





Letzte Woche Sonntag sollte sich zeigen, ob sie die Mühen der letzten 3 Monate gelohnt haben. Das Wochenende stand im Zeichen meines ersten Marathons. Am Freitag bin ich mit dem Zug in die Großstadt gefahren und habe mir in den Messehallen die Startnummer und meinen Starterbeutel abgeholt. Am Samstag hatte ich viel zu tun und hatte kaum die Möglichkeit an den Marathon zu denken. Spätnachmittags habe ich meine Laufklamotten, meine Gels und Riegel, meine Schuhe, Wechselklamotten, Handtuch bereit gelegt oder in den Starterbeutel gepackt. Ich habe mein Müsli für das Frühstück vorbereitet, den Wecker gestellt und mich pünktlich um halb elf ins Bett gelegt. Beim Einschlafen schien der Marathon nur eine Laune des Zufalls zu sein und am nächsten Tag zweiundvierzig Kilometer durch Frankfurt zu laufen war genauso weit weg wie eine Reise zum Mond. Falls der Zufall mich doch allerdings am nächsten Morgen zu einer Rakete brächte, käme ich mit Laufklamotten und einem Handtuch nicht bis zum Mond.
Die Zeitumstellung hat mir eine Stunde geschenkt. Relativ frisch und ausgeschlafen saß ich nach dem Aufwachen in Laufklamotten am Frühstückstisch. Ich habe ein Müsli mit viel Obst, ein Brötchen mit Honig gefuttert und einen heißen Kaffee getrunken.
Kurz nach Sieben habe ich das Haus verlassen. Meine Familie hat noch tief und fest geschlafen. Kurz nacht Acht hatte ich meinen Parkplatz im Parkhaus am Rebstockbad gefunden, bin zum Shuttlebus gelaufen und mit einer Handvoll anderer Marathonis zur Messehalle gefahren. Um viertel vor neun war ich fertig, hatte meinen Kleiderbeutel weggebracht und meine Startnummer mit Sicherheitsnadeln und Magneten an meinem Trikot befestigt. Ich hatte noch eine Stunde Zeit. Eine verdammt lange Stunde, die ich totschlagen musste. Ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, eine Stunde später am Start zu stehen und loszurennen. Die Messehalle hatte sich mit einer bunten Läuferschar gefüllt. Ich bin langsam durch die Gänge geschlendert und habe mindestens drei Runden durch die Marathonmall gedreht. Aus Langeweile habe ich mir eine Flasche Wasser gekauft, bin in die Festhalle, habe hinter den Tribünen rumgelungert und war mindestens dreimal auf dem Klo. Es war an der Zeit, sich warmzulaufen und zum Startplatz zu gehen. Der kürzeste Weg zum Start führte durch den Keller der Festhalle. Als ich aus den Katakomben ins Freie gelang, begrüßte mich eisige Kälte und ein beißender Wind. Am Himmel standen trübe Wolken und versperrten die Sicht ins Blau. Ich musste mich bewegen. Es gibt sechs Startbereiche beim Frankfurt Marathon. Beim Anmelden wird man nach der angestrebten Ergebnis gefragt und dann einem Starbereich zugeordnet. Ganz vorne starten die Profis und ganz hinten im letzten Bereich alle Menschen, die länger als vier Stunden brauchen wollen. Viertel vor zehn konnte man sich noch in aller Ruhe im Startbereich warmlaufen. Ganz langsam füllte sich der Startbereich mit Läufern. Anfangs standen noch mehr LäuferInnen vor den Dixieklos neben dem Startbereich. Zehn Minuten vor Start betraten die Paceläufer für 4:14 Stunden die Szene. Zwei erfahrene Läufer, die Arthur und Detlef hießen, und wie ein Uhrwerk ihr Pace halten sollten, um den Läufern auf der Strecke eine Orientierung zu geben. In deren Nähe habe ich mich kurz vor dem Start aufgehalten. Eine kleine Menschentraube hat sich rund um die beiden Herren gebildet. Um Zehn Uhr fiel der erste Startschuss, von dem man im letzten Startblock nichts mitbekommt und die Profis, die das Rennen nachher unter sich ausmachen, haben schon einmal einen riesigen Vorsprung vor dem Amateuren. Erst nach zehn Minuten bekommt man hinten mit, dass das Rennen begonnen hat, weil man auf einmal nach vorne rutscht. Nach ein paar Metern bleibt man schon wieder stehen bleiben. Alle fünf Minuten ging es man ein paar Meter nach vorne. Wieder hatte man ein Startblock auf die Strecke geschickt. In der ganzen Zeit spürte ich mehr Kälte als Aufregung. Ich beschäftigte mich mit zwei Fragen: Wie bleibe ich in der Nähe der Paceläufer und wann ziehe ich meine verdammte Jacke aus, die ich mir für 19,95 bei Decathlon gekauft habe nur, um mich beim Warten auf den Start warm zu halten? Der Mann mit dem Hammer (die schwarze Statue vor dem Messeturm) kam in meine Nähe und endlich konnte ich das Starttor sehen. Jetzt wurde es ernst. Es war gegen halb elf. Ich legte die Jacke ab und warf sie in Richtung der schwarzen Skulptur. Seltsamerweise glaubte ich, dass ich sie später wieder mitnehmen konnte. Als ich Nachmittags zurückkam hatte man alle Kleidungsstücke, die die Läufer im Startbereich von sich geworfen haben, entfernt.
Ich dachte, der Tross vor mir bewege sich, um endlich über die Startlinie zu laufen. Vorne am Starttor kaum sichtbar, sah man den Oberbürgermeister von Frankfurt, der in dicker Daunenjacke und Schal auf der Tribüne neben dem Sprecher stand, der die gegen den Wind gebeugten und frierenden Läufer noch zu Jubel- und Klatschspielchen animieren wollte. Warten kann so anstrengend sein, wenn man fror und nicht aufgeregt war. Nach endlos langen fünf Minuten endlich der Startschuss. Ich lief langsam los, stellte meine Uhr an und lief über die Startlinie.
Der erste Kilometer ist bei jedem Lauf eine zähe Angelegenheit. Man kommt nicht vom Fleck und tritt den Vorderleuten in die Haxen. Erst wenn sich das Läuferfeld auseinanderzieht und sich alles sortiert, nimmt ein Lauf Fahrt auf. Sich an den Paceläufern zu orientieren macht dann Sinn. In deren Windschatten kann man sich an sie dranhängen und seinen eigenen Rhythmus finden. Wie ich nachher gelernt habe, ist das GPS zwischen den Hochhausschluchten nicht sonderlich zuverlässig. Mein Uhr zeigte ständig eine Pace deutlich unter 6 Minuten pro Kilometer an. Wie sich später herausstellte, lief ich die ganze Zeit planmäßig um die 6 Minuten pro Kilometer. D.h. die Paceläufer haben wie ein Uhrwerk das anvisierte Tempo gehalten. Artur und Detlef liefen nicht nebeneinander, sondern in einer Entfernung von ein paar Metern hintereinander und ums sie herum lief ein Pulk ihrer Jünger. Artur war Anfangs schneller und Detlef hing etwas hinterher. Im Laufe des Rennens entpuppte sich Detlef als der zuverlässigere Läufer. Artur brach manchmal aus, lief langsamer, schneller, war mal weg und wieder da.
Ich hatte mir vor dem Lauf mir mehrere Ziele gesetzt. Das erste Ziel: die Schnitzeljagd durch die Innenstadt überleben. Wer sich den Streckenverlauf auf der Karte anschaut, sieht auf den ersten Neun Kilometer ein kleines Wirrwarr an mehrfarbigen Strichen, die sich überlappen. Gefühlt läuft man die ersten Kilometer immer an den gleichen Hochhäusern vorbei, über die gleichen Straßenzüge, quert mehrmals die gleichen windreiche Ecken, in denen man beinahe von der Straße geweht wird. Als Läufer kann man nicht viel falsch machen, aber man weiß nie, wo man sich gerade befindet. Nach neun Kilometern rennt man über eine künstliche Engstelle an einer Bühne vorbei und überquert den Opernplatz und danach weitet sich die Strecke und man verlässt endlich die Hochhauskulisse. Endgültig befreit fühlte ich mich, als wir über eine Brücke nach Sachsenhausen reinkamen und das breite Museumsufer überquerten. Bis dahin lief alles locker und geschmeidig. Ich befand mich immer ein paar Schritte vor den Paceläufern, konnte das Tempo problemlos Tempo und bis auf meine volle Blase, fühlte ich mich sehr gut. An den ersten Verpflegungsstellen drosselte ich mein Tempo und nahm immer zwei Becher Wasser und zwei Becher Isogetränke im leichten Trab zu mir. Hinter den Verpflegungsstellen versuchte ich immer ein Gel zu mir zu nehmen. Meine Paceläufer enteilten mir immer an der Verpflegungsstellen und ich musste echt Gas geben, um wieder zu ihnen aufzuschließen.
Hinter der Kennedyallee lichteten sich die Häuserzeilen und ein parkähnliches Gelände mit ausreichend Gebüschen säumte den Weg. Der Reihe nach verschwanden einige Läufer im Gebüsch, um sich zu erleichtern. Ich musste auch für Entlastung sorgen und rannte ins Gebüsch. Ohne den Ballast konnte ich schnell wieder zu den Pace-Läufern aufschließen. Die Großstadt lag hinter uns und in Niederrad und Goldstein, Vororte mit dörflichen Charakter, säumten viele Zuschauer die Strecke und zum Teil nutzten Sie den Marathon, um kleine Volksfeste neben der Strecke zu feiern. Ich habe einige Bierbänke und Pavillons gesehen und der eine oder andere Anwohner hatte seinen Grill aufgebaut. Der Himmel riss auf und die Sonne kam zum Vorschein. Sogar der Wind schien nachzulassen. Die Stimmung war perfekt und in Goldstein überschritten wir die Halbmarathon-Distanz. Während der nächsten vier Kilometer spürte ich die ersten Ermüdungserscheinungen. Wir überquerten die Schwanheimer Brücke und ich hielt noch gut mit Detlef mit (Artur war verschwunden und tauchte hinter der Brücke wieder hinter uns auf, um uns dann zu überholen). Die Gruppe um den Paceläufer war schon kleiner geworden. Einige Läufer waren wahrscheinlich enteilt und der eine oder andere hatte schon langsamer werden müssen. Ich schwitzte ohne Unterlass und freute mich auf die nächste Verpflegungsstation. Hinter Kilometer 25 erreichten wir Höchst. In Höchst läuft man eine zwei Kilometer lange Schleife. Wenn man in Höchst reinläuft sieht man die Läufer, die die Schleife hinter sich gelassen haben. Ich dachte, dass die Wende zurück in die Stadt kurz vor uns läge, aber die nächsten zwei Kilometer zogen sich unheimlich in die Länge. Bei Kilometer achtundzwanzig überquert man eine kleine Brücke. Ich hörte aus einem Lautsprecher einen Sprecher, der uns Mut zusprach. Wer jetzt hier vorbeikomme und die letzten vierzehn Kilometer mit ein sechser Pace liefe, wird knapp vier Stunden brauchen. Der Rückenwind trägt die Läufer in der Stadt zurück. Meine Beine sagten mir etwas anderes. Die nächsten vierzehn Kilometer werde ich die Sechserpace nicht aufrecht erhalten können. Die nächsten zwei Kilometer hielt ich noch gut durch, aber meine Paceläufer hatte ich schon verloren. Spätestens aber der Getränkestation hinter Kilometer dreißig machte ich mir ernsthaft Sorgen, ob ich die letzten zwölf Kilometer schaffe. Meine Beine wurden schwer. Ich traf zwar noch auf Läufer aus unserer Pacegruppe, die sich auch zurückfallen lassen haben. Allerdings enteilten sie mir nach und nach.
Ich war noch nie in meinem Leben so weit gelaufen und ich musste auf Notfallprogramm umschalten. Ab nun war die Pace und die Anzeige auf meiner Uhr vollkommen bedeutungslos (meine Uhr hatte von Anfang an falsche Daten gezeigt, bei Kilometer dreißig zeigte sie eine zurückgelegte Distanz von zweiunddreißig Kilometer an) Es war nun ganz alleine mein Rennen und meine Beine spielten keine Rolle mehr. Vorher lief alles automatisch. Jetzt lag alles an meinem Willen und wie ich mit meinen Kräften haushalten konnte. Ich nahm mir vor, nicht stehen zu bleiben oder zu gehen. Ich wollte ins Ziel laufen. Für viele Läufer ist das kein Unterschied. Für mich schon. Ich gehe nicht spazieren oder wandern. Ich laufe einen Marathon und spaziere keinen Marathon. Ich folge meinem eigenen Ehrenkodex. Ich blieb an jeder Getränkestation stehen und trank in aller Ruhe mein Wasser und mein Isogetränk. Außerdem deckte ich mich mit Gels ein, die es an jeder großen Verpflegungsstation gab. Pünktlich alle fünf Kilometer nahm ich mein Gel zu mir. Die nächsten vier Kilometer war ich gar nicht so langsam. Ich hielt mich im sechser-Pace-Bereich. In solchen Situationen hilft es, von Kilometer zu Kilometer zu denken. Jedes Kilometer-Schild ist ein Ziel und ein neuer Start. Ich hielt mich an mein Notfallprogramm und kam über die Mainzer Landstraße, eine lange Chaussee, in die Stadt zurück. Auf dem Weg dorthin standen vereinzelte Zuschauergruppen und erst jetzt habe ich realisiert, dass ich von fremden Menschen angefeuert werde. Andauernd rief irgendjemand meinen Namen verbunden mit Durchhalteparolen. Als mich bei einer Verpflegungsstation mir ein Helfer Wasser in die Hand drückte und mich mit Namen ansprach und mir mit voller Überzeugung sagte, dass es nur noch sieben Kilometer sei und ich es schaffen würde, flüsterte ich mit einem irren Grinsen: „Es sind nur noch sieben Kilometer“. Erst jetzt hatte ich verstanden, warum alle meinen Namen kannten: er steht ja gut lesbar auf meiner Startnummer, die ich mir mit Magneten und Sicherheitsnadeln auf den Bauch gepappt hatte.
Als ich weiterrannte schossen mir die Tränen in die Augen. Das hat mich dermaßen emotional bewegt, dass wildfremde Menschen mich ins Ziel tragen wollen. Ich musste mich echt zusammenreißen, um nicht zu heulen. Ab da nahm ich mir vor, jedem der mir zurief, mit einem Lächeln und Winken zu antworten. Wenn jemand ein Schild hochhielt auf dem Tap and Power up oder so ähnlich stand, habe ich draufgehauen und gelächelt. Es ist wirklich Wahnsinn, wie sehr sich die Begeisterung der Zuschauer auf den eigenen Willen überträgt. Jeder Anfeuerungsruf gibt einen kleinen Schub und man beschleunigt und drückt den Kopf nach oben, um zu lächeln. Ab Kilometer fünfunddreißig gerät man wieder in die Innenstadt und kommt an den gleichen Ecken vorbei wie bei Rennbeginn. Zwischen Kilometer siebenunddreißig und einundvierzig lebt man nur noch von Zurufen und dem Runterzählen der Kilometer. Meine Beine waren richtig schwer und haben geschmerzt. Ich war deutlich langsamer geworden. Bei Kilometer vierzig läuft man durch die Fressgasse über Kopfsteinpflaster. Meine Füße klebten am Pflaster fest. Es war die Hölle und der letzte Moment in dem ich noch zweifelte. Spätestens als ich auf die Mainzer Landstraße einbog, der letzten langen Gerade durch das Bankenviertel, wusste ich, dass ich heute ins Ziel komme. Ich wurde noch einmal langsamer, aber ich lief und ging nicht. Ab Kilometer einundvierzig sah ich das Starttor und wusste, dass ich dahinter in die Festhalle einläufen werde. Ich habe versucht, noch einmal Tempo zu machen. Vergebens, ich schlich auf das Starttor zu und musste immer wieder meine Emotionen zügeln. Es gingen mir so viele Dinge gingen durch den Kopf. Und wenn die Emotionen mich zu erdrücken drohten, sagte ich mir selbst, dass ich ein Schmerzensmann sei. Das hat mich wieder den Boden unter meinen sich unermüdliche bewegenden Füßen spüren lassen. Endlich hatte ich das Starttor erreicht und bog dahinter links ab. Ich erreichte die Festhalle und war vollkommen überwältigt. Irgendwie habe ich versucht, die Arme hochzureißen und zu jubeln. Ich bin einfach ins Ziel getrudelt und hinter die Ziellinie gefalle. Ich hatte es geschafft. Mein erster Marathon lag hinter mir. Vollkommen glücklich blieb ich hinter der Startlinie in einer Ecke stehen und nahm die Atmosphäre in mich auf. Hinter mir liefen zahlreiche Läufer ein und während ich sie beobachtete, schrieb mir meine Tochter und beglückwünschte mich. Sie hatte per Trackingapp meinen Lauf die ganze Zeit verfolgt und mich per Whatsapp angefeuert. Leider habe ich das nicht mitbekommen, weil meine Uhr die Nachrichten nicht anzeigt.
Meine Beine haben gebrannt. Alles andere fühlte sich ganz normal an. Ich hatte unermesslichen Hunger und Durst. Mein Kopf funktionierte schnell wieder. Ich bat eine fremde Frau, ein Foto von mir und dem Zielbereich zu machen, fotografierte noch eine Gruppe, die mich wiederum darum bat, ein Foto zu schießen und bewegte mich langsam vom Zielbereich weg. Wenn man den Innenraum der Festhalle verlässt, wird man von Helfern empfangen, die fragen, ob man sich gut fühlt. Ich musste nicht lange überlegen. Ich fühlte mich super, keine körperlichen Ausfälle, stabiler Kreislauf. Hinter der Festhalle bekommt man erstmal einen Plastiküberhang in die Hand gedrückt. Erst einmal wollte ich ihn nicht anziehen. Es war mir zu anstrengend, die Plastikschichten auseinander zu puhlen und ihn dann überzustreifen. Hinter der Festhalle bekommt seine Medaille und kann sich an verschiedenen Stationen etwas zu essen und trinken holen. Man steht also mit seinem allmählich auskühlenden und total verschwitzten Körper in der Kälte. Also doch überstreifen. Ich suchte in der Plastikfolie die richtige Öffnung für meinen Körper und irgendwie war ich nicht in der Lage, das Teil schnell überzuziehen. Kaum hatte ich es geschafft, hat mir eine freundliche Helferin meine Medaille in die Hand gedrückt und mich beglückwünscht. Ich habe mich brav bedankt und eigentlich schon weiter geschaut. Die Medaille ist wirklich schön und sogar richtig schwer, aber meinen Hunger und Durst konnte sie nicht stillen. Hinter der Medaillenausgabe gab es Bouillon, dicke fette Brühe aus der Gulaschkanone. Aus Eimern wurde die Brühe in Becher gefüllt. So lecker! Ich bin dann weiter zu den nächsten Ständen. Es gab Gebäck, Obst, Getränke, Riegel, ich habe mich überall bedient und jeden Schluck und Bissen ausgiebig genossen. Bis zu dem Augenblick als sich jemand neben mir übergeben hat. Als dann noch Bier ausgegeben wurde, hat es mir gereicht. Ich bin zurück in die Messehalle, habe meinen Kleiderbeutel gesucht und bin ins Erdgeschoss zum Duschen gegangen.
In einem riesigen Lagerraum hat man provisorische Umkleideräume geschaffen und mobile Duschen aufgebaut. Zwischen lauter schweißgetränkten nackten Männerkörpern habe ich meinen Körper aus dem Laufdress geschält. In der Duschkabine stand die Feuchtigkeit in der Luft. Mit einer Brause habe ich den Schweiß von meinem Körper heruntergespült, bin raus, habe mich schnell angezogen und bin weiter.
Kaum habe ich die Lagerhalle verlassen, sah ich ein Schild, dass mir den Weg zum Shuttlebus wies. Das Laufen fiel mir unendlich schwer. Es dauerte ewig bis ich an meinem Auto war. Ich fror und spürte, dass ich total ausgebrannt war.
Ich ließ mich mit dem Verkehr raus aus der Stadt spülen und fuhr bis zum Rasthof Wetterau. Ich brauchte einen Kaffee und noch etwas zu essen. Im Rasthof saß ich eine halbe Stunde lang, kaute eine Laugenstange mit Salami und Käse und trank einen großen Cappuccino. Was für ein erhebendes Gefühl, alles gegeben zu haben und sich mit einer Laugenstange und einem Cappuccino in einer abgerockten Raststätte an der A5 zu belohnen.
Als ich fertig war, kroch ich zu meinem Auto und stieg vorsichtig ein. Gleichzeitig parkte fuhr neben mir ein Auto in die Parklücke. Eine Frau stieg in Sportklamotten gekleidet und mit einer Medaille um den Hals aus ihrem Auto. Sie bewegte sich im Schneckentempo von ihrem Auto weg. In ihrem Gesicht sah man, dass ihr jede Bewegung weh tat. Ich lächelte sie aus meinem Auto an. Als sie mich gesehen hat, hat sie wahrscheinlich gedacht, dass ich sie belächle. Als sie meine Medaille auf dem Beifahrersitz wahrgenommen hat, hat sie zurück gelächelt und mir beinahe zugezwinkert. Wir Leidensmenschen bilden doch eine Leidensgemeinschaft.
Den Rest des Tages habe ich auf der Couch verbracht, alles in mich hineingestopft, was ich finden konnte, alle Süßigkeiten, die Zuhause rumlagen, vertilgt und Literweise Wasser und Saft getrunken. Trotzdem habe ich mich gefühlt, als bekäme ich einen grippalen Infekt mit Fieber. Das war es wert! Die ganze Schinderei, drei Monate Training waren nicht umsonst. Die perfekte Organisation des Marathons, die vielen Helfer, Mitläufer, das Publikum, die Strecke, die Stadt Frankfurt hat es alles zu einem wunderbaren Erlebnis gemacht und auch wenn ich mir andauernd verspreche, mich nicht noch einmal so zu schinden. wird es mich nächstes oder übernächstes Jahr wieder zum Marathon ziehen.

















