Nicht Reihe 3, Platz 58 und 59: Monty Python`s SPAMALOT

Ich hasse Musicals und ich liebe Monty Pythons. Meine Sympathie für die englische Komikertruppe und ihren tiefgründigen, bitterbösen Humor und meine Antipathie für den Vortrag perfekten und formelhaften Liedgutes im Rahmen irgendwelcher inhaltsleeren Handlungen sind Teil meiner Sozialisation.

 Ich gebe es zu: Musical als Kunstform hat schon immer mehr zu bieten, als Andrew Lloyd Webber und seine verquasten Operetten für Uschi und Bernd, die auch mal ins Theater gehen wollten und dafür extra ein langes Wochenende in Hamburg verbracht haben, um Katzen beim kunstfertigen Jaulen zuzuhören. Und mir ist auch bewusst, dass die Pythons in den letzten fünfunddreißig Jahren nichts anderes gemacht haben, als ihr Oeuvre gewinnbringend auszuschlachten.

 Aber in den Achtzigern standen sich beide diametral gegenüber. Die Musicals von Andrew Lloyd Webber gewannen in Deutschland an Popularität und wurden Teil des schmalen Kulturkanons des kleinbürgerlichen Milieus, der aus einer Mitgliedschaft im Bertelsmann Buch Club, Sissi- und Winnetou- Filmen und dem Blauen Bock bestand. Kulturelle Angebote sollten niederschwellig, harmlos und eskapistisch sein. Viele Menschen hielten verkrampft an der Vorstellung fest, dass die Aufgabe der Kultur in der Reproduktion einer heilen Welt bestehen sollte. Das Leben meiner Eltern und ihrer Zeitgenossen schien die meiste Zeit von einer unheilvollen Sehnsucht nach einem gesellschaftslosen Paradies geprägt zu sein, in dem sie unberührt von den Problemen der Welt glücklich sein durften.

 Heute weiß ich, dass meine Eltern und viele ihre Altersgenossen diese Haltung von ihren Eltern geerbt haben. Ihre Eltern hatten ihnen die Last der Vergangenheit übertragen, die schwer auf ihren Schultern lastete. Und weil unsere Eltern deswegen ständig Kopfschmerzen hatten, vermieden sie jegliche Aufregung, die durch eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart hätte entstehen können.

 Aber ich wollte nicht wie meine Eltern sein und ihre Last weiter schleppen. Wie schon in anderen Beiträge beschrieben, hatte ich mir meine eigenen Wege gesucht. Sich einen zynischen Humor anzueignen, den ich wahlweise nutzte, um ihn wie ein Schild zu meinem Schutz vor mir her zu tragen oder ihn wie einen Speer in die Seite der Alten zu piksen, gehört zu meiner Abgrenzungsstrategie.

 Den Humor als Waffe einzusetzen, das hatten die Pythons in einem frühen Sketch schon ausgeschlachtet: Der tödlichste Witz, jeder der ihn hört, lacht sich tot. Der Sketch endete mit dem Einsatz des Witzes im zweiten Weltkrieg. Die Nazis wurden besiegt, weil sie Reihenweise vor Lachen tot umfielen. Das passte perfekt zu meiner Situation…

 In den Pythons fand ich die Großmeister, die mich lehrten, dass jeder Witz, der sich aufdrängte, wie ein Elfmeter war, ein Geschenk, das man einfach nur annehmen musste, in dem man den Ball vom Elfmeterpunkt in das Tor transportierte.

 Und nun sitze ich nach über dreißig Jahren, als ich das erste Mal im Fernsehen zu später Stunde (ich glaube, es war eine langatmige Silvesternacht) die wunderbare Welt der Schwerkraft gesehen habe, im Gießener Stadttheater neben meiner Frau, die ich unter anderem auch für ihren Humor liebe, der meinem nicht unähnlich ist und muss mir anschauen, wie „Ritter der Kokosnuss“ von den Pythons als Musical auf die Bühne gebracht wird. Ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Wehmut und leichte Panik, dass sich nicht nur die Pythons untreu geworden sind.

 Die Handlung beruht auf der Artussage. König Artus zieht durch sein Königreich, auf der Suche nach tapferen Männern, die mit ihm gemeinsam den heiligen Gral ausfindig machen sollen. Mehr muss man dazu nicht erzählen, denn so gut wie jeder kennt den Film und wer ihn nicht gesehen hat, hat zumindest vernommen, dass Ritter ohne Pferd so tun, als säßen sie auf einem Pferd, während ihre Knappen hinter ihnen herlaufen und zwei Kokosnusshälften aufeinanderschlagen, um das Galoppieren der Pferde zu imitieren. Wahrscheinlich kennt jeder auch die ziemlich grausame Szene in der Artus gegen den schwarzen Ritter kämpft, der vollkommen siegesgewiss den Kampf mit Artus aufnimmt und nach und nach seine Gliedmaßen verliert und zum Schluss ohne Arme und Beine sich mit König Artus auf ein Unentschieden einigen will.

 All das bringt man in Gießen auf die Bühne und verknüpft es mit heiterem Singsang, im üblichen Eric-Idle-Style, der Python, der wohl die Hits der Truppe zu verantworten hatte. Launige britische Musik, swingend und nicht unkompliziert, bitterböser Humor in gefälligen Melodien verpackt. Ab und zu schmettert eine attraktive Musicaldiva einen richtigen Musicalbrocken hinaus in die Welt und schon ist meine Panik verschwunden. Die Pythons sind sich treu geblieben und haben das Genre Musical geschickt durch den Kakao gezogen.

 Es fühlt sich fast wie eine Versöhnung mit meiner Vergangenheit an. Dazu noch das sympathische Bühnenpersonal, das selbst einen Riesenspaß bei der Erfüllung seiner Aufgabe hat. Als das Publikum am Ende frenetisch klatscht, grinse ich breit und denke mir, dass es ein guter Theaterabend war.

Nicht Reihe 3, Platz 58 und 59 – Lazarus

Das blöde Virus hat uns die halbe Theatersaison geklaut. Wir waren Anfang März das letzte Mal im Theater und in der neuen Saison werden die Stücke nachgeholt, die wir Abonnenten verpasst haben. Mal abgesehen von der etwas schrägen Kommunikation per E-Mail (äh? Was? Ich verstehe nix!) hat sich der Verwaltungsapparat unseres Lieblingstheaters gut um uns gekümmert. Auf Nachfrage hat man uns das Procedere erläutert und uns gleich Karten für Nachholtermine zur Verfügung gestellt.

Ein paar Tage vor der Aufführung habe ich eine Mail mit Anweisungen bekommen: “Unten sehen Sie den Bereich, in dem sie sich einen Platz aussuchen müssen.“ Ich schaue auf das Ende der Mail und es taucht ein grüner Balken auf. Darin in schwarzen Buchstaben: „links grün.“

Wie haben die Kenntnis von meiner politische Gesinnung erlangen können? Ich wollte noch in Theater nachschauen, ob es für die entgegengesetzte politische Überzeugung einen „rechts braun“- Abschnitt gab, habe es aber leider vergessen.

Wir nahmen im zugewiesenen Bereich Platz und begrüßten mit einem lauen Winken das Paar, das sonst direkt neben uns sitzt und nun zwei Plätze zwischen uns und ihnen lassen musste. Wir hatten mehr Platz und Beinfreiheit. Die Türen zum Innenraum blieben während der Vorstellung auf. Es kam frische Luft in die ansonsten muffige Bude, in der oft die Luft steht, als wäre der Innenraum seit der ersten Vorstellung im Jahr 1907 nicht gelüftet worden. Masken tragen während der gesamten Vorstellung, auf den Wein in der Pause zu verzichten, das sind schon harte Einschränkungen für den Bildungsbürger. Aber da wir auch sonst keine Jammerlappen sind, freuen wir uns einfach darauf, wieder am Kulturleben teilnehmen zu können. Denn das hat uns wirklich gefehlt.

Falls ich es noch nicht gesagt habe: Ich finde Musicals schrecklich. Ich wiederhole es gerne: Musicals sind eine Zumutung. Auch Lazarus, obwohl es von dem wahrscheinlich einzigen Außerirdischen handelt, der es jemals zum Rockstar gebracht hat, ist grauenvoll langweilig.

Das ich dieses Musical nicht mag,  liegt nicht an David Bowie und seinem Werk, das hier über zweieinhalb Stunden ausgebreitet wird und für das ich mich immer leise habe begeistern können.  David Bowie war ab den Siebzigern im Rock und Pop eine stilbildende Macht, die auch immer mehr Sensibilität und Intellektualität versprach, als all die anderen Pop- und Rockikonen der letzten vierzig Jahre.

Es liegt auch nicht an der Story, die sie um die Lieder herumgestrickt haben. Man liefert die Fortsetzung des Filmes, in dem Bowie in seiner ersten großen Filmrolle reüssierte: der Mann, der auf die Erde fiel. Er spielte einen Außerirdischen, der auf der Erde hängen bleibt, sich verliebt, seine Liebe wieder verliert, als reicher Unternehmer eine Rakete bauen will, die ihn zurück nach Hause bringt und dabei scheitert. Im Musical sitzt der Außerirdische in seiner Wohnung, kann nicht altern, kann nicht nach Hause, trauert seiner alten Liebe nach und vertreibt sich die Zeit, mit dem übermäßigen Genuss von Gin. Lazarus kann nicht sterben, er ist zur Wiederauferstehung verdammt. Das ist doch schon die wichtigste Botschaft des Musicals. Herr Bowie kann nicht sterben, er ist der ewige Außerirdische der Popkultur.

 Auch die dargebotene Leistung der Schauspieler ist nicht der Grund für mein Unbehagen. Manchmal ist es etwas verwirrend, wenn man bemerkt, dass die Schauspielerin in den Filmeinspielungen gar nicht mehr zum Ensemble gehört und durch eine andere Schauspielerin ersetzt wurde. Auch kann man nicht erwarten, dass irgendein Schauspieler den Gesang von Herrn Bowie perfekt imitieren kann. Es mag der Funke nicht überspringen. Auf der Bühne macht man Rambazamba aber unten im Zuschauerraum herrscht Stille. Rockmusik lebt nun mal von der Interaktion zwischen Band und Zuhörer. Deswegen kann die Leistung des Schauspielensembles schon mal nur solide wirken und mich nicht vom Hocker hauen.

Es liegt schon einmal gar nicht an der musikalischen Leistung der Band, die im Hintergrund agiert. Alle Stücke werden fehlerlos dargeboten, manche zu überraschenden Versionen arrangiert. Alles klingt gut, aber auch nicht einzigartig. Interpretationen auf Profiniveau, fast schon zu schön, um mit den schrillen Originalversionen mithalten zu können.  

Ja und auch das Bühnenbild ist wie immer fantastisch. Aber mit Filmeinspielungen irgendwie einen oben drauf setzen, wird von der Institution Theater einfach überstrapaziert.

Mein persönlicher und vollkommen subjektiver Geschmack mäkelt an diesem Stück herum, weil es als Musical daher kommt. Die Theater verkaufen sich unter Wert, wenn sie dieser albernen Mode folgen und mit Rock- oder Popsongs ganze Inszenierungen füllen. Das Theater lebt doch von der Kraft der Sprache, vom der Präsenz der Schauspieler und nicht von musikalischen Darbietungen, die vielleicht als Beiwerk einer Inszenierung dienen können. Ich hoffe, die Mode der inszenierten Rockkonzerte geht bald an uns vorbei und wir kehren wieder zu den Wurzeln des Schauspiels zurück.