
Wir brauchen alle ein Zuhause, einen Ort an dem wir jederzeit zurückkehren können, der uns Schutz und Geborgenheit bietet. Ein Großteil der Menschen verspürt in sich die Sehnsucht nach einem von der Natur abgeschirmten Raum. Wir sind Teil der Natur und doch möchten wir nicht in ihr leben. Es muss immer eine Grenze zwischen uns und der Wildnis geben, die so unkontrollierbar und furchterregend ist, weil sie unserer Vernunft und unserem Verständnis von der Welt nicht folgen will. Und wenn wir die Natur an uns heranlassen, bauen wir einen Zaun um sie herum, zähmen sie und nennen sie Garten.
Wir Menschen haben aus Steinen, Beton und Asphalt eine Welt in der Welt erschaffen. Wir leben in Dörfern und Städten, verwaltete und geordnete Strukturen und besitzen Immobilien, unbewegliche Güter, bestehend aus Gebäuden, Gärten, Freisitzen, Garagen, Außensaunen, Swimming-Pools, Mahnmale einer verkrusteten Zivilisation, die wenig Spielraum für etwas Neues zulässt.
Diese Strukturen sind nur scheinbar unveränderlich. Sind sie doch immer gefährdet. Die vereiterten Wunden der Vergangenheit schmerzen unaufhörlich und prägen unser verkrampftes Verhältnis zum Besitz. Wir krallen uns gerne an Dingen fest, horten und hamstern, teilen nicht gerne und leben in ständiger Angst, Hab und Gut von einem auf den anderen Tag zu verlieren.
Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, verbraten mehr natürliche Ressourcen als ganze Kontinente. Eine bedeutende Anzahl an Menschen erlebt einen Wohlstand, den man kaum ermessen kann. Gerade, weil sie so viel besitzen, schwelt in ihnen die Angst, dass das alles morgen verloren sein kann und man wieder nackt und schutzlos der Wildnis ausgeliefert ist.
Der Immobilienaushang mag so harmlos wirken, hängt doch in jeder Stadt im Schaufenster eines ebenerdigen Büros, die Angebote eines Maklers, der Häuser verkaufen will. Aber er ist Ausdruck unserer Verlorenheit, die uns alle in Angst und Schrecken versetzt, wenn jemand wieder einmal eine Krise nahen sieht. Immobilienaushang und Krise sind im Gespinst kollektiver Ängste fest miteinander verwoben.
Und wie sehr das Betrachten eines Immobilienaushangs mit verworrenen und tiefen Emotionen verbunden sein kann, zeigt die Reaktion auf ein Interview mit Anton Hofreiter von den Grünen im Jahr 2021. Er sprach nur darüber, dass Einfamilienhäuser viel Fläche, viele Baustoffe und viel Energie benötigen und zur Zersiedelung beitragen. Er sprach die Wahrheit aus und kassierte einen höllischen Shitstorm, der nur dazu diente die Grünen wieder einmal als Verbotspartei darzustellen. Aber wer wird sich über einen vermeintlichen Angriff eines Grünen-Politikers auf das Herz des deutschen Selbstverständnisses, den Ausdruck seiner Bodenständigkeit so echauffieren? Wahrscheinlich nicht die junge Familie, die jeden Cent zusammenkratzen muss, um über die Runden zu kommen, obwohl beide ganztags arbeiten gehen und den Traum von der eigenen Immobilien schon lange aufgegeben haben, weil sie weder Eigenkapital zusammensparen können, noch bei einer Bank einen Kredit für solch ein schönes Einfamilienhaus im Neubaugebiet erhalten werden. Auch nicht die alleinerziehende Mutter, die mit ihrem Bürgergeld noch nicht einmal sicher ist, ob sie die Nebenkosten für ihre Mietwohnung bezahlen kann. Und auch nicht der Rentner, der Angst haben muss seine günstige Mietwohnung zu verlieren, weil irgendein Investor das Haus von seinem Vermieter gekauft hat.
Er hat die Menschen mit seiner Aussage getroffen, die mit ihren Nasen am Immobilienaushang kleben und sich überlegen, ob es nicht Sinn macht, sich noch eine zweite- oder dritte Immobilie zu kaufen, um mit einer Immobilie das ganze Vermögen zu sichern, dass man über Jahrzehnte gehamstert und angehäuft hat. Ein Dach über dem Kopf reicht vielen nicht mehr aus. Sie brauchen die Mehrzahl und egal unter wieviel Dächern sie ihre Angst verbergen, es wird niemals ausreichen, so tief sind ihre Wunden. Es sind die Menschen, die einsam zu Hause in ihrem schuldenfreien Eigenheim im Warmen sitzen und sich Abends am Fernseher die schreckliche Welt ins Wohnzimmer holen und beim Betrachten der Krisen dieser Welt schon lange verlernt haben, Mitleid zu zeigen, sondern sich immer die Frage stellen, welche Auswirkungen die Krisen auf sie und ihr Eigentum hat. Der Immobilienaushang ist ihr kleines Trostpflaster. So lange sie sich noch dort tummeln können, ist ihre sichere Welt der Immobilien noch vorhanden und nicht sie, sondern die anderen verlieren ihr Eigentum, ihre Heimat und ihr Leben.
Danke, der Eintrag gefällt mir sehr gut
Freut mich, wenn er Dir gefällt. Vielen Dank auch noch einmal für deinen Hinweis. Du hast den Beitrag damit echt gerettet.