack beeinflusst, der manchmal sehr tendenziös sein kann. Jemand, der gerne Krimis liest und sich nur in diesem Genre bewegt, wird mit einem tiefgründigen und verschrobenen Text im Stile eines Thomas Bernhard nichts anfangen können (das heißt jetzt nicht, dass ich mit meinem Roman in diese Kerbe hauen wollte. Das wäre auch nichts geworden. Wahrscheinlich hätte ich mir dabei einen Finger abgehackt.)
Daher ist es immer gut, wenn mehrere Testleser das Werk begutachten. Es hilft dem Autor, den Eigengeschmack des Lesers aus dem Urteil herauszufiltern und sich auf die Gemeinsamkeiten der einzelnen Gutachten zu konzentrieren. Wenn zwei oder drei Leser die gleichen Themen ansprechen, bemängeln oder auch gut finden, gibt es dem Autor eine gewisse Sicherheit und die Möglichkeit an den Stärken weiter zu arbeiten und die Schwächen auszumerzen.
Ich bin als Autor auf die Ehrlichkeit der Testleser angewiesen. Die Neigung zu Gefälligkeitsurteilen ist sehr menschlich. Man will ja nicht auf jemanden draufhauen, der sich anscheinend viel Mühe gegeben hat. Bei Testlesern aus dem eigenen Freundeskreis habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Oft erlebt man das Hinauszögern der Lektüre, ständiges Herausreden oder plakative Aussagen. Man will ja die Freundschaft nicht gefährden.
„Toller Roman! Klasse Text! Knüller!“
„Was hat dir besonders gut gefallen?“
„Äh, die Handlung.“
„Gell, dass Ende ist sehr gut.“
„Äh, ja natürlich.“
Spätestens bei solchen Aussagen weiß der Autor, dass der Freund oder die Freundin, das Manuskript nur mit der Kneifzange angefasst hat und zwar um es in den Mülleimer zu werfen.
Hier treffen unausgesprochene Befürchtungen und Eitelkeiten aufeinander, die man mit Ehrlichkeit und Offenheit leicht aus der Welt schaffen könnte.
Ich wollte ein ehrliches Urteil und habe es erhalten. Für ein paar Minuten fühlte ich mich in der Sackgasse, in der ich mich schon befand, an die Wand gedrückt. Ich holte tief Luft und hatte das Gefühl, in einer anderen Welt aufzuwachen.
Nachdem ich die schlechten Nachrichten verdaut hatte, führte ich ein langes Gespräch mit meiner Frau. Meine schärfste Kritikerin ist nun einmal mein Guru, mein Krafttier, mein Buddha, Marjorie, die allwissende Müllhalde und die Mutter dreier meiner Kinder in einer Person.
Nachdem sie die Urteile der anderen Testleser mit einem stillen Nicken bestätigte, stellte ich ihr die Fragen aller Fragen:
„Soll ich weiter schreiben? Das bringt doch nichts?“
Sie antwortete weise und klar:
„Viele Leute machen ganz andere Dinge, die nichts bringen und nennen es Hobby. Wenn es dir Spaß und Freude bereitet, schreib weiter.“
Wahrscheinlich sind wir im kapitalistischen Sinne viel zu sehr darauf aus, ein sichtbares Ergebnis zu erzielen. Bücher müssen verlegt werden, verkauft werden und auf Bestsellerlisten landen. Wir schöpfen nicht unsere kreativen Möglichkeiten aus, wenn wir in Ertragskategorien denken.
Ich habe nur kurz nachgedacht und für mich festgestellt, dass ich auch ohne Leser einfach Freude daran habe, in der Sonne an meinem Platz im Garten zu sitzen und an langen Texten zu feilen. Resonanz zu bekommen, egal in welcher Form, hält mein Schreibprozess am Laufen. Also habe ich mich hingesetzt und überlegt, was ich aus der Kritik meiner Testleser für das nächste Projekt mitnehmen kann und habe eine Liste mit Hinweisen notiert, die ich von nun an immer beim Schreiben im Blick haben möchte:

  1. Nicht so viel in eine Geschichte reinpacken. Weniger ist mehr.
  2. Die Glaubwürdigkeit meiner Figuren und ihrer Handlungen im Blick haben.
  3. Der Anfang einer Geschichte muss zum Weiterlesen animieren.
  4. Gute und echte Dialoge und keine indirekte Rede verwenden.
  5. Weniger Adjektive.
  6. Meine Figuren wollen von mir geliebt werden.
  7. Ich hole mir in einem früheren Stadium des Schreibprozesses eine zweite Meinung.

Und so mache ich weiter, bis mir das Talent doch noch auf die Füße fällt (Autsch!)

Der erste und der letzte Mensch

Mein Roman drei trägt den Titel „der letzte Mensch“. Eine Reminiszenz an Albert Camus und seinem letzten Roman „der erste Mensch“. Camus kam vor der Fertigstellung des Buches 1960 bei einem Autounfall ums Leben kam und das ca. 160 Seiten lange Fragment wurde erst 1995 veröffentlicht.

 Ich bin seit meiner Jugend ein Camus-Fan. „Der Mythos von Sisyphos“ und auch „Mensch in der Revolte“ haben mein Art zu Denken maßgeblich geprägt. Ich habe die meisten seiner literarischen Werke wie „Der Fremde“, „die Pest“ usw. schon als junger Erwachsener gelesen. Der „erste Mensch“ war erschienen als meine Camus-Phase schon hinter mir lag. Bei der Konzeption von Roman drei, der die Geschichte einer sozialen Aufsteigerin, die sich bei ihrem Aufstieg korrumpiert, nachzeichnet, kam mir Camus wieder in den Sinn. Der Titel „der letzte Mensch“ ist einer der ersten Entscheidungen, die ich getroffen und auch nie wieder in Frage gestellt habe. Ich habe meinem Roman den Titel gegeben, ohne „der erste Mensch“ gelesen zu haben. Er im letzten Winter habe ich die Lektüre nachgeholt.  

 Camus schreibt über seine eigene Herkunft, seine Jugend in Algier und den Beginn seines Aufstieges, der in der Verleihung des Nobelpreises 1957 gipfelte. Camus kam aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war früh verstorben. Seine Mutter beschreibt er wenig liebevoll als einfältige, intellektuell sehr eingeschränkte Person, die kein Interesse an Dingen außerhalb ihres Blickfeldes hatte. Den Titel „der erste Mensch“ bezieht sich auf Camus Werdegang, weil er der erste Mensch in seiner Familie sein konnte, also der erste der sich ohne soziale Einschränkungen frei entfalten konnte.

 Warum also mein Titel „der letzte Mensch“? Meine Geschichte ist die Geschichte einer Regression. Johanna Sommer kommt aus einer Familie, die zerfällt, weil sie sich schnell aufgibt. Alle Menschen in ihrem Umfeld sind emotionsarm und phlegmatisch. Es wird sich nichts ändern und wenn dann zum Schlechten. Johanna versucht aus diesem Kreislauf auszubrechen, indem sie Bildung als Wettbewerb begreift und als sie endlich für ihre Anstrengungen belohnt werden soll, verändert sich die ganze Welt um sie herum. Von einem Tag auf den anderen etabliert sich eine starre Klassengesellschaft. Anstatt Widerstand zu leisten, passt sich Johanna an. Mit der Anpassung kommt der soziale Aufstieg in einer autoritären Hierarchie. Durch ihre Kindheit und Jugend geschädigt erkennt sie erst spät, dass sie mit ihrem Aufstieg sich und anderen Schaden zufügt und sie am Ende tief fallen wird. Sie kann sich nur retten, indem sie sich opfert. Am Ende, einsam und verloren in einer Eiswüste, nimmt sie ihr Schicksal an und erklärt sich zum letzten Menschen.

 Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der mich bei der Lektüre des Romans „der erste Mensch“ fasziniert hat. Das fragmentarische und unfertige des Textes gibt dem Leser ein die Möglichkeit den Schriftsteller bei der Arbeit zuzuschauen. In der mir vorliegenden Ausgabe von 1996 hat man Ungenauigkeiten belassen. Der Text wurde nicht korrigiert oder gerade gebogen. Man hat ihn sogar um die Notizen des Autors ergänzt. Als Camus starb, hatte er  anscheinend erst die Hälfte seines Textes geschrieben. In seinen Notizen, in der er die gesamte Handlung skizziert hatte, erkennt man noch die Lücken. Dem Leser fallen sofort Fehler im Plot auf. Er schreibt am Anfang von einem Geschwisterkind und zwei Sätze weiter beschreibt er ein Einzelkind usw. Während des Schreibprozesses scheint der Unterschied zwischen großen Autoren und Amateuren doch gering zu sein. Schlagen sich doch alle mit den gleichen Problemen herum….

Der Marktschreier

Vor Ostern gelang es mir, das Exposee für Roman Zwo fertig zu stellen. Ich habe sechs Wochen lang an einem Klappentext und ein inhaltliche Zusammenfassung meines des Textes gearbeitet. Diese Art der „Bewerbung“  führt bei mir zur reichlichen Absonderung von Angstschweiß. Es gibt nur wenige Tätigkeiten, die ich noch mehr hasse (z.B. das Ausdrücken von Mitessern an Nasenflügeln).

  Um mich inspirieren zu lassen, habe ich  in den alten Dateien nachgeforscht und festgestellt, dass ich schon einmal vor fast zehn Jahren für den Ursprungstext ein Exposee verfasst und an Literaturagenten verschickt hatte. Ohne Erfolg! Ich las das alte Exposee. Damals benötigte ich Massen an Wörtern, um nichts auszudrücken. Ich schrieb ausschweifende Schachtelsätze, die den Leser überforderten und nicht den Kern der Geschichte sichtbar werden ließen. Ich dachte weder an das Fachpublikum, das meinen Roman beurteilen, noch an die Leser, der unbedingt das Ende der Geschichte erfahren sollte.

 Die Erkenntnis mehr als zehn Jahre mit diesem Projekt verbracht zu haben, hat mich auf den Boden der Realität geprügelt.  Wenn man blutend auf der Straße liegt, jeden einzelnen Knochen im Körper spürt und der Kopf dröhnt, sollte man lieber aufstehen. Ansonsten bleibt man für immer liegen.

 Ich traf die richtige Entscheidung, als ich mir die Mühe machte, den Roman zu überarbeiten, das ganze überschüssige Material zu entfernen und mich auf einen Spannungsbogen zu konzentrieren. Die hohe Kunst der Literatur besteht nicht darin, seine Leser zu langweilen. Autoren können nicht in ihren Turmzimmern sitzen und warten, bis sie jemand dort oben herausholt. Es ist immer die Mühe wert, weiter zu machen, wenn es schwierig wird und an seinen Fähigkeiten zu arbeiten. In dieser Situation lohnt es sich nicht, die Schuld den anderen zu geben. Der Autor ist alleine verantwortlich für die Qualität seines Textes.

 Wenn der Roman doch gut ist, sollte es einem Autor nicht schwer fallen, ein gutes Exposee zu schreiben, oder? Nicht jeder Autor beherrscht die Kunst des Marketings in eigener Sache. Ich habe genau deswegen lange mit dem Exposee gehadert. Ich traue mir nicht zu, Menschen für meine Literatur zu begeistern. Ich bin viel zu selbstkritisch und empfinde es als peinlich, mit meinen Fähigkeiten hausieren zu gehen. Ich hasse es, wie ein Marktschreier meine Ware anzupreisen. Anscheinend gehört es zur Tätigkeit des Autors dazu, eine Rampensau zu sein. Und Plumps bin ich doch wieder der grantige Schreiberling im Turmzimmer, der ich nicht sein will.

….ach, ich drehe mich im Kreis! Das passt ja wie die Faust aufs Auge zum Titel meines Romans:  „der ewige Kreislauf“.  Egal, mein Exposee ist fertig und ich habe es hinaus in die Welt gesendet.

 Anbei stelle ich den Klappentext zur allgemeinen Beurteilung zur Verfügung und wer will, kann auch gerne das Exposee zum Lesen bekommen und meine Damen und Herren und nun kommt noch die Sensation des Tages hinzu, sie bekommen von mir nicht nur einen Klappentext und ein Exposee, jetzt hören Sie genau hin, so eine Angebot bekommen sie nicht alle Tage, stellen sie die Lauscher auf: ICH SUCHE AUCH NOCH TESTLESER! Wer will kann kostenfrei den ganzen Roman lesen und sich dazu auslassen. Na meine Damen und Herren, das ist doch ein Angebot, das kann man sich nicht entgehen lassen….nun der Klappentext zu „der ewige Kreislauf“ als kleine Kostprobe:

Ole und Simon, zwei Freunde, ein Geheimnis. Simon will das Geheimnis hinter sich lassen, Ole will es bewahren.  Der Konflikt zwischen den beiden Endzwanzigern eskaliert als Simon sich auf die Suche nach seinem Vater begibt. Simons narzisstischer Vater, der sich für den Gestalter einer neuen Welt hält, hat überall auf der Welt seine Spuren hinterlassen. Ole und Simon begegnen kaputten Typen, den Simons Vater übel mitgespielt hat. Auf ihrer Reise über mehrere Kontinente finden sie Simons Vater und geben ihr Geheimnis preis. Für sie gibt es aber keine Erlösung, denn sie müssen erkennen, dass sie dem ewigen Kreislauf aus Lügen, Geheimnissen und Verbrechen nicht mehr entkommen können….

Schnitzen

Photo by Ono Kosuki on Pexels.com

Ich bin heute mit Kopfschmerzen aufgestanden. Das passiert sehr selten. Ich bin kein Kopfschmerztyp und normalerweise bin ich auch kein Jammerlappen. Ein Großteil meines Alltags besteht daraus, Menschen zuzuhören, die leidend sind. Und wenn ich Ihnen so zuhöre, komme ich Laufe des Gespräches immer zu dem Schluss, dass sie eigentlich nur leiden wollen, damit sich für sie nichts verändern muss. Ich probiere immer wieder diesen Menschen zu erklären, das Veränderung etwas wunderbares sei. Und dann hämmert es in meinem Kopf, dieser verdammte Schmerz aus dem Nichts, dieses Gefühl in den letzten vier Wochen steckengeblieben zu sein, in einem Kreislauf aus Leiden, Kraftlosigkeit und Unfähigkeit festzustecken wie in der sich immer schneller drehenden Trommel einer Waschmaschine im Schleudergang. Eigentlich tragen einem die Fliehkräfte aus der Trommel, aber die Tragik liegt darin, dass einen die Trommel nicht rauslässt…

Es hat angefangen, dass ich ein Exposeé für meinen Roman zwo schreiben wollte und ich fünf Seiten aus meinem Hirn herausgepresst habe wie Kot aus meinem After nach einer Woche Verstopfung. Um dann festzustellen, dass die meisten Verlage keinen Bock auf fünf Seiten haben, sondern nur drei Seiten haben wollen. Jetzt sitze ich seit vier Wochen an diesem Exposee und schnitze es mir zurecht, um nach jedem Schnitzvorgang festzustellen, dass es verdammt nochmal immer noch mehr wie drei Seiten sind…

Dann ging es weiter, dass die Hälfte der Menschen in meiner Umgebung krank geworden sind. Die meisten haben zum Glück nur eine Grippe oder eine Erkältung. Ich kann dieses Gefühl nicht ertragen, bald auch dran zu sein, weil ich diese dummen Viren und Bakterien nicht für immer von mir fern halten kann. Ich will keine Unterbrechung meines Alltags aus Krankheitsgründen. Dafür habe ich einfach viel zu viel zu erledigen. Dazu noch dieses Umbruchwetter, mal Winter, mal Frühling, mal Sonne, mal Wärme, mal Kälte, Regen, Schnee und andere unangenehme Erscheinungen der Natur. Das Warten auf den Frühling zieht mich jedes Jahr herunter (doch ein Jammerlappen). Zu guter Letzt ist auch noch jemand gestorben, den ich seit dreißig Jahren kannte. Ich war auf der Beerdigung und es hat wieder soviel in mir losgetreten, Erinnerungen an alte Zeiten, daran, dass meine Ursprungsfamilie nichts mit mir zu tun haben will , was das eigentlich mit mir macht, zu wissen, dass meine Eltern auch irgendwann in einem Sarg liegen werden und ich nicht an das Rednerpult treten und darüber reden kann, welch wunderbare Menschen meine Eltern waren.

Und dann immer dieses Exposee im Hinterkopf…fünf Seiten…viereinhalb…vier Seiten…bleibt nicht mehr viel übrig…Schnauze weiter schnitzen….

So und zu guter Letzt habe ich noch ein schlechtes Gewissen, weil ich meinen Blog vernachlässige und vielleicht doch der eine oder andere Leser sich von mir abwendet, weil der schreibt ja eh nix mehr…..

Das kann ja so nicht weitergehen…also schnitze ich und sende Lebenszeichen….

Ist das nicht ekelerregend?

In unserem Haushalt leben Menschen mit langen Haaren. Glücklicherweise waschen sich diese Menschen regelmäßig, manchmal duschen sie sogar.

 Bei der ausgiebigen Körperpflege unter der Brause kommt es zu partiellen Haarausfall. Was passiert mit den Haaren? Der stete Wasserstrom in der Duschtasse spült die Haare in den Abfluss und dort verfangen Sie sich in einem Sieb.

  Wenn ich mal unter der Dusche stehe, fließt das Wasser nicht ab. Bevor es zur Überschwemmung des Bades kommt, ziehe ich das Sieb aus dem Abfluss und mit einem Mal läuft das Wasser ungehindert ab. Meistens habe ich noch Schaum vom Shampoo in den Augen und trotzdem versuche ich das Sieb zu reinigen. Ein Büschel langer Haare kommt zum Vorschein. Langsam mit spitzen Fingern ziehe ich jedes schleimige Haar aus dem Sieb. Voll eklig! Aber es gibt nun einmal Dinge, die ein Mann tun muss!!!!

 Und genauso ist es mit meinen Romanprojekten. Irgendwann kann ich nicht anders und ich muss es in die Hand nehmen und reinigen!

 Vor anderthalb Jahren habe ich das letzte Mal auf meinem Blog über meinen dritten Roman und meine Schreibfortschritte berichtet. Jo Sommer und ihre Reise zum Südpol schienen nicht mehr in meinem Fokus zu sein und wer den Blog regelmäßig verfolgt, wird wahrscheinlich denken: Schon wieder so ein Möchtegernautor, der still und heimlich sein Romane begräbt!

Weit gefehlt. Ich habe einfach weiter geschrieben und mich auf den Text fokussiert. Anfang Dezember, nach ungefähr anderthalb Jahren Schreibarbeit, ist die erste Fassung des zweiten Teils fertig geworden.

Seit dem letzten Sommer war es mir schwer gefallen, kontinuierlich weiter zu schreiben. Eine gewisse Ermüdung kam zum Vorschein, die sofort die Frage nach dem Sinn meines Unterfangens aufgeworfen hatte. Ich saß vor meinem Bildschirm und habe mich ständig gefragt, was ich eigentlich hier mache?

 Ich habe mich leicht ablenken lassen und wenn ich mal ein paar Sätze produziert habe, waren es kurze Hauptsätze und lange Dialoge.

 Dialoge in Romanen sind ein heikles Thema. Warum braucht man Dialoge in Romanen, kann man doch gleich Drehbücher oder Theaterstücke schreiben? Ganz so einfach ist es nicht. Dialoge in Romanen sind ein wichtige Bestandteil eines Gesamttextes. Ich werde misstrauisch, wenn Autoren über Seiten hinweg Ihre Figuren ausschweifende Gespräche führen lassen. Das ist meines Erachtens Platzverschwendung. Leider musste ich mir irgendwann selbst misstrauen. Komm schreib noch einen schönen langen nichtssagenden Dialog, hast du wenigstens dein Schreibpensum von zwei Seiten pro Nachmittag erledigt!

 Die Arbeit hat sich wie Kaugummi gezogen. Der ganze Rotz, der die Geschichte zusammenhalten sollte, hat sich in halbflüssigen Schleim aufgelöst. Ich habe selbst keine Zusammenhänge mehr zwischen dem ersten Teil, der Kindheit und Jugend von Jo Sommer und dem zweiten Teil, die Reise in die Antarktis, gesehen. Ich wollte einen ganzen Roman schreiben und haben nur zwei halbe geschrieben. Es mangelte an Konsistenz und Kontinuität und wenn ich in solch einer Zwickmühle stecke, schreibe ich wieder viel zu viele Seiten, die ich nachher wegschmeißen muss.

 Ich habe mir meinen Workflow hart erarbeitet. Daher halte ich auch zwingend den Ablauf ein. Erst schreibe ich einen Text fertig und dann fange ich mit der Überarbeitung an. Wenn ich zwischendurch an dem Geschriebenen herumdoktere, verzettele ich mich. Also erst einmal einen Text fertig schreiben, vier bis sechs Wochen Pause machen und dann den Gesamttext kritisch lesen.

Das ist der Punkt, an dem ich jetzt bin. Ich habe das Sieb sozusagen rausgezogen und halte es in der Hand, um mal zu schauen, warum das Wasser nicht abfließt.

In den letzten Tagen habe ich mein Manuskript gelesen. An manchen Stellen hat mich die schlechte Qualität schaudern lassen, an vielen anderen Stellen war ich schlicht zufrieden mit meinem Ergebnis.

Die ersten hundertdreißig Seiten lassen sich flott lesen. Der Anfang gefällt mir sehr gut. Der Text wirkt kompakt und schlüssig. Dann franst er aus und die Qualität lässt nach. Ein Kapitel muss ich völlig überarbeiten und mir etwas Neues ausdenken. Der Schluss des ersten Teiles ist voller Klischees und sentimentalen Ausbrüchen. Ich muss eine Brücke zum zweiten Teil bauen, anstatt mich mit der Schilderung langweiliger Abi-Feten aufzuhalten.

 Der Anfang des zweiten Teiles ist ähnlich kompakt und zwingend wie der Beginn. Wenn Jo über ihren Aufenthalt im Luxushotel und ihre Versuche, einen Roman zu schreiben, berichtet, kann der Text gefallen. Allerdings ist viel Drama und Übertreibung in ihrer Stimme. Sie will das Äußerste erreichen und dümpelt nur in einer seichten Pfütze vor sich her. Schlimm und unausgegoren sind die Rückblicke in die Vergangenheit. Das muss ich unbedingt in der Gesamtschau verkürzen, verengen, realistischer gestalten. In der Mitte des zweiten Teils verliere ich den Faden und der Roman verwandelt sich in einen reisenden Schreibstrom: hier und da bleibt mal was am Felsen im Wasser hängen, manches geht unter, vieles wird einfach mitgerissen und so geht es fast bis zum Schluss. Das heißt nicht, dass ich das nun alles in den Papierkorb befördern muss. Ich muss den reisenden Strom nur kanalisieren, begradigen, die Stromschnellen rausnehmen und in ein ruhiges Flussbett führen. Die wilde, unbändige Fantasie muss sich in eine schlüssige Handlung verwandeln.

Also da sind noch einige glitschige Haar im Sieb…..

Frankfurter Buchmesse 2022

Endlich wieder Buchmesse! Unser letzter Besuch liegt drei Jahre zurück und nun wagen wir wieder einen Ausflug nach Frankfurt. Routiniert steigen wir um halb acht in den Zug und kurz nach neun stehen wir am Eingang des Messegeländes.

Wir beginnen wie immer in Halle drei.  Es herrscht noch nicht viel Betrieb. Als routinierter Messebesucher sieht man die Veränderungen in der Halle. Weniger Aussteller, breitere Gänge. Einerseits verteilen sich die Besuchermassen besser, andererseits fehlen natürlich so namhafte Aussteller wie der Spiegel.

Meinem siebenjährigen Sohn war das erst einmal egal. Er eilt beim Betreten der Halle sofort zum LEGO-Stand und bekommt eine Individualbetreuung von einem Standmitarbeiter, der ihn die neuesten Produkte seiner geliebten Ninjago-Serie anpreist. Am Fotoautomaten ist er der Erste und so bekommt er ohne Wartezeit sein obligatorisches Ninjago-Foto. Der Tag hat für meinen Sohn schon einmal gut begonnen. Er ist großer Harry-Potter-Fan und kennt die Bücher quasi auswendig. Und weil es viele Menschen wie meinen Sohn gibt, ist  Harry Potter eine echte Cash-Cow für die Buchindustrie, die bis auf den letzten Tropfen abgemolken wird. Jedes Jahr gibt es irgendetwas Neues von Harry Potter und mag es noch so abstrus irrelevant sein wie ein Buch über „QUIDITTCH, im Wandel der Zeiten“. Natürlich hat der Carlsen-Verlag als ursprünglicher Harry-Potter-Verlag die Nase vorne. Andere Verlage springen auf den Zug auf und bringen so illustre Werke wie Häkeln im Harry-Potter-Style und ähnliches raus. Mein Sohn muss das alles antatschen und sich anschauen. Außerdem freut er sich über kostenlose Prospekte, Bücher und kleine Give-Aways nach denen er freundlich und höflich, wie er nun einmal ist,  an den Ständen fragt. Und so sind wir bis zur ersten Veranstaltung damit beschäftigt, in Halle drei alle Kinder- und Jugendbuchstände abzugrasen.

Einige Veranstaltungen finden dieses Jahr im Congress-Zentrum der Messe Frankfurt statt. Wir müssen etwas suchen, bis wir den Veranstaltungsaal finden, in dem das Spiegel-Gespräch mit Luisa Neubauer, Alexa Hening von Lange und Shelly Kupferberg, die von Susanne Beyer zum Thema „Wie jüngere mit dem Erbe der Großeltern umgehen“ interviewt werden.

Der Spiegel hat in diesem Jahr nur ein großes Gesprächsevent zu bieten. Der große Saal ist halb gefüllt. Ein Großteil der Zuschauer ist jung, weiblich und wahrscheinlich wegen Luisa Neubauer vor Ort und ehrlich gesagt sind wir auch wegen Luisa Neubauer da. Die beiden anderen Damen kenne ich nicht. Wahrscheinlich ist das ein Fehler. Alle drei haben das gleiche Thema: Der Umgang Ihrer Familien mit der eigenen dunklen Vergangenheit.  Alle drei können auf hohen intellektuellen Niveau auf die Fragen von Susanne Beyer antworten. Die verschiedenen Perspektiven auf das gleiche Thema lassen uns neugierig zuhören. Ich mag die Gespräche und Diskussionen auf der Buchmesse ganz besonders. Daraus ergeben sich immer wieder neue Ansätze und andere Verknüpfungen, die ich gerne weiter verfolge. Hier ist es für mich der Verweis von Frau Neubauer auf den Soziologen und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent, der sich z.B. mit der Frage beschäftigt, inwieweit der Diskurs um den Klimawandel von Rechten instrumentalisiert wird.

Meine elfjährige Tochter hat Feuer und Flamme  für das neue Buch von Frau Neubauer und ihrer Großmutter Dagmar Reemtsma gefangen: Gegen die Ohnmacht.

Nach dem Spiegel-Gespräch gehen wir zu dem Stand von Klett und Cotta und suchen das Buch. Glücklicherweise gibt es ein von Frau Neubauer signiertes Exemplar.  Ich nehme es an mich, bevor es ein anderer macht und bezahle an der Kasse den gleichen Preis wie für ein Exemplar ohne Autogramm.  Später fällt mir an anderen Ständen auf, dass viele Verlage von Autoren signierte Bücher verkaufen. Meine Tochter freut sich riesig und weil sie sich mit ihren elf Jahren ihre eigenen literarischen und politischen Interessen entwickelt hat, gebe ich zwei ihrer Buchtipps weiter

Heartstopper – Eine Grapic-Novel-Serie von Alice Oseman – zwei schwule Jungs, die sich in der Schule ineinander verlieben – die Serie wurde unter Mitwirkung der Autorin dieses Jahr für Netflix verfilmt und mit großem Erfolg ausgestrahlt.

Der perfekte Mord – von Alexander Stevens. Meine Tochter regelmäßig den Podcast „True Crime“ vom bayrischen Rundfunk und Herr Stevens ist einer der Moderatoren.

Wir ziehen weiter. Am Stand des Vorwärts wollen wir uns in der Veranstaltungsreihe ‚Politik trifft Buch‘ das Gespräch zwischen Ulrich Schnabel und Kevin Kühnert zum Buch von Herrn Schnabel mit dem Titel: „Zusammen“ verfolgen. Wenn der SPD-Generalsekretär auf der Buchmesse auftritt ist der Andrang groß. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung sichern sich einige Messebesucher einen Steh- bzw Sitzplatz. Ich gehöre auch dazu und als Kevin Kühnert auf die Bühne kommt, stehe ich drei Meter entfernt von ihm und kann erkennen, dass Ketterauchen und der übermäßige Kaffeekonsum bei ihm zu einer außergewöhnlich blassen Gesichtsfarbe führt. Herr Schnabel ist gut aufgelegt, erzählt eine Anekdote nach der anderen und die Interviewerin und Herr Schnabel versuchen Herrn Kühnert ständig aus der Reserve zu locken und zu irgendwelchen heiklen Aussagen zu zwingen. Aber ganz Politprofi verliert sich Herr Kühnert in ausweichende Antworten, die allerdings nicht so inhaltsleer rüberkommen, wie man es bei einem Politiker vermutet.  Wenn redefreudige Professoren auf Rhetorikverliebte Politiker treffen zieht sich alles in die Länge und so überziehen die beiden gewaltig. Mir schmerzen vom Stehen die Füße und nach vierzig Minuten kann ich endlich mal mir die Beine vertreten. Plötzlich ist unser Sohn verschwunden. Wenn es ihm langweilig wird, geht er gerne stiften. Meine Töchter suchen ihn und meine Frau und ich müssen am Stand des Vorwärts warten. Dabei können wir einen gutgelaunten Kevin Kühnert zum Anfassen erleben, der noch lange mit Zuschauern und Messebesuchern spricht, Autogramme verteilt und Selfies mit Zuschauern macht.

Irgendwann muss ich mal ein paar Meter laufen und so durchstreife ich die Gänge auf Suche nach meinem Sohn. Ich muss feststellen, dass die Selfpublisher-Ecke sich fast aufgelöst hat. Dort tummeln sich nun die letzten Reste rechtspopulistischen Verlagswesens. Irgendein Kleinverlag (Gerhard Hess Verlag) präsentiert einen alten weißen Mann im schwarzen Anzug, der Schlips und Sechziger-Jahre-Gesicht trägt und Vortrag über Identitätsbrüche hält. Links neben ihm steht ziemlich alleine ein dürrer, griesgrämiger Typ und verteidigt die Junge Freiheit gegen den linksgrünversipphten Mainstream-Gender-Wahnsinn. Mein Handy klingelt. Meine Tochter hat meinen Sohn wieder gefunden. Weit entfernt am Stand der Bundesbank hat er Lesematerial abgestaubt. Glücklicherweise kommt er doch immer wieder zurück zu uns.

Nun haben wir noch etwas Zeit und meine Frau sucht nach dem Stand des Katapult-Verlages. Der Verlag ist das Folgeprodukt des Magazins Katapult. Beides kommt aus Greifswald und verfolgt neue Ansätze. Z.B. versuchen sie aktuelle Themen anhand von Landkarten aufzubereiten. Mir ist der Titel „Die Säufer und Säuferinnen der Philosophie“ in die Hände gefallen. Eine amüsante Aufbereitung der Philosophiegeschichte anhand der Trinkgewohnheiten berühmter Philosophen.

Meiner kleinen Tochter ist es langweilig und weil sie mich inspiriert hat, versuche ich sie zu inspirieren und schleppe sie zum Stand des Reclam-Verlages. Sie soll die gelbe Reihe kennenlernen. Als Jugendliche kann man doch den einen oder anderen Klassiker günstig mit seinem Taschengeld kaufen, wenn man weiß, dass es die kleinen gelben Hefte gibt. Außerdem hat der Reclam-Verlag jedes Jahr interessante Neuerscheinungen, mit denen man nicht unbedingt rechnet. Auch diesmal finde ich einige Überraschungen und interessante Titel: Hanns Josef Ortheil – Charaktere in meiner Nähe – Über Herrn Ortheil habe ich schon geschrieben Diesmal hat er 50 literarische Miniaturen verfasst, die der Kunst des genauen Beobachtens gewidmet sind. Übrigens hat Herr Ortheil auf seinem Blog auch ein paar Artikel über die diesjährige Buchmesse geschrieben (Link)

Dann finde ich eine Biographie über Rick Rubin. In dem Wälzer  wird sein Wirken als Musikproduzent  anhand der von ihm produzierten Alben erzählt. Rick Rubin, der alte Buddha des Musikbusiness, hat unzähligen Künstlern den richtigen Kick gegeben. Ich blättere durch das Buch blättert und staune, welche Meilensteine der Popularmusik von ihm produziert wurden. Übrigens kann ich nur seinen Podcast empfehlen (wer Spotify hat, findet ihn leicht: Broken Record). Mit seiner angenehm warmen und sonoren Stimme kommt er ins Gespräch mit Musikern, die mit ihm über ihre Arbeit reden.

Zu guter Letzt fällt mir von Sandro Zanetti – Literarisches Schreiben – Grundlagen und Möglichkeiten in die Hände. Kein Ratgeber für angehende Autoren, sondern eine intelligente Reflektion über das literarische Schreiben. Mit dem Buch gehe ich ganz schnell zu Kasse. Das muss ich haben.

Mittlerweile ist es Nachmittag und wir sind ziemlich geschafft. Wir wollen den Tag auf der Buchmesse mit Judith Holofernes beenden. Der Podcast-Sender Detektor.fm ist in Halle 4.0. Zu unserem Erstaunen befinden sich in der Halle wenige Aussteller. Man hat viele unterschiedliche Verlage und Anbieter zusammengewürfelt. In einem Gang sind nur Verlage aus dem Nahen Osten, daneben die Schriftsteller-Verbände, Landesvertretungen, Verlage aus Hessen oder Thüringen und die Bundesgesellschaft für Endlagerung. What the Hell suchen DIE auf der Buchmesse…

Etwas irritiert positioniere ich mich bei Detektor.fm und warte auf Judith Holofernes. Ich bin so früh, dass ich noch das Interwiev mit Florence Brokowski-Shekete mitbekomme und aufhorche. Frau Brokowski-Shekete berichtet sehr eindringlich und plastisch über ihre Interwievs mit POC, die in Deutschland leben und ihre eigenen Erfahrungen als farbige Frau in Deutschland. Danach kommt wirklich Judith Holofernes, die Sängerin der Band „Wir sind Helden“. Als die Band ihre größten Erfolge feierten, war ich eingefleischter Fan der Band. Frau Holofernes hat damals mit ihren klugen und witzigen Texten den festgezurrten Rahmen deutscher Popmusik gesprengt. Und nun: Och ja, wenn das echte Leben auf Künstler trifft, neigen sie manchmal dazu zu jammern. Auf einen Schlag verlieren sie ihre intellektuelle Hybris und alles an ihnen wirkt gewöhnlich und naiv. Frau Holofernes stammelt etwas unsicher, sucht lange nach den richtigen Worten und ist leider für mich die Enttäuschung des Tages. Aber auch die Helden sind nur Menschen….

Die Füße tun weh, wir suchen den Ausgang, ab zum Bahnhof. Wir steigen in unseren Zug und fahren nach Hause. Wieder liegt eine Buchmesse hinter uns und hoffentlich die nächste vor uns (man ist ja vorsichtiger mit Zukunftsprognosen geworden….Pandemien, Kriege und so…)