Also habe ich den Rest des Textes gelesen und ihn nach interessanten Stellen durchforstet. Ich habe die Kapitel neu geordnet und den Rest wieder einmal weggeworfen. Als der Ballast schon einmal zu Boden fiel, konnte mein Hirn wieder besser arbeiten.
Es gibt genügend Blogs, die sich darauf spezialisiert haben, kluge Ratschläge über das Schreiben zu erteilen. Viel Vorschläge gleichen mathematische Formeln. Man muss nur die Variablen der Gleichungen mit Wörtern füllen und hinten kommt ein toller Roman raus. Die wirkliche Textarbeit und was sich an Gedankenarbeit dahinter verbirgt, wird selten thematisiert. Ich will vermitteln, welche Instrumente und Möglichkeiten jeder Autor hat, um abseits des eigentlichen Werkes, die Qualität seiner Texte bewusst zu beeinflussen. Denn jeder halbwegs begabter Autor hat die Chance sich weiter zu entwickeln und seinen eigenen Schreibstil auszubilden
Es ist mit dem Schreiben manchmal wie mit dem Ausüben einer Sportart. Man wird in seiner Disziplin nur gut werden, wenn man spezielle Teilfähigkeiten übt und trainiert.
Roman Zwo überarbeite ich seit letztem Herbst. Meinem Ziel, das Wortmonster in ein kleines flauschiges Literaturhäschen zu verwandeln, bin ich ein gutes Stück näher gekommen. Ich bin mit dem Vorsatz angetreten, die Seitenzahl zu halbieren und aus jedem Kapitel eine elegante Kurzgeschichte zu machen. Ich habe mich in den letzten Monaten häufig selbst überrascht. Mit jedem Satz, den ich ausgemerzt habe, mit jeder spannungstötenden Information, die ich getilgt habe, näherte ich mich meiner Idealvorstellung eines Textes an, die auch potentiellen Lesern gefallen könnte. Ich habe mich auf ein paar wichtige Elemente konzentriert und das komplexe Beiwerk, das wie Unkraut den Text überwucherte, einfach entfernt.
Bis jetzt war ich mit meiner Arbeit zufrieden. Bis jetzt…Dann kam die Erschöpfung. Bei der Bearbeitung des vorletzten Kapitels klang jedes Wort mit einem Mal inhaltsleer und blechern. Die Euphorie der letzten Monate erstarb. Ich konnte ein Kapitel noch zu Ende bringen, schlug das neue Kapitel auf und spürte eine Leere im Kopf, die mich beinahe dazu gezwungen hätte, mit dem Projekt aufzuhören.
Ich habe keine Schreibblockade, denn ich lebe nicht vom Schreiben. Es ist eine Leidenschaft, die ich brauche, um meinem Leben einen Sinn zu geben. Aber ich muss nicht schreiben, um damit Geld zu verdienen. Schreibblockaden entstehen meines Erachtens, weil der Druck auf einen Autor zu groß wird. Er soll etwas produzieren und wird damit zum Unternehmer, der sich den Anforderungen eines Marktes unterwirft. Er muss etwas erschaffen, um im Geschäft zu bleiben. Davon bin ich weit entfernt. Ich kann es mir leisten, das Schreiben als intellektuelle selbstreferenzielle Genugtuung zu betrachten. Ich muss keinen Content produzieren, den ein Verlag oder Literaturagent und letztendlich der Konsument von mir einfordert.
Wenn ich nicht schreibe, verkommt mein Denken. Mein Kopf ist dann leer. Bewusste Schreibpausen können helfen. In dem Fall wollte ich keine Schreibpause einlegen. Es hätte an meinen Nerven gezehrt. Für ein paar Wochen habe ich geglaubt, ich müsste Roman drei anstatt der Überarbeitung von Roman zwo weiter schreiben. Konnte ich aber nicht, weil Roman Zwo mich immer wieder beschäftigt hätte.
Was habe ich getan, um mein nervöse Autorenherz zu beruhigen. Ich habe zwei Wochen lang nachgedacht. Eher beiläufig habe ich mich mit dem Text beschäftigt. Ich habe immer mal die Wortdatei geöffnet, habe herumgescrollt und einige Textstellen überflogen. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich nicht weiterkomme, weil ich den letzten Teil des Romanes, den ich ja jetzt bei der Bearbeitung vor der Brust habe, schon in der ersten Version schrecklich fand. Ich bin immer mehr ins Phantastische abgeglitten und habe viele wichtige Stellen des Textes mit der Schilderung grobschlächtiger Brutalität verunstaltet. Diese unsägliche Melange hat den Roman endgültig für Leser unattraktiv werden lassen.
Um einen Spannungsbogen zu schaffen, wollte ich den Leser langsam an den Höhepunkt heranführen. Da er sich seinen traumatischen Erlebnissen niemals gestellt hat, bedrängt ihn seine Vergangenheit in schrecklichen Alpträumen. Am Ende kamen plumpe und aufdringliche Sätze heraus, mit denen ich dem Thema und meinem Protagonisten noch mehr Leid hinzugefügt habe.