Reihe 3, Platz 58 und 59: Wintergreen for President von George und Ira Gershwin

Es war der letzte schöne Sommerabend des Jahres. Viele Menschen strömen in die Gießener Innenstadt um ein letztes Mal draußen zu sitzen und die sommerliche Stimmung zu genießen. Wir strömten abgehetzt und genervt in das Gießener Stadttheater. Meine Frau erfüllte ihre Abonnentenpflicht, denn sie hasst Musicals. Ich hätte auch lieber bei einem guten Glas Wein und einem guten Essen meiner Frau tief in ihre blauen Augen geblickt und ihr romantische Floskeln ins Ohr gehaucht, die sie nach fast zwanzig Jahren Beziehung nicht mehr hören kann. Ich bin auch kein Musicalfreund, allerdings mag ich die Musik von Gershwin und ich hatte der Presse entnommen, dass das Stück kurzweilig ist. Für mich ein kleiner Trost, für meine Frau völlig bedeutungslos.

Worum geht es? Ein kruder Kreis aus Geschäftsmännern, Politiker und anderen Gestalten suchen sich einen unbedarften Trottel aus, den sie zu dem Präsidenten der USA machen wollen. Es gibt weder eine Partei, noch ein richtiges Programm. Das Motto der Wahl ist die Liebe, weil damit können alle etwas anfangen. Der Präsidentschaftskandidat soll öffentlichkeitswirksam mit einer Schönheitskönigin verheiratet werden. Der spielt aber nicht mit und verliebt sich in eine Sekretärin, die er anstatt der Schönheitskönigin heiratet. Der Trottel wird gewählt und zieht ins weiße Haus ein. Der Erfolg und die Freude ist nicht von langer Dauer, weil die Schönheitskönigin auf ihr Recht besteht und First Lady werden will. Weil sie französische Vorfahren hat, tritt der französische Botschafter auf den Plan und stellt unverschämte Forderungen. Nach viel und her und der Geburt zweier Karotten, die sich die First Lady nach einer Turboschwangerschaft aus dem Unterleib presst, legt der Präsident seinen Amt freiwillig nieder, um wieder der unbedarfte und unscheinbare Trottel zu werden, der er schon immer war.

Um die Auswahl des Stückes zu rechtfertigen hat man den Text immer wieder mit aktuellen Hinweisen auf die aktuelle Präsidentschaft des tumben Trottels Trump garniert, der leider nicht die Liebe, sondern den Hass als Programm hat. Natürlich fällt es leicht den Bezug zur Gegenwart zu finden, denn auch Trump scheint das Projekt eines Kreises von Leuten zu sein, die von Machtgier getrieben sind. Aber da hören schon meines Erachtens die Gemeinsamkeiten auf. Es gibt keinen Anflug von Faschismus und Autokratie in dem Stück, dass man liebevoll als Farce bezeichnen darf. Es setzt sich nicht damit auseinander, wie Politik funktioniert, sondern verhöhnt nur eine bestimmte Gattung an Politiker, die wohl Anfang der dreißiger Jahre in den USA sich auf Vorteilsnahme, einen ausschweifenden Lebensstil und Korruption spezialisiert hatten und das in einer Zeit, in der das amerikanische Volk unter der großen Depression litt.

Gershwin Musik ist farbenfroh, flott und lebendig und treibt das Stück in seinem Tempo voran. Inhaltlich kann es nicht viel bieten, außer das sich lustig machen über eine politische Kaste. Wahrscheinlich war es für die Zuschauer damals eine befreiender Akt, die Menschen auszulachen von denen sie regiert werden. Außer witziger Revuenummern und ausgefuchster Musikarrangements ist in der Gegenwart nichts mehr vom ursprünglichen Zweck übriggeblieben.

Natürlich kann man dieses Stück in Gießen auf die Bühne bringen. Das Stück wurde wie immer liebevoll inszeniert, mit großartigem Ensemble, stimmigen Bühnenbild und einem fabelhaften Orchester. Aber man sollte es nicht zu sehr als Kommentar zur aktuellen politischen Situation in den USA verstehen, sondern eher als allgemeine Satire auf den Politikbetrieb. Ich hatte meinen Spaß, weil die Songs überragend gut klangen und die Schauspieler alles gegeben haben. Das Gesicht meiner Frau verdunkelte sie während der Vorstellung zusehends und immer wenn eine Szene ihr zu lange dauerte, flüsterte sie leise, dass sie Musicals hasse.

3 Gedanken zu “Reihe 3, Platz 58 und 59: Wintergreen for President von George und Ira Gershwin

  1. So kann es kommen. Heute Abend gehen mein Göttergatte, unsere jüngste Tochter und ich auch ins Theater, es gibt eine ABBA-Show, auf die wir uns allerdings unisono freuen! Niemand von uns hasst ABBA. Zum Glück😊

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