Die Serie „Almania“ von und mit Phil Laude mag man nicht als feinsinnige Reflektion unserer Gegenwart betrachten. Es ist nun mal nur eine ARD-Serie, geschrieben und entworfen von jemanden, der in seinem früheren Leben die deutsche You-Tube-Comedy quasi erfunden hat. Das kann man mit den Anstrengungen akademisch ausgebildeter Theaterprofis nicht vergleichen, die Tag für Tag die Welt zwischen die drei Wände einer Bühne pressen. Und doch kann man beim Verfolgen der Serie viel über uns und unsere Gegenwart erfahren. Die Schülerin Annika, Jungaktivistin und sowas wie das wandelnde woke Gewissen in Ihrer Klasse, entwickelt plötzlich Sympathie für den rechtsdrehenden Hausmeister Schröder. Er präsentiert ihr in seiner Prepper-Bastelstube selbstgezogene Gurken, die er mit seiner persönlichen Fußnägelernte düngt. Alles nachhaltig und ressourcenschonend. Plötzlich sprechen sie eine Sprache. Als missverstandene und einsame Menschen, die von ihrer Umgebung für ihren pessimistischen Blick auf die Zukunft verachtet werden, verstehen sie sich prächtig. Bis zu dem Moment als sie sich gegenseitig den Grund für die große anstehende Veränderung nennen und Annika den Klimawandel mit großer Geste aus dem Hut zaubert und Herr Schröder etwas von Ausländern brummelt. In dem Moment verwandelt sich Annikas Sympathie wieder in Abscheu und sie rennt weg.
Links und rechts der Mitte scheint es eine gewisse Lust am Weltuntergang zu geben. In der Mitte ist man eher genervt. Aber auch die Mitte franst immer mehr aus. Eine Tatsache, die viele Politiker anscheinend nicht wahrhaben wollen. Aber das ist ein anderes Thema. Ich resigniere, wenn ich zum dritten Mal in einer Spielzeit im Gießener Stadttheater ein Stück über den Weltuntergang präsentiert bekomme. Es erzeugt bei mir eine gewisse Müdigkeit und Erschöpfung bei mir. Die Situation der Menschheit gibt im Moment wenig Anlass für Freudentaumel. Aber wann war das schon einmal anders. Das Ende zu zelebrieren bringt uns nicht weiter. Gerade weil es in der Mitte der Gesellschaft einfach viele ignorante Zeitgenossen gibt, die jede Veränderung mit Murren hinnehmen und sich in Trägheit üben, in der Hoffnung, dass der Spuk bald vorbei ist und man weiterhin sein Schnitzel essen, sein Verbrenner fahren und jedes Jahr mit dem Flugzeug in ferne exotische Länder fliegen kann.
Das erste Exemplar begegnete mir und meiner Frau schon beim Parken vor dem Theater. Mein kleines Elektroauto parkte ich pflichtbewusst auf einer Parkfläche am Rand einer Nebenstraße, korrigierte sogar mehrfach die Parkposition, um ja im weißen Raster der Parkfläche zu bleiben und in der engen Straße genug Platz für alle Verkehrsteilnehmer zu lassen. Mein Frau und ich stiegen aus, gingen um die Ecke und sahen ein Paar aus ihrem schwarzen furchteinflößenden SUV aussteigen, den sie im absoluten Parkverbot halb auf der Straße, halb auf den Bürgersteig abgestellt hatten. Es war ihnen egal, dass sie ein Verkehrshindernis darstellen. Erschreckenderweise rannten sie auch zum Theater. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Menschen dasselbe Theaterstück wie wir besuchten.
Beim Betreten wurden wir überrascht von der Umgestaltung des Innenraums. Eine weiße Wand verkleinerte den Zuschauerraum. Auf der Bühne hatte man eine Tribüne mit Sitzplätzen errichtet. Im erhöhten Orchestergraben hatte man die Szenerie eines Konferenzraumes aufgebaut: Tisch, Sitzgelegenheiten, Verpflegung, Kaffee, ein Wasserspender.
Nebel wallen über die Bühne und die Köpfe der Zuschauer hinweg. Das Stück begann. Wie bei einer antiken Tragödie berichtet der Schauspielerchor über die Geschehnisse. In Indien kam es zu einem Hitzekatastrophe. An einem Tag starben 20 Million Menschen. Die Weltgemeinschaft beschloss, endlich Konsequenzen aus dem Ereignis zu ziehen und gründete ein Ministerium der Zukunft: einne globale Organisation, die Wissenschaftler und Experten vereint. Sie haben die Aufgabe, Maßnahmen zu Reduktion des CO2 Ausstoßes verbindlich auf den Weg zu bringen. Mein Gesicht schläft ein. Sechs WissenschaftlerInnen unter der Führung von Mary (der ehemaligen irischen Außenministerin) treffen sich zum Montagsmeeting und diskutieren ausführlich über den Sinn von Montagsmeetings, Geoengineering, das Artensterben, die ungleiche Verteilung von Wohlstand. Das ist also jetzt das verschissene Stück über den Weltuntergang? Experten retten im Montagsmeeting die Welt? Mein Kopf verliert seine Spannung und fällt auf meinen Brustkorb. Tiefschlaf!
Erst als Frank, der einzige Überlebende des Unglückes in Indien, Mary als Geisel nimmt und sie davon überzeugt versucht, dass Reden alleine nichts bringt und man unter Umständen Gewalt anwenden muss, um die Welt retten zu können.
Ab diesem Moment bleibe ich wach und verfolge die Geschichte. Plötzlich hebt sich bei mir die Stimmung wie bei Annika, als Schröder ihr seine Fußnägel und die Gurken präsentiert. Frank gespielt von David Gaviria, der schon bei früheren Inszenierungen mit seinem glaubwürdigen Spiel überzeugen konnte, wird zur Inspiration für Mary. Weil er wohl doch einmal selbst Gewalt ausgeübt hat, buchtet man ihn ein. Mary, die ihn im Gefängnis besucht und ihn beschützt, sorgt für seine Resozialisierung.
In der Pause wünsche ich mir für manche Zeitgenossen auch mal so einen Frank, der sie kräftig in die Mangel nimmt und wachrüttelt. Einige Zuschauer rannten aus dem Gebäude, zündeten sich Zigaretten an und beschwerten sich raunend, dass sie das mit dem Klimawandel langsam nicht mehr hören können.
Nach der Pause wandelt sich das Stück in ein Plädoyer für den technischen Fortschritt und den Kapitalismus, der die Heilung bringt. Nach jahrelanger Überzeugungsarbeit schafft es Mary einzelne Notenbanken von der Einführung des Carbon Coin zu überzeugen. Eine Kryptowährung, die dann erzeugt wird, wenn eine Tonne C02 eliminiert wird. Unternehmen werden für die Vermeidung und Reduzierung von Co2 Emissionen belohnt. Das scheint die Lösung zu bringen, denn nach Jahrzehnten mühevoller Überzeugungsarbeit, gehen die Emissionen zurück, das Artensterben hört auf, die Natur erholt sich allmählich und die Welt ist gerettet. Das Stück endet mit einer frohen Botschaft. Wir verlassen das Theater und für uns bleibt die Frage ob die Rettung der Welt wirklich mit den althergebrachten Mitteln des technischen Fortschrittes und des Kapitalismus erreicht werden kann? Hat uns das mächtige Duo der Wohlstandserzeugung nicht erst in diese Lage gebracht? Sind die SUV-Fahrer, die maulenden Zigarettenpausensuchtis und die reichen Bonzen mit den Privatjets noch an einer Veränderung ihres Verhaltens interessiert, wenn man ihnen Rettung durch den Carbon Coin und Geoengineering verspricht? Vielleicht fehlt vielen Menschen genau diese Hoffnung. Die düsteren Weltuntergangsszenarien zeigen keinen Ausweg. Es steht doch eigentlich schon fest, dass wir verloren sind. Das Stück beantwortet diese Frage nicht und vielleicht ist es auch gut so. Wo Fragen unbeantwortet bleiben, wird man nicht aufhören, nach Antworten zu suchen.