Der Marktschreier

Vor Ostern gelang es mir, das Exposee für Roman Zwo fertig zu stellen. Ich habe sechs Wochen lang an einem Klappentext und ein inhaltliche Zusammenfassung meines des Textes gearbeitet. Diese Art der „Bewerbung“  führt bei mir zur reichlichen Absonderung von Angstschweiß. Es gibt nur wenige Tätigkeiten, die ich noch mehr hasse (z.B. das Ausdrücken von Mitessern an Nasenflügeln).

  Um mich inspirieren zu lassen, habe ich  in den alten Dateien nachgeforscht und festgestellt, dass ich schon einmal vor fast zehn Jahren für den Ursprungstext ein Exposee verfasst und an Literaturagenten verschickt hatte. Ohne Erfolg! Ich las das alte Exposee. Damals benötigte ich Massen an Wörtern, um nichts auszudrücken. Ich schrieb ausschweifende Schachtelsätze, die den Leser überforderten und nicht den Kern der Geschichte sichtbar werden ließen. Ich dachte weder an das Fachpublikum, das meinen Roman beurteilen, noch an die Leser, der unbedingt das Ende der Geschichte erfahren sollte.

 Die Erkenntnis mehr als zehn Jahre mit diesem Projekt verbracht zu haben, hat mich auf den Boden der Realität geprügelt.  Wenn man blutend auf der Straße liegt, jeden einzelnen Knochen im Körper spürt und der Kopf dröhnt, sollte man lieber aufstehen. Ansonsten bleibt man für immer liegen.

 Ich traf die richtige Entscheidung, als ich mir die Mühe machte, den Roman zu überarbeiten, das ganze überschüssige Material zu entfernen und mich auf einen Spannungsbogen zu konzentrieren. Die hohe Kunst der Literatur besteht nicht darin, seine Leser zu langweilen. Autoren können nicht in ihren Turmzimmern sitzen und warten, bis sie jemand dort oben herausholt. Es ist immer die Mühe wert, weiter zu machen, wenn es schwierig wird und an seinen Fähigkeiten zu arbeiten. In dieser Situation lohnt es sich nicht, die Schuld den anderen zu geben. Der Autor ist alleine verantwortlich für die Qualität seines Textes.

 Wenn der Roman doch gut ist, sollte es einem Autor nicht schwer fallen, ein gutes Exposee zu schreiben, oder? Nicht jeder Autor beherrscht die Kunst des Marketings in eigener Sache. Ich habe genau deswegen lange mit dem Exposee gehadert. Ich traue mir nicht zu, Menschen für meine Literatur zu begeistern. Ich bin viel zu selbstkritisch und empfinde es als peinlich, mit meinen Fähigkeiten hausieren zu gehen. Ich hasse es, wie ein Marktschreier meine Ware anzupreisen. Anscheinend gehört es zur Tätigkeit des Autors dazu, eine Rampensau zu sein. Und Plumps bin ich doch wieder der grantige Schreiberling im Turmzimmer, der ich nicht sein will.

….ach, ich drehe mich im Kreis! Das passt ja wie die Faust aufs Auge zum Titel meines Romans:  „der ewige Kreislauf“.  Egal, mein Exposee ist fertig und ich habe es hinaus in die Welt gesendet.

 Anbei stelle ich den Klappentext zur allgemeinen Beurteilung zur Verfügung und wer will, kann auch gerne das Exposee zum Lesen bekommen und meine Damen und Herren und nun kommt noch die Sensation des Tages hinzu, sie bekommen von mir nicht nur einen Klappentext und ein Exposee, jetzt hören Sie genau hin, so eine Angebot bekommen sie nicht alle Tage, stellen sie die Lauscher auf: ICH SUCHE AUCH NOCH TESTLESER! Wer will kann kostenfrei den ganzen Roman lesen und sich dazu auslassen. Na meine Damen und Herren, das ist doch ein Angebot, das kann man sich nicht entgehen lassen….nun der Klappentext zu „der ewige Kreislauf“ als kleine Kostprobe:

Ole und Simon, zwei Freunde, ein Geheimnis. Simon will das Geheimnis hinter sich lassen, Ole will es bewahren.  Der Konflikt zwischen den beiden Endzwanzigern eskaliert als Simon sich auf die Suche nach seinem Vater begibt. Simons narzisstischer Vater, der sich für den Gestalter einer neuen Welt hält, hat überall auf der Welt seine Spuren hinterlassen. Ole und Simon begegnen kaputten Typen, den Simons Vater übel mitgespielt hat. Auf ihrer Reise über mehrere Kontinente finden sie Simons Vater und geben ihr Geheimnis preis. Für sie gibt es aber keine Erlösung, denn sie müssen erkennen, dass sie dem ewigen Kreislauf aus Lügen, Geheimnissen und Verbrechen nicht mehr entkommen können….

Schnitzen

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Ich bin heute mit Kopfschmerzen aufgestanden. Das passiert sehr selten. Ich bin kein Kopfschmerztyp und normalerweise bin ich auch kein Jammerlappen. Ein Großteil meines Alltags besteht daraus, Menschen zuzuhören, die leidend sind. Und wenn ich Ihnen so zuhöre, komme ich Laufe des Gespräches immer zu dem Schluss, dass sie eigentlich nur leiden wollen, damit sich für sie nichts verändern muss. Ich probiere immer wieder diesen Menschen zu erklären, das Veränderung etwas wunderbares sei. Und dann hämmert es in meinem Kopf, dieser verdammte Schmerz aus dem Nichts, dieses Gefühl in den letzten vier Wochen steckengeblieben zu sein, in einem Kreislauf aus Leiden, Kraftlosigkeit und Unfähigkeit festzustecken wie in der sich immer schneller drehenden Trommel einer Waschmaschine im Schleudergang. Eigentlich tragen einem die Fliehkräfte aus der Trommel, aber die Tragik liegt darin, dass einen die Trommel nicht rauslässt…

Es hat angefangen, dass ich ein Exposeé für meinen Roman zwo schreiben wollte und ich fünf Seiten aus meinem Hirn herausgepresst habe wie Kot aus meinem After nach einer Woche Verstopfung. Um dann festzustellen, dass die meisten Verlage keinen Bock auf fünf Seiten haben, sondern nur drei Seiten haben wollen. Jetzt sitze ich seit vier Wochen an diesem Exposee und schnitze es mir zurecht, um nach jedem Schnitzvorgang festzustellen, dass es verdammt nochmal immer noch mehr wie drei Seiten sind…

Dann ging es weiter, dass die Hälfte der Menschen in meiner Umgebung krank geworden sind. Die meisten haben zum Glück nur eine Grippe oder eine Erkältung. Ich kann dieses Gefühl nicht ertragen, bald auch dran zu sein, weil ich diese dummen Viren und Bakterien nicht für immer von mir fern halten kann. Ich will keine Unterbrechung meines Alltags aus Krankheitsgründen. Dafür habe ich einfach viel zu viel zu erledigen. Dazu noch dieses Umbruchwetter, mal Winter, mal Frühling, mal Sonne, mal Wärme, mal Kälte, Regen, Schnee und andere unangenehme Erscheinungen der Natur. Das Warten auf den Frühling zieht mich jedes Jahr herunter (doch ein Jammerlappen). Zu guter Letzt ist auch noch jemand gestorben, den ich seit dreißig Jahren kannte. Ich war auf der Beerdigung und es hat wieder soviel in mir losgetreten, Erinnerungen an alte Zeiten, daran, dass meine Ursprungsfamilie nichts mit mir zu tun haben will , was das eigentlich mit mir macht, zu wissen, dass meine Eltern auch irgendwann in einem Sarg liegen werden und ich nicht an das Rednerpult treten und darüber reden kann, welch wunderbare Menschen meine Eltern waren.

Und dann immer dieses Exposee im Hinterkopf…fünf Seiten…viereinhalb…vier Seiten…bleibt nicht mehr viel übrig…Schnauze weiter schnitzen….

So und zu guter Letzt habe ich noch ein schlechtes Gewissen, weil ich meinen Blog vernachlässige und vielleicht doch der eine oder andere Leser sich von mir abwendet, weil der schreibt ja eh nix mehr…..

Das kann ja so nicht weitergehen…also schnitze ich und sende Lebenszeichen….

Ist das nicht ekelerregend?

In unserem Haushalt leben Menschen mit langen Haaren. Glücklicherweise waschen sich diese Menschen regelmäßig, manchmal duschen sie sogar.

 Bei der ausgiebigen Körperpflege unter der Brause kommt es zu partiellen Haarausfall. Was passiert mit den Haaren? Der stete Wasserstrom in der Duschtasse spült die Haare in den Abfluss und dort verfangen Sie sich in einem Sieb.

  Wenn ich mal unter der Dusche stehe, fließt das Wasser nicht ab. Bevor es zur Überschwemmung des Bades kommt, ziehe ich das Sieb aus dem Abfluss und mit einem Mal läuft das Wasser ungehindert ab. Meistens habe ich noch Schaum vom Shampoo in den Augen und trotzdem versuche ich das Sieb zu reinigen. Ein Büschel langer Haare kommt zum Vorschein. Langsam mit spitzen Fingern ziehe ich jedes schleimige Haar aus dem Sieb. Voll eklig! Aber es gibt nun einmal Dinge, die ein Mann tun muss!!!!

 Und genauso ist es mit meinen Romanprojekten. Irgendwann kann ich nicht anders und ich muss es in die Hand nehmen und reinigen!

 Vor anderthalb Jahren habe ich das letzte Mal auf meinem Blog über meinen dritten Roman und meine Schreibfortschritte berichtet. Jo Sommer und ihre Reise zum Südpol schienen nicht mehr in meinem Fokus zu sein und wer den Blog regelmäßig verfolgt, wird wahrscheinlich denken: Schon wieder so ein Möchtegernautor, der still und heimlich sein Romane begräbt!

Weit gefehlt. Ich habe einfach weiter geschrieben und mich auf den Text fokussiert. Anfang Dezember, nach ungefähr anderthalb Jahren Schreibarbeit, ist die erste Fassung des zweiten Teils fertig geworden.

Seit dem letzten Sommer war es mir schwer gefallen, kontinuierlich weiter zu schreiben. Eine gewisse Ermüdung kam zum Vorschein, die sofort die Frage nach dem Sinn meines Unterfangens aufgeworfen hatte. Ich saß vor meinem Bildschirm und habe mich ständig gefragt, was ich eigentlich hier mache?

 Ich habe mich leicht ablenken lassen und wenn ich mal ein paar Sätze produziert habe, waren es kurze Hauptsätze und lange Dialoge.

 Dialoge in Romanen sind ein heikles Thema. Warum braucht man Dialoge in Romanen, kann man doch gleich Drehbücher oder Theaterstücke schreiben? Ganz so einfach ist es nicht. Dialoge in Romanen sind ein wichtige Bestandteil eines Gesamttextes. Ich werde misstrauisch, wenn Autoren über Seiten hinweg Ihre Figuren ausschweifende Gespräche führen lassen. Das ist meines Erachtens Platzverschwendung. Leider musste ich mir irgendwann selbst misstrauen. Komm schreib noch einen schönen langen nichtssagenden Dialog, hast du wenigstens dein Schreibpensum von zwei Seiten pro Nachmittag erledigt!

 Die Arbeit hat sich wie Kaugummi gezogen. Der ganze Rotz, der die Geschichte zusammenhalten sollte, hat sich in halbflüssigen Schleim aufgelöst. Ich habe selbst keine Zusammenhänge mehr zwischen dem ersten Teil, der Kindheit und Jugend von Jo Sommer und dem zweiten Teil, die Reise in die Antarktis, gesehen. Ich wollte einen ganzen Roman schreiben und haben nur zwei halbe geschrieben. Es mangelte an Konsistenz und Kontinuität und wenn ich in solch einer Zwickmühle stecke, schreibe ich wieder viel zu viele Seiten, die ich nachher wegschmeißen muss.

 Ich habe mir meinen Workflow hart erarbeitet. Daher halte ich auch zwingend den Ablauf ein. Erst schreibe ich einen Text fertig und dann fange ich mit der Überarbeitung an. Wenn ich zwischendurch an dem Geschriebenen herumdoktere, verzettele ich mich. Also erst einmal einen Text fertig schreiben, vier bis sechs Wochen Pause machen und dann den Gesamttext kritisch lesen.

Das ist der Punkt, an dem ich jetzt bin. Ich habe das Sieb sozusagen rausgezogen und halte es in der Hand, um mal zu schauen, warum das Wasser nicht abfließt.

In den letzten Tagen habe ich mein Manuskript gelesen. An manchen Stellen hat mich die schlechte Qualität schaudern lassen, an vielen anderen Stellen war ich schlicht zufrieden mit meinem Ergebnis.

Die ersten hundertdreißig Seiten lassen sich flott lesen. Der Anfang gefällt mir sehr gut. Der Text wirkt kompakt und schlüssig. Dann franst er aus und die Qualität lässt nach. Ein Kapitel muss ich völlig überarbeiten und mir etwas Neues ausdenken. Der Schluss des ersten Teiles ist voller Klischees und sentimentalen Ausbrüchen. Ich muss eine Brücke zum zweiten Teil bauen, anstatt mich mit der Schilderung langweiliger Abi-Feten aufzuhalten.

 Der Anfang des zweiten Teiles ist ähnlich kompakt und zwingend wie der Beginn. Wenn Jo über ihren Aufenthalt im Luxushotel und ihre Versuche, einen Roman zu schreiben, berichtet, kann der Text gefallen. Allerdings ist viel Drama und Übertreibung in ihrer Stimme. Sie will das Äußerste erreichen und dümpelt nur in einer seichten Pfütze vor sich her. Schlimm und unausgegoren sind die Rückblicke in die Vergangenheit. Das muss ich unbedingt in der Gesamtschau verkürzen, verengen, realistischer gestalten. In der Mitte des zweiten Teils verliere ich den Faden und der Roman verwandelt sich in einen reisenden Schreibstrom: hier und da bleibt mal was am Felsen im Wasser hängen, manches geht unter, vieles wird einfach mitgerissen und so geht es fast bis zum Schluss. Das heißt nicht, dass ich das nun alles in den Papierkorb befördern muss. Ich muss den reisenden Strom nur kanalisieren, begradigen, die Stromschnellen rausnehmen und in ein ruhiges Flussbett führen. Die wilde, unbändige Fantasie muss sich in eine schlüssige Handlung verwandeln.

Also da sind noch einige glitschige Haar im Sieb…..

Sollte man seine schärfste Kritikerin heiraten?

Die Frage stellt sich mir gar nicht mehr. Ich habe Sie schon vor neun Jahren geheiratet. In vielen Lebensbereichen betrachtet mich meine Ehefrau durch eine rosarote Brille und lässt nichts auf mich kommen. Ich sehe dann, wie sie mich verliebt anstarrt und mich mit den schönsten Umschreibungen auf einen Sockel hebt von dem ich niemals herunter fallen werde. Sie beginnt dann ihre Sätze mit „Mein Mann“. Wenn sie mir die Ehre erweist und mich als ihr Eigentum bezeichnet, impliziert das auch meine Einzigartigkeit, denn die Stelle als ihren Mann hat sie nur einmal vergeben und die habe ich hoffentlich lebenslang inne.

Und trotzdem bin ich nicht der Traummann für alle Fälle. Manchmal legt sie es darauf an, meine Unzulänglichkeiten bloßzustellen und mich in die Schranken zu weisen. Oftmals denke ich, ihre Attacken werden mit der Dauer unserer Beziehung heftiger und sie lässt sich häufiger dazu hinreißen. Bei genauerer Betrachtung stelle ich fest, dass sie schon immer zwischen Jubel und Tadel in schöner Sinusregelmäßigkeit hin- und her oszillierte.

 Es könnte aber auch am oszillieren meiner Selbstwahrnehmung liegen, die einer phasengleichen Schwingung unterliegt wie das Verhalten meiner Frau. Manchmal fühle ich mich wertlos, nicht wertgeschätzt, unsichtbar, glaube nicht an meine Fähigkeiten oder gehe fest davon aus, dass sie niemand außer mir wahrnimmt. Zwei Minuten später spucke ich selbstverliebte Lobeshymnen auf mein Intelligenz, meine Fähigkeiten und meine überragende Persönlichkeit aus. Ich hinterlasse dann den Eindruck, vollkommener Entrücktheit und einer damit verbundenen Arroganz, die alle Anwesenden kalte Luft durch die Zahnreihen ansaugen lässt.

 Ich kenne ja die Ursache meiner Unausgeglichenheit. Ich weiß, wie ich groß geworden bin und in welch merkwürdiger Versuchsanordnung ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe. Äußerlich betrachtet bin ich ein typisches westdeutsches Kind, aufgewachsen in den Siebziger- und Achtziger Jahren, wohlbehütet und gut versorgt. Viele aus meiner Generation wissen, was sich hinter der Fassade aus Neubaugebieten, Pauschalreisen in den Süden, Sportschau, bunten Plastikpullis, Farbfernsehgeräten, Videorecordern, C64 Home-Computern und Tiefkühltruhen verborgen hat: Lieblosigkeit, Zukunftsängste, soziale Kontrolle und die Ablehnung bestimmter Denkweisen.

 Ich habe mich in der Welt meiner Kindheit fehl am Platz gefühlt. Meine ganze Kindheit war bestimmt durch die unbestimmte Ahnung, dass irgendetwas nicht mit mir stimmt. Heute weiß ich: Mit mir war mehr in Ordnung als ich damals wissen konnte. Das ist die Kurzversion der Geschichte meiner psychischen Defizite. Wer sich aber fehl am Platze fühlt, wird entweder ausbrechen oder verhaltensauffällig werden. Ausbrechen versuche ich immer wieder (und scheitere) und verhaltensauffällig werden kann ich auch.

 Meine kindliche Erfahrung hatte auch positive Auswirkungen auf mich. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund bin ich relativ bodenständig und verantwortungsbewusst geworden. Meine Macken sind nicht sofort sichtbar und ich bin kein Typ mit irren Blick, der den ganzen Tag damit verbringt, seine Umgebung zu terrorisieren. Irgendwie hat mich meine gefühlte Andersartigkeit dazu bewegt, über meinen Horizont hinauszuschauen und neue Welten für mich zu entdecken.

 Und weil mir immer alle meinen Entdeckerreisen ausreden wollten, habe ich mir eine Hartnäckigkeit und Ausdauer anerzogen, die glücklicherweise auf alle Lebensbereich ausstrahlt. Wenn ich mir etwas vorgenommen habe, gebe ich nicht auf, bis ich mein Ziel erreicht habe. Ich habe keine Angst vor unbekannten Terrain und ich brauche immer wieder neue intellektuelle Impulse, um meine Zufriedenheit zu spüren.

 Meine Frau ist in einem ähnlichen Milieu groß geworden und doch hat sie eine ganz andere Persönlichkeitsstruktur. Sie denkt geradeaus und hat die seltene Fähigkeit, sachlich und pointiert ihre Standpunkte darzulegen. Sie ist eine kleine und starke Frau, die beim Gehen ihren Kopf immer leicht anhebt und die absolut mit sich im Reinen zu sein scheint. Allerdings schlummern in ihr auch die kleinen Monster der Unzulänglichkeiten. Sie hat sie nur besser unter Kontrolle und ist immer wieder darauf bedacht, ihre inneren Kämpfe still mit sich selbst auszutragen.

Wenn man sie fragt, ob irgendetwas was nicht in Ordnung sei und als Antwort ein Nix bekommt, sollte man in Deckung gehen. Die Bombe in ihr könnte jederzeit platzen. Oft schafft sie es, sie zu entschärfen, aber manchmal fliegt die Bombe allen um die Ohren.

 Zudem sind wir beide Menschen, die sich mit vielen Themen intellektuell auseinandersetzen, oft gemeinsam in intensiven Gesprächen, aber bei manchen Themen denken wir für uns alleine.

 Gerade in Bezug auf Musik und Literatur sind wir höchst unterschiedlich gepolt. Ich mache mich immer lustig über ihre Ahnungslosigkeit in Sachen Musik. Am liebsten dudelt sie die alten Techno- und Grungehits aus den Neunzigern vor sich her (was an sich schon eine krasse Mischung ist). Ich habe alle möglichen Stilrichtungen und Epochen, Pop, Rock, Heavy, ProgRock, Elektro, Minimal, Klassik von frühester Kindheit erforscht und durchdrungen. Die Musik war für mich neben der Literatur die Möglichkeit mich selbst zu bestimmen und die Lieblosigkeit meiner Umgebung zu überwinden. Meine Frau und ich haben beide einen emotionalen Zugang zu Musik. Bei mir ist es nur so, dass ich ständig heulen muss, weil ich ergriffen bin und sie sucht das heillose Vergnügen in schönen Melodien.

 Noch schlimmer ist es bei der Literatur. Natürlich haben wir einen gemeinsamen Kanon, der aber irgendwie immer kleiner wird. Ich lese typische „Männerliteratur“ (ja auch Hannah Ahrendt hat Männerphilosophie betrieben, ihr blieb nichts anderes übrig), große kluge Männerköpfe, die entweder mit großen Wortkaskaden die Welt durchdringen und beschreiben oder mit ihren komplexen und natürlich politisch gefärbten Texten alles nur noch komplizierter machen wollen. Sie liest „Frauenliteratur“, Bücher (manchmal auch von Männern geschrieben), emotionale Schlachtschiffe, Familienepen, immer leicht esoterisch angehaucht.

 Ich glaube der letzten kleine gemeinsame Nenner war dieser Franzose, Edouard Louis, mit seinen ersten zwei Büchern, die ja irgendwie neben viel Sozialkritik auch eine Familiengeschichte erzählen und in seiner gesamten Tragik sehr emotional rüberkommen, die perfekte Mischung zwischen unserem Verständnis von Männer- und Frauenliteratur.

 Meine Frau könnte niemals Gefallen an Thomas Pynchon finden und ich könnte niemals diese Ferrante-Trümmer lesen.

 Als sie meinen Roman zum ersten Mal in die Finger bekam, hat sie die Struktur zu Recht kritisiert und ich habe ihn noch einmal komplett überarbeitet. Und weil ich von ihrem klaren Urteil begeistert war, habe ich ihr die zweite Version wieder zum Lesen gegeben.

 Monatelang habe ich sie angebettelt, sie möge doch die dreihundert Seiten über sich ergehen lassen, sie müsse mir doch nur mitteilen, ob der Text ihre formalen Kriterien eines guten Romans erfülle (Ihre Vorgabe war: schreib deinen Roman wie deine Kurzgeschichten).

 Sie hat sich gewunden, Ausreden gesucht, naja der Sommer war stressig, die Pandemie, wir haben unser Haus modernisiert, habe ich ja gerne Verständnis für aufgebracht. Jetzt nach einem knappen dreiviertel Jahr hat sie mir ihr Urteil über das erste und zweite Kapitel überbracht. Das wäre ja alles total unglaubwürdig. Sie käme ganz schwer in die Geschichte rein. Die zwei Hauptfiguren seien so arrogant und unsympathisch. Warum sie mit dieser Amerikanerin durch Florenz laufen, dass macht ja überhaupt keinen Sinn! Ich habe sie dann darüber aufgeklärt, dass das ganze Buch schon einen gewissen Spannungsbogen habe und die Entwicklung der Figuren das ganze Buch in Anspruch nähme, man am Ende erst die Zusammenhänge verstehe und man ja auch deshalb das Buch lese, weil man die Auflösung am Ende erwarte. Dann habe ich noch irgendetwas von Suspense a la Hitchcock erzählt, ist ja auch so ein Männerding, nackte blonde Frauen, die in Duschen gemeuchelt werden. Sie ist während meiner Ausführungen vor mir weggelaufen und als ich sie im Wohnzimmer in die Enge getrieben hatte, hatte ich noch ein Beispiel parat: Der talentierte Mr. Ripley! Der arrogante Narzisst, die die ganze Zeit damit verbringt seine Verbrechen und seine Identität zu verbergen. „Von einer Frau geschrieben“, rufe ich aus. Meine Gattin starrte mich ungläubig an. Was denn das für ein Beispiel sei? Nachdem sich die Gemüter beruhigt hatten, versprach sie mir, meinen Roman zu Ende zu lesen. Sie könne allerdings immer nur vier oder fünf Seiten lesen und dann müsse sie aufhören, weil sie der ganz abgehobene Sprachduktus nerve. Sie hat mir dann noch meine Flüchtigkeitsfehler vorgeworfen.

„Du hast außerdem geschrieben: Er ist zur Tür hinausgeschlürft!“

Während sie das Wohnzimmer verließ, um sich wieder ihren Arbeiten zu widmen, amüsierte sie sich über meinen Fauxpas. Zu meiner Verteidigung rief ich ihr noch hinter her, dass das jedem Autoren passiere und dass es deswegen nun einmal Testleser und ein Lektorat gäbe. Sie hat es absichtlich überhört.

So haben sich also Autoren gefühlt, die mit ansehen mussten, wenn Marcel Reich-Raniciki ihre Bücher im literarischen Quartett verbal vernichtet hat. Mittlerweile bin ich alt genug, um auch daran nur das Positive zu erkennen.  Wenn ich die Kritik meiner Ehefrau überlebe, muss ich mich vor keinem anderen Kritiker mehr ängstigen. Vielleicht ist das der ganze Clou an der Sache. Ich habe vielleicht in dem Bewusstsein, dass mir nichts mehr geschehen könne, wenn meine schärfste Kritikerin meine Ehefrau wird, diese Frau geheiratet. Wer weiß das schon?

Der Winter drückt aufs Gemüt

Die winterliche Tristesse, die Melange aus Dunkelheit, Nässe und Kälte, erzeugt in mir keine romantischen Empfindungen. Ich kann mich nicht für schwülstige Abende am Kaminfeuer erwärmen und auch kuschelige Sofaepisoden, Schafsfellschuhe, Wärmflaschen, Dinkelkernkissenorgien und heißer Tee führen bei mir nicht zu bewusstseinserweiternde Wintererfahrungen. Winterspaziergänge und die klare kalte Luft pusten mein Hirn auch nicht durch und erwecken meine müden Glieder…egal was mir der Winter verspricht, ich stehe immer kurz vor einer Melancholie, fühle mich abgeschlagen, leer und friere mich zitternd durch den Tag.

 Das hat auch leider eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf mein schriftstellerisches Schaffen. Ich habe das Gefühl im Sommerhalbjahr das aufholen zu können, was ich im Winter versäumt habe. Über die Jahre habe ich mir meine Schreibroutine angewöhnt, die ich im Winter auch nicht unterbreche. Am Wochenende schreibe ich jeden Tag mindestens zwei bis drei Seiten Romantext. Im Sommer fällt mir das leicht. Bei Sonnenschein, mit meinem Autorenbesteck an meinem Lieblingsplatz, sehe ich den Weintrauben beim Wachsen zu und schreibe fröhlich vor mich her. Ich bin in der Lage das Geschriebene zu reflektieren und habe das Gefühl, die richtigen Worte zu finden. Im Winter sitze ich vor meinem Bildschirm und presse jedes Wort aus meinen verdorrten Hirnwindungen. Es fällt mir so schwer an meiner Routine festzuhalten. Oft lege ich schon meine Schreibpausen, die ich immer nach einem abgeschlossenen Abschnitt einlege, in den Winter. Ich muss mich dann wieder zum Weitermachen zwingen, spätestens zum Jahresbeginn, wenn ich Urlaub habe, muss es weitergehen. Bloß den Schaffensprozess nicht abreißen lassen. Es ist schon schlimm genug, dass ich so viele Jahre für ein Romanprojekt brauche (ich mag jetzt gar nicht darüber nachdenken wieviel Jahre ich für Roman zwei und Roman drei schon aufgewendet habe, sonst verstecke ich mich unter dem Wohnzimmertisch und komme im Frühling erst wieder raus)

 Spätestens Ende Januar ergießt sich pechschwarzer Teer zäh und langsam über mein Leben. Es wird kaum spürbar morgens früher hell und abends später dunkel. Das Wetter ist trübe und die Kälte saugt mir allen Willen und Lust am Denken aus dem Schädel. Ich lasse alle Hoffnung auf den Frühling fahren. Seltsamerweise habe ich in diesem Winter ca. 89 Seiten geschrieben. Ich hatte in einem früheren Beitrag über den geplanten Inhalt des aktuellen Teils berichtet. Später werde ich noch einmal darauf zurückkommen und vergleichen, ob ich bei meinem Plan geblieben bin und auch den Empfehlungen meiner Abonnenten gefolgt bin. Ich bin selbst gespannt, ob ich meinem Plan treu bleiben konnte oder nicht!

Das Ende

Die Fertigstellung des Romans war schwieriger als gedacht. Das letzte Kapitel hat es noch einmal in sich gehabt. Die Grundidee war es, die Zukunft der Protagonisten zu beschreiben. Sie kommen von ihrer großen Reise zurück. Können sie sich wieder einordnen, ihr altes Leben wieder aufnehmen oder wird sich ihr Leben radikal ändern? Und hier teilt sich das bisher miteinander verbundene Schicksal der Helden. Der eine versucht sich sein altes Leben zurück zu erobern und der andere wird sein Leben radikal ändern. Sie werden sich aus den Augen verlieren. Während einer der Beiden eine Familie gründet, in eine andere Stadt zieht, ein Haus kauft, seine Söhne großzieht, scheint der andere einfach wie vom Erdboden verschluckt. Nach zehn Jahren gibt es einen Anlass, der sie wieder zusammenbringt. Der eine Protagonist macht sich auf die Suche nach dem Anderen und findet ihn. Soweit so gut! Wo ist die Pointe am Schluss?

Es soll ja Autoren geben, die einen Roman erst beginnen, wenn Sie den letzten Satz schon kennen. Das war noch nie mein Ding. Ich habe zwar in den letzten Jahren gelernt mit einem Plan ans Schreiben zu gehen. Doch um das Ende habe ich mich selten geschert. Manchmal ist der Schluss der Anfang (wie in Roman drei). Aber das ist die absolute Ausnahme. Manche Autoren betrachten es als Fehler, kein Ende parat zu haben. Ich sehe das anders. Trotz einem Plan brauche ich Spielraum für die Entwicklung der Geschichte. Manchmal ist es wichtig, dass Pläne offen genug sind, um andere Verläufe zuzulassen. Im Endeffekt ist die Zuspitzung auf das Ende wichtig, denn das Ende ist wie der Anfang eines Romans das Element, dass dem Leser auf jeden Fall in Erinnerung bleibt und sein Urteil über den Text stark beeinflusst. Mir fehlte die Pointe der Geschichte.

Ich kam bis an den Punkt, an dem sich die zwei Protagonisten nach zehn Jahren wiedersehen. Das sollte es gewesen sein? Eigentlich nicht. Irgendetwas Spannendes und Aufregendes muss am Ende passieren. Ein Ausrufezeichen, vielleicht auch ein Fragezeichen, irgendetwas mit dem der Leser überhaupt nicht gerechnet hat, ein letzter Überraschungsmoment, etwas, was den Atem stocken lässt. Jetzt treffen sich zwei Menschen nach zehn Jahren und erzählen sich ein wenig von Ihrem Leben. Wo soll da die Spannung herkommen? Lange musste ich darüber nachdenken. Ich habe munter weiter geschrieben und irgendwann war ich an den Punkt angelangt, an dem es nicht weiter geht, ohne das Ende zu wissen. Die Fertigstellung des Romans kam zum Erliegen. Mindestens zwei Wochen konnte ich kein Wort schreiben. Es ist mir einfach nichts eingefallen. Viele Varianten habe ich im Kopf durchgespielt. Alle schienen mir zu lasch und einfallslos zu sein. Letztendlich habe ich mir vorgenommen, verschiedene Versionen der letzten drei Seiten zu schreiben. Sich nicht festzulegen, sondern erst einmal spielerisch ausloten, was möglich ist, erwies sich als gute Idee. Das war mein Befreiungsschlag. Schon die erste Version hat das beste Ergebnis gebracht. Natürlich verrate ich hier nicht, was am Ende passiert. Aber nach drei weiteren Wochen war ich endlich fertig mit dem Text. Ich musste die letzten Seiten mehrmals überarbeiten. Beim Lesen habe ich sofort gemerkt, dass es durch das neue Ende mehrere Ungereimtheiten entstanden waren, die ich wegfeilen musste. Dann habe ich das Kapitel insgesamt noch einmal überarbeitet und nun bin ich fertig.

Aber ihr wißt ja, was das bedeutet….Jetzt fängt die Arbeit richtig an….mein Heimlektorat (meine Frau) muss den Text jetzt erst mal absegnen, dann suche ich Testleser….ist noch ein langer Weg. Ich werde berichten.

SCHREIBE ROMANE WIE KURZGESCHICHTEN

Lange habe ich mich mit dem ersten Teil meines Romanprojektes über Johanna Sommer herumgeschlagen. Diesen Sommer habe ich genutzt, um den 1. Teil in einer endgültigen Rohfassung zu beenden. Darunter hat auch mein Blog gelitten. Ich war in die Arbeit am Text vertieft und habe jede freie Minute genutzt, um konzentriert arbeiten zu können. Mit der ersten vollständigen Rohfassung ist noch nicht einmal ein Drittel der Arbeit erledigt. Diese Fassung stellt erst einmal ein Gerüst der Handlung dar, mit der ich einigermaßen leben kann. Ich muss jetzt diesen Text weglegen. Wenn ich mich jetzt weiter damit beschäftige, werde ich den Blick für die Fehler und die Dissonanzen verlieren. In dieser Phase klebe ich noch an jedem Wort, das ich geschrieben habe. Dabei ist es wichtig, bei der weiteren Bearbeitung loslassen zu können. Eines steht jetzt schon fest: Der Text ist viel zu lang. In dem Text stecken zu viele Details, die ich brauche, um selbst zu verstehen, wohin die Reise gehen soll. Ein potentieller Leser wird diese Version schnell weglegen.

In den letzten Jahren habe ich eine wichtige Tatsache begriffen: Ein Text ist nur gut, wenn er das erzählt, was er nicht erzählt. Ein guter Text lebt von Weglassungen, Leerstellen, unsichtbaren Fragezeichen, von der Kraft des Nichts. Warum liest man? Weil man seine Phantasie die Bilder produzieren lassen will, die eine gute Geschichte in einem hervorruft. Die Aufgabe des Autors ist es, den Leser mit seinem Text nur anzufüttern. Der Leser soll die Chance haben, die Welt des Autors zu seiner eigenen zu machen, sie mit seiner Phantasie zu entdecken und zu erleben. Wenn ich den Leser mit Informationen vollstopfe, hat er keine Chance seine eigene Geschichte zu sehen.

Ich nutzte diese Schreibpausen, die ich ein halbes Jahr lang dauern lasse, um etwas völlig anderes zu machen. Meist sind es zufällige Projekte, die mir geradeso über den Weg laufen. Diesmal hat sich etwas ergeben, an das ich schon lange gedacht habe. Mein zweiter Roman war schnell in der Schublade verschwunden. Niemand wollte ihn lesen. Mittlerweile weiß ich, dass es ganz alleine am meinem Text lag. Irgendwann hat es mich geärgert, dass er einfach so von allen Seiten abgelehnt wurde. Also habe ich ihn abgehakt. Trotzdem hat mich die Verärgerung über die Ablehnung in mir gegärt.

Meine Frau hat mal nach einer Lektüre einer Kurzgeschichte, die ich für einen Wettbewerb geschrieben habe, zu mir gesagt, ich solle doch meine Romane wie meine Kurzgeschichten schreiben. Meine Kurzgeschichten sind profan gesagt kurz und knackig. Ich achte darauf, kein Wort zu viel zu schreiben und ich überarbeite sie so oft, bis ich das Gefühl habe, dass alles aus einem Guss ist. Wenn ich am Schluss Überarbeitungsprozess noch etwas verändern würde, geriete der ganze Text aus seinen Fugen, weil alles perfekt ineinander passt.

Schon vor meinem dritten Romanprojekt habe ich mir vorgenommen, meine Romane so lange zu bearbeiten bis ich dieses Gefühl habe, dass der Text aus einem Guss ist.

Nun habe ich die Chance mit meinem zweiten Roman genauso zu verfahren.

Headroom

Wenn Musiker ihre Stücke aufnehmen und danach mischen, reden sie gerne davon, dass die Aufnahme Headroom braucht. Eine einzelnes Instrument mit hohem Pegel kann sich sehr gut anhören, kommen aber noch viele andere Instrumente hinzu, wird die Aufnahme schnell matschig klingen oder sogar verzerren. Man sollte genügend Luft bis zur Raumdecke lassen und den Pegel einzelner Instrumente eher nach unten ziehen, auch wenn sie einzeln dann nicht sonderlich spektakulär klingen. Letztendlich bleibt aber im Gesamtbild genügend Raum, um die Aufnahme gestalten zu können.

Bei einem Roman läuft es ähnlich. Ich kann mir unzählige Figuren und Handlungsstränge ausdenken, die alle einzeln betrachtet eine tolle Wirkung auf den Leser haben. Habe ich zu viele Elemente kreiert und möchte daraus einen Text formen, wird der Text beliebig und zu überladen. Wenn ich ihn lese, schmerzen mir meine Ohren, weil er zu grell und zu laut ist.

Meine ersten Romanprojekte litten unter ein Zuviel an allem. Zu viele Personen, zu viele Handlungsstränge, zu viel Text. Erst beim zweiten Roman habe ich verstanden, dass ich mich auf das Wesentliche konzentrieren muss. Am Anfang standen die zwei Hauptfiguren. Zuerst wollte ich sie verstehen. Wie sollen sie ticken? Welches Leben haben sie hinter sich? Was ist ihre Motivation? Wie passt das alles zu meinem Anliegen? Erst als ich die beiden Hauptfiguren und ihr Denken und Fühlen durchdrungen hatte, konnte ich die Handlung ausarbeiten. Es war so eine Art „On-the-Road“-Roman. Die beiden Hauptpersonen gehen auf eine Reise, um etwas zu finden. Das Gesuchte finden sie zwar nicht, aber sie finden sich selbst. Hierbei ging es um ein verdrängtes Erlebnis, dass durch diese Reise für einen der Hauptpersonen wieder sichtbar wurde. Somit hatte ich ein Handlungsmotiv, das für Spannung sorgen sollte. Die Hauptperson macht immer wieder Andeutung und gibt Hinweise auf das traumatische Ereignis und meine Hoffnung war es, den Leser dadurch an den Text zu fesseln, weil er wissen will, was nun eigentlich damals passiert war. Das sollte alles reichen und hätte es auch, wenn ich nicht wieder zwischendurch meine üppige Fantasie hätte walten lassen. Am Ende gab es leider wieder viel zu viel Text, Handlung und Personen.  

 Deswegen mein Appell an alle Autoren, die sich mit ihrem Text herumschlagen, weil sie den Faden verloren haben: Macht Euch mit euren wichtigsten Figuren erst einmal vertraut, entwerft einen Handlungsstrang. Seid diszipliniert und lasst euch Raum. Das Grobgerüst muss stehen. Das Fleisch kommt beim Schreiben an den Knochen.

  

Exposè

Ein Exposé zu schreiben ist mir immer schwer gefallen. Einerseits, weil es einen Roman auf das wesentlichste reduziert, anderseits, weil ich es immer nach Fertigstellung des Romans geschrieben habe. Ein grundlegender Fehler, den ich mit dem meinem neuen Werk nicht noch einmal machen wollte. Natürlich gibt es einen Unterschied, ob ich ein Exposé schreibe, um die Handlungsstränge zu modellieren oder ob ich mich damit bei einem Verlag bewerben will. In diesem Fall war es dann doch eher eine Bewerbung. Schließlich wollte ich meine schärfste Kritikerin beeindrucken. Ich habe vier Monate daran gefeilt. Erst dann fühlte es sich gut an. Und das ist erst einmal die Diskussionsgrundlage. D.h. nachdem Henni es gelesen hat, werden wir sehen, was davon aufrecht zu erhalten ist. Zwischendurch drängte sich mir die Ansicht auf, ich schreibe einen Agententhriller. Das ist das Problem beim Exposé. Man schreibt reine Handlungsstränge auf und weiß im Endeffekt nicht, wie man es mit Leben erfüllt. Es ist vergleichbar mit einem Drehbuch. Wenn ich Drehbücher von bekannten Filmen lese, denke ich immer, das da was fehlt. Es ist nur das Handlungsgerüst, höchstens noch die Dialogvorgabe. Die Inszenierung passiert an anderer Stelle. Man braucht erst einmal einen Fahrplan. Mein Fahrplan ist jetzt fertig und schlummert auf einem USB-Stick. Ich hoffe, Henni nimmt sich bald die Zeit und liest diese fünf Seiten. Ich freue mich auf ihre Rückmeldung. Es ist das erste Mal bei einem meiner Projekte, das ich bei der Entstehung die Hilfe eines anderen in Anspruch nehme. Ich denke, das zahlt sich aus. Bis sie sich meinem Exposé gewidmet hat, werde ich mich anderer Dinge widmen. Wie z.B. der Entwicklung des Dialogs zwischen Shaw und Cherry-Garrard. Dafür ist viel Vorarbeit nötig. Im Augenblick arbeite ich daran, diese Vorarbeit in ein kleines Zwischenprojekt zu packen und mich von dem ursprünglichen Projekt zu lösen.