Sandro Zanetti – Literarisches Schreiben

Auf der letzten Buchmesse habe ich Sandro Zanettis kleines Meisterwerk „Literarisches Schreiben“ am Stand des Reclam Verlages gekauft. Mit dem aufschlussreichen Buch nähert er sich der Arbeit eines Autors auf mehreren Ebenen. Tiefgründig und spannend zugleich seziert er den Schreibvorgang als solches. Auf dem theoretischen Fundament der Literaturwissenschaft erfolgt die feinsinnige Auseinandersetzung mit dem Schreiben von Literatur. Ich will nicht alle von ihm beschriebenen Aspekte des Schreibens nachvollziehen, sondern eher auf die Bereiche eingehen, die ich aus eigener Erfahrung bewerten kann.

 Von Anfang an zerstört er die Idee des Schreibens als lineare Tätigkeit. Er nennt es Schreibprozess und wer sich in der Fachsprache der Betriebswirtschaft verheddert hat, kennt den Prozess als festgelegte Struktur, die den Ablauf einer Tätigkeit bis ins kleinste Detail vorgibt. Eine Abweichung vom Prozess ist in der Betriebswirtschaft nicht gerne gesehen. Der Schreibprozess ist genau das Gegenteil. Man mag als Autor ein Ziel formulieren und Ideen produzieren. Der Weg zum Ziel ist aber keineswegs gradlinig, wird oft unterbrochen, verzweigt sich auf andere Wege und unter Umständen erreicht man nie sein Ziel. Während des Schreibprozesses plagt den Autor immer wieder die Differenz zwischen Idee und Ausführung. Mit Zanettis Vorstellung vom Schreibprozess kann ich mich sehr gut identifizieren. Gerade Autoren, die ihre ersten längeren Texte schreiben und vorher „durchdacht“ haben, werden überrascht sein, wie sehr ihre Ergebnisse von den ursprünglichen Ideen abweichen. Am Anfang leidet man unter dem Anblick eines weißen Blattes Papier, das gefüllt werden will. Ist es einmal beschrieben, stellt man fest, dass viele Sätze nichts mit der ersten glorreichen Idee gemein haben. Die Kunst beim Schreiben besteht darin, vieles zuzulassen, von dem der erfolgsorientierte Mitteleuropäer gerne die Finger lassen möchte. Zanetti zählt das Nichtschreiben explizit zum Schreibprozess. Also das Abstandnehmen, das Beobachten der Welt außerhalb des Textes, das weitschweifende Sinnieren, das Experimentieren usw.

 Am meisten hat mich seine Rubrik „Möglichkeiten: Schreibprojekte von Achleitner bis Zola“ überrascht. Zanetti stellt experimentelle Texte vor, die sich dem Geschichtenerzählen zur Belustigung eines großen Publikums verweigern. Damit öffnet er für mich ganz neue Horizonte. In meiner momentanen Situation, in der ich nicht mehr glaube, als Autor einen nennenswerte Relevanz zu erreichen, ist es äußerst hilfreich zu wissen, das Literatur mehr ist, als nur das Erstellen dicker Bücher, die auf Bestsellerlisten landen müssen. Autoren, die literarische Texte schreiben, werden nicht durch die Zuneigung eines hypothetisch vorhandenen Publikums angetrieben. Es ist ihnen eigentlich scheißegal, ob sie gelesen werden. Der Schreibprozess bleibt selbstreferentiell. Die Veröffentlichung ist vom Schreibprozess vollkommen losgelöst.

 Ich selbst habe meine Romane an ein Publikum ausgerichtet und bin völlig gescheitert. Für meinen zweiten Roman habe ich Testleser gesucht und gefunden und musste schmerzhaft erkennen: niemand will meine Texte lesen. Vor ein paar Wochen gab es ein oder zwei verzweifelte Tage, an denen ich ernsthaft überlegt habe, das Schreiben zu lassen.

 Meine Frau hat es wieder mal auf den Punkt gebracht. Wenn du wirklich schreiben willst, ist es egal, ob du gelesen wirst. Wenn das Schreiben an sich dich selig macht, dann zählt das alleine und nicht, ob du Leser findest. Vielleicht ist es nur ein Hobby, aber wie jedes Hobby kann es erfüllend sein. Zanetti bezieht sich auf Barthes, der vom Schreiben wollen sprach. Ein unbedingtes Begehren, reicht dem Autor voll und ganz und wenn dieses Wollen und Begehren vorhanden ist, darf sich gerne als Autor betrachten.

Hierzu ein im Buch zitierter Brief von R.M. Rilke an den Dichter Franz Xaver Kappus:

„Sie fragen, ob Ihre Verse gut sind. Sie fragen mich. Sie haben vorher andere gefragt. Sie senden sie an Zeitschriften. Sie vergleichen sie mit anderen Gedichten, und Sie beunruhigen sich, wenn gewisse Redaktionen Ihre Versuche ablehnen. Nun (da Sie mir gestattet haben, Ihnen zu raten) bitte ich Sie, das alles aufzugeben. Sie sehen nach außen, und das vor allem dürften Sie jetzt nicht tun. Niemand kann Ihnen raten und helfen, niemand. Es gibt nur ein einziges Mittel. Gehen Sie in sich. Erforschen Sie den Grund, der Sie schreiben heißt; prüfen Sie, ob er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt, gestehen Sie sich ein, ob Sie sterben müßten, wenn es Ihnen versagt würde zu schreiben.
Dieses vor allem: fragen Sie sich in der stillsten Stunde Ihrer Nacht: muß ich schreiben? Graben Sie in sich nach einer tiefen Antwort. Und wenn diese zustimmend lauten sollte, wenn Sie mit einem starken und einfachen ich muß dieser ernsten Frage begegnen dürfen, dann bauen Sie Ihr Leben nach dieser Notwendigkeit; Ihr Leben bis hinein in seine gleichgültigste und geringste Stunde muß ein Zeichen und Zeugnis werden diesem Drange. Dann nähern Sie sich der Natur. Dann versuchen Sie, wie ein erster Mensch, zu sagen, was Sie sehen und erleben und lieben und verlieren.“

Ich werde weiter schreiben. Mir bleibt gar nichts anderes übrig: Warum soll ich sein lassen, wenn es mir ein großes Vergnügen bereitet.

6 Gedanken zu “Sandro Zanetti – Literarisches Schreiben

  1. „Literarisches Schreiben“ war lange Zeit auch mein grosses Ziel und ich verbrachte viel Zeit mit dem Lesen von mehr oder weniger grosser Literatur. Inzwischen habe ich das Interesse an „Literatur“ völlig verloren. Ich will weder versuchen, literarisch zu schreiben noch will ich weiterhin belletristische Bücher lesen. Das alles hat doch mit dem wahren Leben nichts zu tun. Bei dem ganzen Rummel um Literatur sind nur die Verleger und wenige Bestseller-Autoren die Gewinner, die davon leben können. Aber das Schreiben an sich, das ist nach wie vor mein Ding. Die Ausführungen von Rilke kann ich komplett nachvollziehen. Geld verdient man als erfolgloser Autor besser auf anderen Gebieten, bei mir waren es technische Übersetzungen für die Industie und Wirtschaft. Zum Bloggen brauche ich keinen Verleger und habe alle Freiheit. Die drei Bücher, die ich in den vergangen zwanzig Jahren im Selbstverlag veröffentlicht habe, haben mich mehr gekostet als ich dran verdient habe. Bei Kindle kannst Du natürlich kostenlos publizieren, hab ich mit einem Buch auch gemacht, hat trotzdem nichts gebracht. Ich bin ja auch kein Marketing-Mensch.

    • Man lebt als Dilettant besser, wenn man keinen Erfolgserwartungen hinter her hetzt. Ich bewundere deine klare Haltung. Mich muss man manchmal daran erinnern, dass Erfolg nicht alles ist.

  2. Das bislang einzige Buch, das mir geholfen hat, meine Schreibe zu verbessern oder bewusster zu gestalten, ist „Deutsch für Profis“ von Wolf Schneider. Was nun keinen literarischen Ansatz hat, aber dafür ebenso taugt und viel Kluges enthält, dem man keineswegs dogmatisch folgen muss, aber die Schreibe wird nicht schlechter, wenn man die Vorschläge beherzigt. Ansonsten hat es Gründe, warum ich zwar ganz gern schreibe, aber nie im Ansatz der Idee nah war, einen Roman zu verfassen. Lass Dir die Freude an Sprache und Schreiben nicht nehmen! Liebe Grüße

    • Früher habe ich ständig irgendwelche Schreibratgeber gelesen… das hat mir wenig geholfen. Beim Zanetti ging es nicht um dieses oberflächliche Anleitung zum Schreiben. Es hat meinen Horizont einfach ein wenig erweitert und mir die Lust am Schreiben wieder zurückgebracht… daher… mache ich mit Freude weiter…dir auch Liebe Grüße

  3. Wenn ich schreibe, dann möchte ich anderen Menschen etwas geben – zum selber Nachdenken, selber entscheiden, ob sie das Gelesene für sich als sinnvoll erachten oder eben nicht. Allerdings nicht als Ratgeber, sondern durch Erzählung.
    Ich schreibe, schreibe, schreibe. Ich kürze, kürze, kürze. Wenn – wie gewöhnlich – wenige meine Bücher lesen, dann brauchen sie diese eben einfach nicht.

    • Den Gedanken zu Schreiben, um Menschen etwas zu geben, finde ich schön. Für mich selbst habe ich das noch nie in Betracht gezogen, aber das hat auch etwas mit meinem getrübten Selbstwertgefühl zu tun. Danke auf jeden Fall für dein Kommentar. Du hast mir wirklich etwas zum Nachdenken gegeben!!!

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