Heute möchte ich ein Buch vorstellen, dass mich in vielerlei Hinsicht fasziniert hat. Es geht um das Buch „Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit“ von Thomas de Padova.
Viele von uns leben in einem engen Zeitkorsett. Jede Sekunde zählt. Unsere Tage und Nächte sind verplant. Unsere Terminkalender sind voll. Wir werden an der Tugend Pünktlichkeit im Privat- und Berufsleben gemessen. Wir halten ständig Zeitabläufe fest und die Nutzung digitaler Medien kettet uns noch mehr an die Benennung von Zeit. Wer heute ein Foto macht, erfährt noch Jahre später, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit er auf den Auslöser gedrückt hat. Genug Zeitgenossen zählen ihre Schritte, zeichnen ihren Schlaf auf, dokumentieren ihre Laufstrecken und unterlegen alles mit einem ewigen Zeitstrahl.
Das ist die Gegenwart. Thomas de Padova zeigt uns mit seinem Text, dass das Einteilen des Tagesablaufes in Zeiteinheiten eine noch relativ junge Kulturtechnik ist. In der Epoche von Newton und Leibniz, also vor ca. 300 Jahren, wurden die ersten Uhren erfunden, die nicht nur Minuten, sondern auch Sekunden anzeigten. Es gab damals die ersten Taschenuhren, die teuer aber für viele schon bezahlbar waren. Man hatte damals mit Pendeluhren ein im Alltag verfügbares Zeitmessinstrument erschaffen, das aber im Laufe der Jahre immer wieder verfeinert werden musste. Ein großes Problem war, dass die Uhren niemals genau gingen. Man wollte sie z.B. für die Navigation auf hoher See verwenden. Allerdings liefen die Uhren zu ungenau. Somit war ständig die Gefahr gegeben, dass es zu schwerwiegenden Navigationsfehlern kam. Uhrenmacher waren damals angesehene Spezialisten, die sich nicht nur auf ihr Handwerk verstanden, sondern selbst wissenschaftlich tätig waren. Trotz größter Präzision konnte man das Problem der nachgehenden Uhren lange Zeit nicht lösen. Mit der Erfindung dieser Uhren gewannen Zeitabläufe auf einmal an gesellschaftlicher Bedeutung und somit beschleunigte sich das Leben. Hier beginnt die Ökonomisierung des Wirtschaftslebens. Ohne eine exakte Messung der Zeit wäre die industrielle Revolution nicht möglich gewesen.
Newton und Leibniz waren zwei Schlüsselfiguren ihrer Zeit und konträre Persönlichkeiten. Newton war ein Eigenbrötler und jemand, der seine Ideen für sich behielt. Leibniz dagegen war extrovertiert, kontaktfreudig und konnte auch keine seiner unzähligen Ideen lange für sich behalten. Beide hatten eine genaue Vorstellung von Zeit. Für Newton gab es eine absolute Zeit, die überall gültig war, während Leibniz Zeit immer im Zusammenhang mit Raum dachte und davon ausging, dass Zeit in Bezug zum Raum immer etwas Relatives ist. Newton hat wohl einen größeren Einfluss auf die Zeitideologie der nächsten drei Jahrhunderte gehabt. Denn viele Menschen sehen heute Zeit als etwas Absolutes. Die Uhr scheint im Hintergrund immer gleichmäßig zu ticken und uns voran zu treiben. Hätten wir auf Leibniz gehört, wären wir im Umgang mit unserem Zeitmanagement wahrscheinlich etwas gelassener.
Thomas de Padova hangelt sich an den Biographien der beiden Wissenschaftler entlang. Er zeigt die Herkunft, das Leben beider, die Schnittpunkte, die dann auch irgendwann zu einem Wissenschaftsstreit führten. Er erklärt Leibniz philosophischen Betrachtungen zu Zeit, Raum und Kausalzusammenhängen und erklärt Newtons mathematischen Entdeckungen, die heute noch teilweise ihre Gültigkeit haben. Thomas de Padova macht bei allen seinen Ausführungen eine gute Figur. Für den Laien verständlich, macht er die Zusammenhänge deutlich. Der Leser sollte positiv bemerken, dass er nicht nur gut recherchiert hat, sondern auch an eine lesenswerte und unterhaltsame Struktur des Buches gedacht hat. Und genau hier hat er seine Zielgruppe gefunden: den Leser, der wie der kleine Mann von Ricola immer fragt: Wer hat`s erfunden?
Mir hat das Buch den Anstoß gegeben, wieder darüber nachzudenken, welche Auswirkungen diese „Erfindung“ der Zeit auf unser alltägliches Leben hat. Die Zeit an sich wurde ja nicht vom Menschen erfunden. Allerdings haben die Menschen ihr Verständnis von Zeit genutzt, um ihr Leben zu verändern. Leider nicht immer zum Guten.
Insofern kann ich allen das Buch empfehlen, die sich auf allen Ebenen mit diesem Thema auseinandersetzen und dabei noch unterhalten werden wollen.
Thomas de Padova: Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit
ISBN: 978-3-492-05483-6