Als erstes fielen mir unsere direkten Nachbarn auf, die aus der Bekämpfung der Parkplatzbesucher eine regelrechte Passion gemacht haben. Das Ehepaar gebärdete sich wie eine zwei-Personen-Bürgerwehr. Sie ließen die Straße nicht mehr aus dem Blick, liefen Patrouille, notierten Autokennzeichen, versteckten sich hinter den Büschen auf dem Spielplatz und fotografierten mit einem hellen Blitz die vorbeifahrenden Autos, um sie zu erschrecken oder sie glauben zu lassen, sie seien in einer Radarfalle getappt. Außerdem versuchten sie die Nachbarschaft in den Kampf gegen die Rüpel vom Parkplatz mit einzubeziehen bzw. die Polizei und die städtische Verwaltung mit Beschwerden und Hinweisen zum Handeln zu zwingen. Alle ihre Bemühungen verliefen im Sand. Sie erreichten kleine Teilerfolge und das muss man ihnen auch zu Gute halten. Es wurden zwei Fahrbahnschwellen, ein Blumenkübel und am Spielplatz eine Sperrvorrichtung installiert, damit Kinder nicht ungehindert auf die Straße rennen können. Sie behandelten immer nur die Symptome. Die Autos fuhren immer noch röhrend und zu schnell durch unsere Straße. Mit jedem kleinen Teilerfolg wurden sie noch verbissener. Die Nachbarschaft ließ sich auch von ihnen nicht animieren, sie beim Kampf zu unterstützen. Die Zwei-Mann-Bürgerwehr hatte nicht die Fähigkeit, andere Menschen zu integrieren und für ihr Anliegen zu gewinnen. Für sie hatte das Ganze auch keine politische öffentliche Dimension. Vielmehr ging es um eine private Angelegenheit: sie fühlten sich in ihrer Ruhe gestört. Und alle die nicht ihr Leid anerkannten und ihnen Gehör schenkten, betrachteten sie als ihre persönlichen Feinde.
Nachdem ich mich am Anfang von der Zwei-Personen-Bürgerwehr habe vereinnahmen lassen und ich diesen unreflektierte Gefühl, dass alle gegen uns seien und sich diese Jugendlichen überhaupt nicht um uns scheren, dazu geführt hat, dass sich meine Familie durch mein Wutbürgerbenehmen belästigt gefühlt hat, hat bei mir ein Umdenken stattgefunden. Jugendliche brauchen einen Platz, um sich zu treffen. Ihre Art der Anreise mochte vollkommen idiotisch sein. Aber auch diese Menschen sind das Produkt unserer Gesellschaft. Für die Gesellschaft scheint es leider in Ordnung zu sein, dass junge Menschen große schnelle Autos und Motorräder fahren. Sie bietet ihn genug Möglichkeiten, um auf den innerstädtischen Autobahnen ungehemmt rasen zu dürfen. Schließlich scheint das Überschreiten von Geschwindigkeitsbeschränkungen ein Nationalsport zu sein (denkt man nur mal an die beknackte Diskussion um Tempo 130). Die Jugend ist nicht das Problem, sondern die Gesellschaft, die sich auf das Heilsversprechen einer unbeschränkten und für jeden verfügbaren Mobilität eingelassen hat. Jeder verbeugt sich vor den lackierten Metallkisten als seien es Götter und jeder, der ein schnelles und lautes Auto oder Motorrad sein Eigentum nennt, verdient den Respekt seiner Mitmenschen.
Es gab in den letzten Jahren immer wieder Begegnungen mit anderen Nachbarn am Gartenzaun, die sich über die Situation beschwerten oder sich dazu äußerten. Die wenigsten sind auf die Idee gekommen, die großen Zusammenhänge zu betrachten. Am Gartenzaun schlug die Stunde der phlegmatischen Zweifler, die erst Mal pauschale Urteile fällten, wenig analytisch vorgingen, die Verantwortung bei der Stadtverwaltung sahen, manchmal mit Straftaten das Problem lösen wollte (wir können ja einfach die Raser mit Steinen bewerfen) oder auch pragmatische Lösung wie Fahrbahnschweller oder künstliche Verengung der Straße ablehnten (das macht dann immer so ein Krach, wenn die Autos da drüber fahren und dann fallen nachher auch noch unsere Parkplätze weg) Das aber jemand mit tiefergelegtem Auto nur einmal über einen Fahrbahnschweller Parcours fährt und dann die Lust am Rasen verliert und einfach das Weite sucht, interessiert diese Menschen nicht. Und am Schluss kommt immer die Feststellung: Tja, daran können wir wohl nichts ändern.
Ein Nachbar, einer der wenigen in der Straße, der immer positiv denkt, hatte den wirklich besten Vorschlag von allen, den er auch gleich in die Tat umgesetzt hat. Man kann doch mal mit den Autofahrern reden und sie höflich auf die Geschwindigkeitsbeschränkungen aufmerksam machen. Er bemerkte auch, dass das alles nette Jungs wären, die einfach nur ein wenig Spaß haben wollten und sie vielleicht gar nicht wissen, dass sie uns auf die Nerven gehen. Die Lösung kann so einfach sein. In der Folgezeit haben wir den einen oder anderen angesprochen und einfach gebeten, langsam zu fahren, da in der Straße Kinder wohnen und die Straße auch sehr unübersichtlich sei. Es gab dabei nie Streit oder harsche Gegenwehr. Ansonsten haben die Autofahrer freundlich und verständnisvoll reagiert und in Folge wurde es ruhiger in der Straße.
Im Frühjahr, die ersten warmen Tage, sind fürchterlich und auch im Sommer hat man manchmal das Gefühl man wohnt auf einer Rennstrecke. Aber es scheint weniger geworden zu sein. Mittlerweile hat sich die Stadt eine Lösung für das Symptom überlegt. Der Festplatz wird mit einem Erweiterungsbau der Berufsschule bebaut. Der Parkplatz soll zum bewachten Platz für Wohnmobile ausgebaut werden. Damit werden die Autotuner und Raser vertrieben. Sie müssen sich nächstes Jahr anderen Platz suchen. Auch dort werden sie den Anwohnern auf die Nerven gehen. Wie man es dreht und wendet: Das eigentliche Problem bleibt. Solange das Fahren von stark motorisierten Fahrzeugen gesellschaftlich höchste Priorität hat und alles in einer Stadt darauf ausgelegt ist, den Autos und Motorrädern Vorrang einzuräumen, werden solche Begleiterscheinungen nicht verschwinden.
Und somit kehre ich zum ersten Teil meiner kleinen soziologischen Betrachtung zurück. Die Gesellschaft gibt es und sie nimmt es. Sie hat uns den Autoverkehr gegeben, als es noch der Ausdruck von Wirtschaftswachstum und Wohlstand war und alle vom Fortschritt profitiert haben. Die Gesellschaft wird es uns auch wieder nehmen, nämlich spätestens dann, wenn auch der letzte Tuner kapiert hat, das Autofahren voll uncool ist und das Eigentum an einem Auto gar keine Bedeutung hat und man lieber in den Bus steigt, Fahrrad fährt oder zu Fuß unterwegs ist.
Es ist auch nicht so, als könnte ich und du und jeder andere nichts dafür tun. Wir können selbst unser Verhalten ändern, auf Fahrrad und ÖPNV umsteigen, mehr Wege zu Fuß zurücklegen, auf das eigene Auto verzichten, wenn wir doch mal darauf angewiesen sind, es uns nur leihen, bei Wahlen die Parteien und Politiker wählen, die eine Verkehrswende wollen, vor Ort mit Lokalpolitikern reden, für Veränderungen einstehen, sich aktiv beteiligen, wenn es darum geht, das Bürger mitentscheiden sollen und das sind nur ein paar Möglichkeiten, die ich als Teil der Gesellschaft habe. Das dauert und ist anstrengend aber es lohnt sich!!