Frankfurt Marathon 26.10.2025 – 42,195 KM

Letzte Woche Sonntag sollte sich zeigen, ob sie die Mühen der letzten 3 Monate gelohnt haben. Das Wochenende stand im Zeichen meines ersten Marathons. Am Freitag bin ich mit dem Zug in die Großstadt gefahren und habe mir in den Messehallen die Startnummer und meinen Starterbeutel abgeholt. Am Samstag hatte ich viel zu tun und hatte kaum die Möglichkeit an den Marathon zu denken. Spätnachmittags habe ich meine Laufklamotten, meine Gels und Riegel, meine Schuhe, Wechselklamotten, Handtuch bereit gelegt oder in den Starterbeutel gepackt. Ich habe mein Müsli für das Frühstück vorbereitet, den Wecker gestellt und mich pünktlich um halb elf ins Bett gelegt. Beim Einschlafen schien der Marathon nur eine Laune des Zufalls zu sein und am nächsten Tag zweiundvierzig Kilometer durch Frankfurt zu laufen war genauso weit weg wie eine Reise zum Mond. Falls der Zufall mich doch allerdings am nächsten Morgen zu einer Rakete brächte, käme ich mit Laufklamotten und einem Handtuch nicht bis zum Mond.

Die Zeitumstellung hat mir eine Stunde geschenkt. Relativ frisch und ausgeschlafen saß ich nach dem Aufwachen in Laufklamotten am Frühstückstisch. Ich habe ein Müsli mit viel Obst, ein Brötchen mit Honig gefuttert und einen heißen Kaffee getrunken.

Kurz nach Sieben habe ich das Haus verlassen. Meine Familie hat noch tief und fest geschlafen. Kurz nacht Acht hatte ich meinen Parkplatz im Parkhaus am Rebstockbad gefunden, bin zum Shuttlebus gelaufen und mit einer Handvoll anderer Marathonis zur Messehalle gefahren. Um viertel vor neun war ich fertig, hatte meinen Kleiderbeutel weggebracht und meine Startnummer mit Sicherheitsnadeln und Magneten an meinem Trikot befestigt. Ich hatte noch eine Stunde Zeit. Eine verdammt lange Stunde, die ich totschlagen musste. Ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, eine Stunde später am Start zu stehen und loszurennen. Die Messehalle hatte sich mit einer bunten Läuferschar gefüllt. Ich bin langsam durch die Gänge geschlendert und habe mindestens drei Runden durch die Marathonmall gedreht. Aus Langeweile habe ich mir eine Flasche Wasser gekauft, bin in die Festhalle, habe hinter den Tribünen rumgelungert und war mindestens dreimal auf dem Klo. Es war an der Zeit, sich warmzulaufen und zum Startplatz zu gehen. Der kürzeste Weg zum Start führte durch den Keller der Festhalle. Als ich aus den Katakomben ins Freie gelang, begrüßte mich eisige Kälte und ein beißender Wind. Am Himmel standen trübe Wolken und versperrten die Sicht ins Blau. Ich musste mich bewegen. Es gibt sechs Startbereiche beim Frankfurt Marathon. Beim Anmelden wird man nach der angestrebten Ergebnis gefragt und dann einem Starbereich zugeordnet. Ganz vorne starten die Profis und ganz hinten im letzten Bereich alle Menschen, die länger als vier Stunden brauchen wollen. Viertel vor zehn konnte man sich noch in aller Ruhe im Startbereich warmlaufen. Ganz langsam füllte sich der Startbereich mit Läufern. Anfangs standen noch mehr LäuferInnen vor den Dixieklos neben dem Startbereich. Zehn Minuten vor Start betraten die Paceläufer für 4:14 Stunden die Szene. Zwei erfahrene Läufer, die Arthur und Detlef hießen, und wie ein Uhrwerk ihr Pace halten sollten, um den Läufern auf der Strecke eine Orientierung zu geben. In deren Nähe habe ich mich kurz vor dem Start aufgehalten. Eine kleine Menschentraube hat sich rund um die beiden Herren gebildet. Um Zehn Uhr fiel der erste Startschuss, von dem man im letzten Startblock nichts mitbekommt und die Profis, die das Rennen nachher unter sich ausmachen, haben schon einmal einen riesigen Vorsprung vor dem Amateuren. Erst nach zehn Minuten bekommt man hinten mit, dass das Rennen begonnen hat, weil man auf einmal nach vorne rutscht. Nach ein paar Metern bleibt man schon wieder stehen bleiben. Alle fünf Minuten ging es man ein paar Meter nach vorne. Wieder hatte man ein Startblock auf die Strecke geschickt. In der ganzen Zeit spürte ich mehr Kälte als Aufregung. Ich beschäftigte mich mit zwei Fragen: Wie bleibe ich in der Nähe der Paceläufer und wann ziehe ich meine verdammte Jacke aus, die ich mir für 19,95 bei Decathlon gekauft habe nur, um mich beim Warten auf den Start warm zu halten? Der Mann mit dem Hammer (die schwarze Statue vor dem Messeturm) kam in meine Nähe und endlich konnte ich das Starttor sehen. Jetzt wurde es ernst. Es war gegen halb elf. Ich legte die Jacke ab und warf sie in Richtung der schwarzen Skulptur. Seltsamerweise glaubte ich, dass ich sie später wieder mitnehmen konnte. Als ich Nachmittags zurückkam hatte man alle Kleidungsstücke, die die Läufer im Startbereich von sich geworfen haben, entfernt.

Ich dachte, der Tross vor mir bewege sich, um endlich über die Startlinie zu laufen. Vorne am Starttor kaum sichtbar, sah man den Oberbürgermeister von Frankfurt, der in dicker Daunenjacke und Schal auf der Tribüne neben dem Sprecher stand, der die gegen den Wind gebeugten und frierenden Läufer noch zu Jubel- und Klatschspielchen animieren wollte. Warten kann so anstrengend sein, wenn man fror und nicht aufgeregt war. Nach endlos langen fünf Minuten endlich der Startschuss. Ich lief langsam los, stellte meine Uhr an und lief über die Startlinie.

Der erste Kilometer ist bei jedem Lauf eine zähe Angelegenheit. Man kommt nicht vom Fleck und tritt den Vorderleuten in die Haxen. Erst wenn sich das Läuferfeld auseinanderzieht und sich alles sortiert, nimmt ein Lauf Fahrt auf. Sich an den Paceläufern zu orientieren macht dann Sinn. In deren Windschatten kann man sich an sie dranhängen und seinen eigenen Rhythmus finden. Wie ich nachher gelernt habe, ist das GPS zwischen den Hochhausschluchten nicht sonderlich zuverlässig. Mein Uhr zeigte ständig eine Pace deutlich unter 6 Minuten pro Kilometer an. Wie sich später herausstellte, lief ich die ganze Zeit planmäßig um die 6 Minuten pro Kilometer. D.h. die Paceläufer haben wie ein Uhrwerk das anvisierte Tempo gehalten. Artur und Detlef liefen nicht nebeneinander, sondern in einer Entfernung von ein paar Metern hintereinander und ums sie herum lief ein Pulk ihrer Jünger. Artur war Anfangs schneller und Detlef hing etwas hinterher. Im Laufe des Rennens entpuppte sich Detlef als der zuverlässigere Läufer. Artur brach manchmal aus, lief langsamer, schneller, war mal weg und wieder da.

Ich hatte mir vor dem Lauf mir mehrere Ziele gesetzt. Das erste Ziel: die Schnitzeljagd durch die Innenstadt überleben. Wer sich den Streckenverlauf auf der Karte anschaut, sieht auf den ersten Neun Kilometer ein kleines Wirrwarr an mehrfarbigen Strichen, die sich überlappen. Gefühlt läuft man die ersten Kilometer immer an den gleichen Hochhäusern vorbei, über die gleichen Straßenzüge, quert mehrmals die gleichen windreiche Ecken, in denen man beinahe von der Straße geweht wird. Als Läufer kann man nicht viel falsch machen, aber man weiß nie, wo man sich gerade befindet. Nach neun Kilometern rennt man über eine künstliche Engstelle an einer Bühne vorbei und überquert den Opernplatz und danach weitet sich die Strecke und man verlässt endlich die Hochhauskulisse. Endgültig befreit fühlte ich mich, als wir über eine Brücke nach Sachsenhausen reinkamen und das breite Museumsufer überquerten. Bis dahin lief alles locker und geschmeidig. Ich befand mich immer ein paar Schritte vor den Paceläufern, konnte das Tempo problemlos Tempo und bis auf meine volle Blase, fühlte ich mich sehr gut. An den ersten Verpflegungsstellen drosselte ich mein Tempo und nahm immer zwei Becher Wasser und zwei Becher Isogetränke im leichten Trab zu mir. Hinter den Verpflegungsstellen versuchte ich immer ein Gel zu mir zu nehmen. Meine Paceläufer enteilten mir immer an der Verpflegungsstellen und ich musste echt Gas geben, um wieder zu ihnen aufzuschließen.

Hinter der Kennedyallee lichteten sich die Häuserzeilen und ein parkähnliches Gelände mit ausreichend Gebüschen säumte den Weg. Der Reihe nach verschwanden einige Läufer im Gebüsch, um sich zu erleichtern. Ich musste auch für Entlastung sorgen und rannte ins Gebüsch. Ohne den Ballast konnte ich schnell wieder zu den Pace-Läufern aufschließen. Die Großstadt lag hinter uns und in Niederrad und Goldstein, Vororte mit dörflichen Charakter, säumten viele Zuschauer die Strecke und zum Teil nutzten Sie den Marathon, um kleine Volksfeste neben der Strecke zu feiern. Ich habe einige Bierbänke und Pavillons gesehen und der eine oder andere Anwohner hatte seinen Grill aufgebaut. Der Himmel riss auf und die Sonne kam zum Vorschein. Sogar der Wind schien nachzulassen. Die Stimmung war perfekt und in Goldstein überschritten wir die Halbmarathon-Distanz. Während der nächsten vier Kilometer spürte ich die ersten Ermüdungserscheinungen. Wir überquerten die Schwanheimer Brücke und ich hielt noch gut mit Detlef mit (Artur war verschwunden und tauchte hinter der Brücke wieder hinter uns auf, um uns dann zu überholen). Die Gruppe um den Paceläufer war schon kleiner geworden. Einige Läufer waren wahrscheinlich enteilt und der eine oder andere hatte schon langsamer werden müssen. Ich schwitzte ohne Unterlass und freute mich auf die nächste Verpflegungsstation. Hinter Kilometer 25 erreichten wir Höchst. In Höchst läuft man eine zwei Kilometer lange Schleife. Wenn man in Höchst reinläuft sieht man die Läufer, die die Schleife hinter sich gelassen haben. Ich dachte, dass die Wende zurück in die Stadt kurz vor uns läge, aber die nächsten zwei Kilometer zogen sich unheimlich in die Länge. Bei Kilometer achtundzwanzig überquert man eine kleine Brücke. Ich hörte aus einem Lautsprecher einen Sprecher, der uns Mut zusprach. Wer jetzt hier vorbeikomme und die letzten vierzehn Kilometer mit ein sechser Pace liefe, wird knapp vier Stunden brauchen. Der Rückenwind trägt die Läufer in der Stadt zurück. Meine Beine sagten mir etwas anderes. Die nächsten vierzehn Kilometer werde ich die Sechserpace nicht aufrecht erhalten können. Die nächsten zwei Kilometer hielt ich noch gut durch, aber meine Paceläufer hatte ich schon verloren. Spätestens aber der Getränkestation hinter Kilometer dreißig machte ich mir ernsthaft Sorgen, ob ich die letzten zwölf Kilometer schaffe. Meine Beine wurden schwer. Ich traf zwar noch auf Läufer aus unserer Pacegruppe, die sich auch zurückfallen lassen haben. Allerdings enteilten sie mir nach und nach.

Ich war noch nie in meinem Leben so weit gelaufen und ich musste auf Notfallprogramm umschalten. Ab nun war die Pace und die Anzeige auf meiner Uhr vollkommen bedeutungslos (meine Uhr hatte von Anfang an falsche Daten gezeigt, bei Kilometer dreißig zeigte sie eine zurückgelegte Distanz von zweiunddreißig Kilometer an) Es war nun ganz alleine mein Rennen und meine Beine spielten keine Rolle mehr. Vorher lief alles automatisch. Jetzt lag alles an meinem Willen und wie ich mit meinen Kräften haushalten konnte. Ich nahm mir vor, nicht stehen zu bleiben oder zu gehen. Ich wollte ins Ziel laufen. Für viele Läufer ist das kein Unterschied. Für mich schon. Ich gehe nicht spazieren oder wandern. Ich laufe einen Marathon und spaziere keinen Marathon. Ich folge meinem eigenen Ehrenkodex. Ich blieb an jeder Getränkestation stehen und trank in aller Ruhe mein Wasser und mein Isogetränk. Außerdem deckte ich mich mit Gels ein, die es an jeder großen Verpflegungsstation gab. Pünktlich alle fünf Kilometer nahm ich mein Gel zu mir. Die nächsten vier Kilometer war ich gar nicht so langsam. Ich hielt mich im sechser-Pace-Bereich. In solchen Situationen hilft es, von Kilometer zu Kilometer zu denken. Jedes Kilometer-Schild ist ein Ziel und ein neuer Start. Ich hielt mich an mein Notfallprogramm und kam über die Mainzer Landstraße, eine lange Chaussee, in die Stadt zurück. Auf dem Weg dorthin standen vereinzelte Zuschauergruppen und erst jetzt habe ich realisiert, dass ich von fremden Menschen angefeuert werde. Andauernd rief irgendjemand meinen Namen verbunden mit Durchhalteparolen. Als mich bei einer Verpflegungsstation mir ein Helfer Wasser in die Hand drückte und mich mit Namen ansprach und mir mit voller Überzeugung sagte, dass es nur noch sieben Kilometer sei und ich es schaffen würde, flüsterte ich mit einem irren Grinsen: „Es sind nur noch sieben Kilometer“. Erst jetzt hatte ich verstanden, warum alle meinen Namen kannten: er steht ja gut lesbar auf meiner Startnummer, die ich mir mit Magneten und Sicherheitsnadeln auf den Bauch gepappt hatte.

Als ich weiterrannte schossen mir die Tränen in die Augen. Das hat mich dermaßen emotional bewegt, dass wildfremde Menschen mich ins Ziel tragen wollen. Ich musste mich echt zusammenreißen, um nicht zu heulen. Ab da nahm ich mir vor, jedem der mir zurief, mit einem Lächeln und Winken zu antworten. Wenn jemand ein Schild hochhielt auf dem Tap and Power up oder so ähnlich stand, habe ich draufgehauen und gelächelt. Es ist wirklich Wahnsinn, wie sehr sich die Begeisterung der Zuschauer auf den eigenen Willen überträgt. Jeder Anfeuerungsruf gibt einen kleinen Schub und man beschleunigt und drückt den Kopf nach oben, um zu lächeln. Ab Kilometer fünfunddreißig gerät man wieder in die Innenstadt und kommt an den gleichen Ecken vorbei wie bei Rennbeginn. Zwischen Kilometer siebenunddreißig und einundvierzig lebt man nur noch von Zurufen und dem Runterzählen der Kilometer. Meine Beine waren richtig schwer und haben geschmerzt. Ich war deutlich langsamer geworden. Bei Kilometer vierzig läuft man durch die Fressgasse über Kopfsteinpflaster. Meine Füße klebten am Pflaster fest. Es war die Hölle und der letzte Moment in dem ich noch zweifelte. Spätestens als ich auf die Mainzer Landstraße einbog, der letzten langen Gerade durch das Bankenviertel, wusste ich, dass ich heute ins Ziel komme. Ich wurde noch einmal langsamer, aber ich lief und ging nicht. Ab Kilometer einundvierzig sah ich das Starttor und wusste, dass ich dahinter in die Festhalle einläufen werde. Ich habe versucht, noch einmal Tempo zu machen. Vergebens, ich schlich auf das Starttor zu und musste immer wieder meine Emotionen zügeln. Es gingen mir so viele Dinge gingen durch den Kopf. Und wenn die Emotionen mich zu erdrücken drohten, sagte ich mir selbst, dass ich ein Schmerzensmann sei. Das hat mich wieder den Boden unter meinen sich unermüdliche bewegenden Füßen spüren lassen. Endlich hatte ich das Starttor erreicht und bog dahinter links ab. Ich erreichte die Festhalle und war vollkommen überwältigt. Irgendwie habe ich versucht, die Arme hochzureißen und zu jubeln. Ich bin einfach ins Ziel getrudelt und hinter die Ziellinie gefalle. Ich hatte es geschafft. Mein erster Marathon lag hinter mir. Vollkommen glücklich blieb ich hinter der Startlinie in einer Ecke stehen und nahm die Atmosphäre in mich auf. Hinter mir liefen zahlreiche Läufer ein und während ich sie beobachtete, schrieb mir meine Tochter und beglückwünschte mich. Sie hatte per Trackingapp meinen Lauf die ganze Zeit verfolgt und mich per Whatsapp angefeuert. Leider habe ich das nicht mitbekommen, weil meine Uhr die Nachrichten nicht anzeigt.

Meine Beine haben gebrannt. Alles andere fühlte sich ganz normal an. Ich hatte unermesslichen Hunger und Durst. Mein Kopf funktionierte schnell wieder. Ich bat eine fremde Frau, ein Foto von mir und dem Zielbereich zu machen, fotografierte noch eine Gruppe, die mich wiederum darum bat, ein Foto zu schießen und bewegte mich langsam vom Zielbereich weg. Wenn man den Innenraum der Festhalle verlässt, wird man von Helfern empfangen, die fragen, ob man sich gut fühlt. Ich musste nicht lange überlegen. Ich fühlte mich super, keine körperlichen Ausfälle, stabiler Kreislauf. Hinter der Festhalle bekommt man erstmal einen Plastiküberhang in die Hand gedrückt. Erst einmal wollte ich ihn nicht anziehen. Es war mir zu anstrengend, die Plastikschichten auseinander zu puhlen und ihn dann überzustreifen. Hinter der Festhalle bekommt seine Medaille und kann sich an verschiedenen Stationen etwas zu essen und trinken holen. Man steht also mit seinem allmählich auskühlenden und total verschwitzten Körper in der Kälte. Also doch überstreifen. Ich suchte in der Plastikfolie die richtige Öffnung für meinen Körper und irgendwie war ich nicht in der Lage, das Teil schnell überzuziehen. Kaum hatte ich es geschafft, hat mir eine freundliche Helferin meine Medaille in die Hand gedrückt und mich beglückwünscht. Ich habe mich brav bedankt und eigentlich schon weiter geschaut. Die Medaille ist wirklich schön und sogar richtig schwer, aber meinen Hunger und Durst konnte sie nicht stillen. Hinter der Medaillenausgabe gab es Bouillon, dicke fette Brühe aus der Gulaschkanone. Aus Eimern wurde die Brühe in Becher gefüllt. So lecker! Ich bin dann weiter zu den nächsten Ständen. Es gab Gebäck, Obst, Getränke, Riegel, ich habe mich überall bedient und jeden Schluck und Bissen ausgiebig genossen. Bis zu dem Augenblick als sich jemand neben mir übergeben hat. Als dann noch Bier ausgegeben wurde, hat es mir gereicht. Ich bin zurück in die Messehalle, habe meinen Kleiderbeutel gesucht und bin ins Erdgeschoss zum Duschen gegangen.

In einem riesigen Lagerraum hat man provisorische Umkleideräume geschaffen und mobile Duschen aufgebaut. Zwischen lauter schweißgetränkten nackten Männerkörpern habe ich meinen Körper aus dem Laufdress geschält. In der Duschkabine stand die Feuchtigkeit in der Luft. Mit einer Brause habe ich den Schweiß von meinem Körper heruntergespült, bin raus, habe mich schnell angezogen und bin weiter.

Kaum habe ich die Lagerhalle verlassen, sah ich ein Schild, dass mir den Weg zum Shuttlebus wies. Das Laufen fiel mir unendlich schwer. Es dauerte ewig bis ich an meinem Auto war. Ich fror und spürte, dass ich total ausgebrannt war.

Ich ließ mich mit dem Verkehr raus aus der Stadt spülen und fuhr bis zum Rasthof Wetterau. Ich brauchte einen Kaffee und noch etwas zu essen. Im Rasthof saß ich eine halbe Stunde lang, kaute eine Laugenstange mit Salami und Käse und trank einen großen Cappuccino. Was für ein erhebendes Gefühl, alles gegeben zu haben und sich mit einer Laugenstange und einem Cappuccino in einer abgerockten Raststätte an der A5 zu belohnen.

Als ich fertig war, kroch ich zu meinem Auto und stieg vorsichtig ein. Gleichzeitig parkte fuhr neben mir ein Auto in die Parklücke. Eine Frau stieg in Sportklamotten gekleidet und mit einer Medaille um den Hals aus ihrem Auto. Sie bewegte sich im Schneckentempo von ihrem Auto weg. In ihrem Gesicht sah man, dass ihr jede Bewegung weh tat. Ich lächelte sie aus meinem Auto an. Als sie mich gesehen hat, hat sie wahrscheinlich gedacht, dass ich sie belächle. Als sie meine Medaille auf dem Beifahrersitz wahrgenommen hat, hat sie zurück gelächelt und mir beinahe zugezwinkert. Wir Leidensmenschen bilden doch eine Leidensgemeinschaft.

Den Rest des Tages habe ich auf der Couch verbracht, alles in mich hineingestopft, was ich finden konnte, alle Süßigkeiten, die Zuhause rumlagen, vertilgt und Literweise Wasser und Saft getrunken. Trotzdem habe ich mich gefühlt, als bekäme ich einen grippalen Infekt mit Fieber. Das war es wert! Die ganze Schinderei, drei Monate Training waren nicht umsonst. Die perfekte Organisation des Marathons, die vielen Helfer, Mitläufer, das Publikum, die Strecke, die Stadt Frankfurt hat es alles zu einem wunderbaren Erlebnis gemacht und auch wenn ich mir andauernd verspreche, mich nicht noch einmal so zu schinden. wird es mich nächstes oder übernächstes Jahr wieder zum Marathon ziehen.

Marathon-Vorbereitung 9. Woche – 25,16 km

Bis Mittwoch hatte ich mich geschont. Meine Knieschmerzen haben nachgelassen. Am Mittwoch bin fünf Kilometer gelaufen und habe danach etwas Yoga gemacht (die sieben Kostbarkeiten der Shaolin…ach Quatsch die acht Bewegungen der Wirbelsäule…dieser Fernostkram macht mich ganz narrisch) und mein Krafttraining absolviert. Schon bei den Kniebeugen habe ich gespürt, dass sich an meinem schmerzenden Knie sich etwas bewegt. Es hat geknackt und gejuckt. Auf einer Treppenstufe mache ich so Sachen wie Knieheber, um die Muskeln am Fuß und Knie zu stärken und nach dem Training waren die Schmerzen verschwunden. Am nächsten Tag saß ich auf der Arbeit. Dort habe ich die unangenehme Angewohnheit beim Sitzen die Beine längere Zeit zu verdrehen. Das ist meine höchstpersönliche Art mit Stress umzugehen. Aber nicht gut für meine Knie, denn plötzlich waren die Schmerzen wieder da. Am Freitag bin ich vierzig Minuten gelaufen und habe danach wieder Krafttraining gemacht. Das Resultat war das Gleiche wie am Mittwoch. Heute hatte ich mein letztes Intervalltraining: 3 mal 4 KM in jeweils 22.40 Minuten. Vom Tempo her gar kein Problem. Habe ich gut und entspannt hinbekommen. Das Wetter war klasse, ruhiges und trockenes Herbstwetter. Ich bin auf meiner Stammstrecke im Bodenfeld gelaufen. Ich hatte wieder mal, um der Lauflangeweile entgegen zu wirken, Kopfhörer in den Ohren. Ich habe mir ein Interview mit Page Hamilton reingezogen. Hamilton ist der Leadsänger und Gitarrist von Helmet, einer Alternative- Hardcoreband, die in den Neunzigern recht erfolgreich war. Page Hamilton ist ein total interessanter Typ. Ich war total überrascht, dass er Jazz-Gitarre studiert hat und sogar eine Zeitlang in Deutschland studiert hat. Allerdings sind seitdem Intervalltraining die Knieschmerzen wieder etwas mehr zu spüren. Ich gehe davon aus, dass ich nächste Woche in Frankfurt laufen kann. Ich muss mich aber strikt an meine Laufstrategie halten und die erste Hälfte langsam laufen (Pace 6 Minuten bis 6.15) Wenn ich dauerhaft schneller laufe, kann es sein, dass mein Knie die 42 Kilometer nicht schmerzfrei überlebt und ich vielleicht bei der Belastung an der Strecke scheitere. Von Anfang an war klar, dass es nur ums Schaffen der Strecke geht, nicht um irgendwelche Zeiten. Ansonsten habe ich die Woche über wenig geschlafen. Der Stress auf der Arbeit nach meinem Urlaub hat mich wach gehalten. Ist schon immer komisch, dass man sich den Urlaub verdienen muss, indem man sich vor und nach dem Urlaub richtig knechtet. Wehe irgendeiner CDU-Politiker kommt mir um die Ecke und erzählt mir etwas von: die Deutschen müssen mehr arbeiten…ich habe auf jeden Fall manchmal das Gefühl, die eine Milliarde unbezahlter Überstunden, die die Deutschen vor sich her schieben, lasten auch auf meinen Schultern. Natürlich könnte man jetzt fragen, warum machst du auch so ein Laufquatsch? Naja, ich war auf jeden Fall noch nie so gesund und fit. Davon profitiert ja auch meine Arbeit, oder? Die Work-Life-Balance ist ja keine Einbahnstraße, auch wenn das so manche Helden der Wirtschaft und Politik glauben. Man misstraut gerne den Angestellten dieser Republik und unterstellt ihnen, dass sie nur arbeiten gehen, um die Arbeitgeber zu schädigen. Es kann ja nicht sein, dass man Gehalt bekommt und dann auch noch ein Privatleben hat. Ich freue mich auf den nächsten Freitag, wenn ich mir die Freiheit nehme und nicht arbeiten gehe, um mir Nachmittags in Frankfurt meine Startnummer abzuholen.

Marathon-Vorbereitung 8. Woche – 21,05 km

Vollgepumpt mit meiner Euphorie über meine Leistung in der vorletzten Woche habe ich nicht gemerkt, das sich unterhalb meiner linken Kniescheibe ein Schmerz eingenistet hat. Montags bin ich noch davon ausgegangen, dass der anstrengende Halbmarathon in meinen Knochen und Muskeln seine Spuren hinterlassen hat und ich einfach nur ein oder zwei Tage regenerieren muss. Dienstags war ich wieder fit, doch der Schmerz blieb. Ich hatte keine Schwellung, nichts gerötet, auch war das Knie nicht warm. Also habe ich Kyttasalbe draufgeschmiert und gedacht, es wird besser. Dienstags hätte ich schon wieder laufen sollen. Das habe ich erst einmal sein lassen. Ab Mittwoch hatte ich das Bein immer wieder hochgelegt und die Stelle gekühlt. Das half ein wenig, hat aber nicht dazu geführt, dass der Schmerz abklingt. Donnerstag hatte ich die Schnauze voll und bin einfach losgelaufen. Beim Laufen habe ich den Schmerz nicht gespürt. Ich konnte ohne Probleme meinen fünf-Kilometer-Lauf abreißen. Bis heute hat sich der Schmerz gehalten. Etwas weniger stark und ausgeprägt wie am Anfang, aber immer mal wieder präsent, insbesondere wenn ich lange gesessen habe und dann aufstehen musste. Mein linkes Bein fühlt sich dann für einen Moment steif an und ich muss langsam hochgehen. Am Samstag bin ich fünf Kilometer und heute 10 Kilometer gelaufen. Heute bin ich mit meiner jüngsten Tochter gelaufen, die mit ihren 14 Jahren schon recht flott unterwegs sein kann und es hat beim Laufen wieder nicht weh getan. Auf der Strecke habe ich mich mit einer Autofahrerin angelegt, weil sie auf einer Forst- und landwirtschaftlichen Weg, den auch Anlieger mit ihren Autos nutzen dürfen, hinter uns hergefahren ist und gehupt hat. Wir sollten gefälligst auf die Seite gehen. Der Weg ist breit genug für Autos und zwei Läufer. Ich hasse diese motorisierten Machtdemonstrationen. Die meisten Autofahrer, echte Anlieger, fahren dann in Schrittgeschwindigkeit an uns vorbei. Ich bin einfach weiter vor ihr gelaufen. Dann ist sie neben uns gefahren, hat die Fensterscheibe runtergefahren und mich angebrüllt. Ich habe zurück gebrüllt. Ist ja klar, dass dann kein Dialog möglich ist. Ich bin einfach weitergerannt, mitten auf der Straße und sie ist wieder neben mich gefahren, hat mich wieder angebrüllt und ich habe Widerworte gegeben. Dann hat sie es zum Glück aufgegeben, hat Gas gegeben und ist mit ihrem 3er BMW davongerast. Aus lauter Wut bin ich die nächsten zwei Kilometer gerannt und meine Tochter ist hinterhergehechelt. Irgendwann hat sie mir dann zu verstehen gegeben, dass ich jetzt mal gefälligst langsamer laufen soll. Ich geriere mich manchmal als Wutbürger und merke gar nicht, dass ich mich absolut kindisch verhalte. Wenn ich alleine bin, ist das meine Sache und ich muss das aushalten. Aber meine Tochter reinzuziehen ist echt mehr als ungehörig und dumm. Warum bin ich nicht einfach zur Seite gegangen als die Frau gehupt hat und bin somit dem Ärger aus dem Weg gegangen bzw. Wir sind dann einen Kilometer langsamer gelaufen und den letzten Kilometer hat meine Tochter das Tempo von sich aus angezogen.

Nachmittags habe ich meine große Tochter getroffen, die Sporttherapeutin ist und habe sie gefragt, was ich denn da am Knie haben könnte. In den letzten Tagen habe ich von Bekannten verschiedenen Versionen gehört, über Schleimbeutelentzündung und Blockade des ISG-Gelenks war alles dabei. Meine Tochter sagte nur, dass sie jetzt ihr Taschen-MRT nicht dabei habe, aber vermutet, dass ich ein Problem mit dem Innenband habe. Ich soll mich schonen, am besten gar nicht laufen. Wir waren uns einig, dass es nur eine Reizung ist und das dauert ein- bis Zwei Wochen, wenn ich Glück habe, bis der Schmerz abklingt. Sie hat mich eindringlich davor gewarnt, weiter zu trainieren und mir nahegelegt, den Marathon abzusagen, wenn der Schmerz nicht verschwindet. Ich soll weiter Krafttraining machen und Yogaübungen, aber nicht laufen. Oh je, das wird schlimm. Es wäre eine Katastrophe, wenn ich den Marathon absagen muss und mir am Ende beim Training auch noch eine unangenehme Verletzung zugezogen habe, die schlimme Folgeschäden nach sich ziehen könnten.

Marathon-Vorbereitung 7. Woche – 46,37 km

Nur noch drei Wochen bis zum Marathon in Frankfurt. Diese Woche war vollgepackt mit Terminen. Am Montag bin ich um acht Uhr morgens aus dem Haus und um acht Uhr abends nach Hause gekommen. Am Dienstag habe ich bis 18.30 Uhr ohne richtige Pause durchgearbeitet. Stress, Erschöpfung und Müdigkeit sind dann vorprogrammiert. Dazu noch der Herbst mit seinen Regen- und Windattacken und die frühe Dunkelheit am Abend. Ich hatte erwartet, dass mir das vom Trainingsplan vorgegebene etwas geringere Laufpensum meinen Terminen entgegenkommt und ich dann nicht völlig durchhänge. Hat nur teilweise geklappt.

Den dreißig-Kilometer-Lauf am vergangenen Sonntag hatte ich gut weggesteckt und ich war vorsichtig optimistisch als ich Dienstag losgelaufen bin. Ich habe ganz gut mitgehalten aber richtig Freude kam keine auf. Am Donnerstag bin ich viel zu spät losgelaufen. Da es mein letzter Arbeitstag vor dem Urlaub war, musste ich meinen Schreibtisch leer bekommen und so konnte ich erst gegen 18.45 Uhr die Arbeit verlassen. Also bin ich gegen 19.15 in die Dunkelheit gelaufen. Auch wenn ich die Strecke sehr gut kenne, musste ich oft mein Tempo reduzieren, um nicht daneben zu treten. Meine Stirnlampe hatte ich zu Hause nicht gefunden. Hätte ich doch vorher mal ausgiebig gesucht, denn ohne Stirnlampe geht es zu dieser Jahreszeit nicht mehr. Außerdem war ich fürchterlich müde. Ich bin in unserer Straße auf unser Haus zugelaufen und konnte das warme Licht in unserem Wohnzimmer in der Dunkelheit sehen. Also bin ich vor unserem Haus stehengeblieben und habe das Training drei Minuten zu früh beendet.

Zum Training gehört Disziplin und Beharrungsvermögen und ich bin manchmal fürchterlich akribisch und verbohrt, wenn es um Vorgaben geht. Man könnte mich auch als Laufbeamten bezeichnen. Wenn im Trainingsplan 60 Minuten steht, laufe ich 60 Minuten. 59 Minuten und 59 Sekunden sind schon zu wenig. Wie soll das ganze den funktionieren, wenn sich niemand an die Regeln hält? Man sieht ja jeden Tag wo das hinführt, dass sich alle nicht mehr an die Regeln halten….okay, ich war einfach müde und wollte nach Hause.

Am Samstag hatte ich endlich genug Zeit, meine Stirnlampe zu suchen und durfte mich bei einem entspannten 30minütigen Dauerlauf entspannen. Problem: es sollte ein Steigerungslauf werden. Also langsam anfangen und jeden Kilometer etwas schneller laufen. Ging ganz gut, da ich mich einfach ein wenig geschont habe und mich nur leicht gesteigert habe. Die große Herausforderung stand noch am Sonntag an: einen Halbmarathon mit einer Pace von 5:13 laufen. Wie bitte? Meine PB (PERSÖNLICHE BESTZEIT!!!!)liegt bei knapp unter 2 Stunden mit einer Pace von 5:42. Das ist doch ein Druckfehler. Die Trainingsplanautoren wollen mich zerstören. Ich habe tagelang überlegt, wie ich da drangehe. Ohne eine Pacevorgabe zu laufen, hätte mir keinen Motivationsschub verschafft. Aber 5:13 auf der Garmin einzustellen und dann nachher bei eine 5:35 zu landen, wäre auch niederschmetternd. Also habe ich einen Trainingslauf mit Halbmarathon Distanz und einer Pace zwischen 5:25 und 5:35 eingestellt. Auf meiner Uhr sehe ich dann die Durchschnittspace und kann mich gut orientieren. Das hat bisher besser funktioniert, als sich die aktuelle Pace anzeigen zu lassen und dann kein Gefühl für das Endergebnis zu haben. Wenn ich zu schnell laufe, sehe ich das sofort auf meiner Uhr und kann meine Geschwindigkeit drosseln, lauf ich zu langsam, muss ich Gas geben.

Da ich mit meiner Familie noch einen kleinen Ausflug machen wollte, musste ich mich etwas beeilen und musste halb elf loslaufen. Natürlich hat es richtig geregnet. Aber wie wir schon gelernt haben, darf uns das nicht abhalten. Nach drei oder vier Kilometer hat der Regen aufgehört und ich bin auch den Rest der Strecke im Trockenen gelaufen. Ich bin wie letzte Woche schön an der Dill entlanggetrabt. Nach sechs Kilometer habe ich mir das erste Gel und ein paar Schluck Isogetränk gegönnt. Normalerweise habe ich das erste Gel nach acht Kilometern aufgemacht. Bei einem Lauf am Limit muss ich früher nachtanken. Die Kunst besteht ja bei solchen Läufen darin, am Limit und nicht darüber zu laufen. Das habe ich die ersten zwölf Kilometer gut hinbekommen. Dann habe ich noch mal ein Gel und Iso getankt und war davon ausgegangen, das meine Leistung bald nachlässt. Das Gegenteil ist geschehen: ich wurde schneller. Bei zwölf Kilometer hatte ich eine Pace von 5:27 und bei siebzehn Kilometer 5:25. Da habe ich nachgerechnet und festgestellt, das wenn ich die Pace halte, ich meine Bestzeit um vier Minuten schlage. What the fuck!! Ich habe mehrfach nachgerechnet und gedacht und gerechnet und bin nicht langsamer geworden. Ich habe die Pace ins Ziel gerettet und meine PB um vier Minuten geschlagen. Für so alte Leute wie mich, die das also Hobby betreiben ist das quasi gar unmöglich….alles passt….Training passt….Laufstrategie passt…..ich bin wirklich in den sieben Wochen deutlich besser und schneller geworden….Das erzeugt Zufriedenheit und lässt mich die nächsten drei Wochen etwas gelassener angehen.

Reihe 3, Platz 58 und 59: Wintergreen for President von George und Ira Gershwin

Es war der letzte schöne Sommerabend des Jahres. Viele Menschen strömen in die Gießener Innenstadt um ein letztes Mal draußen zu sitzen und die sommerliche Stimmung zu genießen. Wir strömten abgehetzt und genervt in das Gießener Stadttheater. Meine Frau erfüllte ihre Abonnentenpflicht, denn sie hasst Musicals. Ich hätte auch lieber bei einem guten Glas Wein und einem guten Essen meiner Frau tief in ihre blauen Augen geblickt und ihr romantische Floskeln ins Ohr gehaucht, die sie nach fast zwanzig Jahren Beziehung nicht mehr hören kann. Ich bin auch kein Musicalfreund, allerdings mag ich die Musik von Gershwin und ich hatte der Presse entnommen, dass das Stück kurzweilig ist. Für mich ein kleiner Trost, für meine Frau völlig bedeutungslos.

Worum geht es? Ein kruder Kreis aus Geschäftsmännern, Politiker und anderen Gestalten suchen sich einen unbedarften Trottel aus, den sie zu dem Präsidenten der USA machen wollen. Es gibt weder eine Partei, noch ein richtiges Programm. Das Motto der Wahl ist die Liebe, weil damit können alle etwas anfangen. Der Präsidentschaftskandidat soll öffentlichkeitswirksam mit einer Schönheitskönigin verheiratet werden. Der spielt aber nicht mit und verliebt sich in eine Sekretärin, die er anstatt der Schönheitskönigin heiratet. Der Trottel wird gewählt und zieht ins weiße Haus ein. Der Erfolg und die Freude ist nicht von langer Dauer, weil die Schönheitskönigin auf ihr Recht besteht und First Lady werden will. Weil sie französische Vorfahren hat, tritt der französische Botschafter auf den Plan und stellt unverschämte Forderungen. Nach viel und her und der Geburt zweier Karotten, die sich die First Lady nach einer Turboschwangerschaft aus dem Unterleib presst, legt der Präsident seinen Amt freiwillig nieder, um wieder der unbedarfte und unscheinbare Trottel zu werden, der er schon immer war.

Um die Auswahl des Stückes zu rechtfertigen hat man den Text immer wieder mit aktuellen Hinweisen auf die aktuelle Präsidentschaft des tumben Trottels Trump garniert, der leider nicht die Liebe, sondern den Hass als Programm hat. Natürlich fällt es leicht den Bezug zur Gegenwart zu finden, denn auch Trump scheint das Projekt eines Kreises von Leuten zu sein, die von Machtgier getrieben sind. Aber da hören schon meines Erachtens die Gemeinsamkeiten auf. Es gibt keinen Anflug von Faschismus und Autokratie in dem Stück, dass man liebevoll als Farce bezeichnen darf. Es setzt sich nicht damit auseinander, wie Politik funktioniert, sondern verhöhnt nur eine bestimmte Gattung an Politiker, die wohl Anfang der dreißiger Jahre in den USA sich auf Vorteilsnahme, einen ausschweifenden Lebensstil und Korruption spezialisiert hatten und das in einer Zeit, in der das amerikanische Volk unter der großen Depression litt.

Gershwin Musik ist farbenfroh, flott und lebendig und treibt das Stück in seinem Tempo voran. Inhaltlich kann es nicht viel bieten, außer das sich lustig machen über eine politische Kaste. Wahrscheinlich war es für die Zuschauer damals eine befreiender Akt, die Menschen auszulachen von denen sie regiert werden. Außer witziger Revuenummern und ausgefuchster Musikarrangements ist in der Gegenwart nichts mehr vom ursprünglichen Zweck übriggeblieben.

Natürlich kann man dieses Stück in Gießen auf die Bühne bringen. Das Stück wurde wie immer liebevoll inszeniert, mit großartigem Ensemble, stimmigen Bühnenbild und einem fabelhaften Orchester. Aber man sollte es nicht zu sehr als Kommentar zur aktuellen politischen Situation in den USA verstehen, sondern eher als allgemeine Satire auf den Politikbetrieb. Ich hatte meinen Spaß, weil die Songs überragend gut klangen und die Schauspieler alles gegeben haben. Das Gesicht meiner Frau verdunkelte sie während der Vorstellung zusehends und immer wenn eine Szene ihr zu lange dauerte, flüsterte sie leise, dass sie Musicals hasse.

Marathon-Vorbereitung 6. Woche – 63,09 km

Ich hätte am Anfang der Woche nicht geglaubt, dass ich mich am Ende der Woche nicht nur gut fühle, sondern auch optimistisch in die Zukunft blicken kann.

Okay auf dem Bild von heute, dass ich in der Pause meines Longruns gemacht habe, schaue ich eher kritisch in die Kameralinse. Das mag vielleicht daran liegen, dass ich meinen Pausenplatz ziemlich hässlich fand, weil man dort eine Fläche wieder mal unnötig versiegelt hat und schon bei den eher frühherbstlichen Temperaturen zu spüren war, wie sich der Platz aufheizt, weil es dort keinerlei Schatten gibt.

Letzten Sonntag habe ich mich noch an den unzähligen Instagrampostings vieler Läufer, die am Berlin Marathon am letzten Sonntag teilgenommen haben, geweidet und manchmal ein emotionales Tränchen verdrückt. Da war es Berlin sommerlich warm und hier hat es schon aus Eimern geschüttet. Die Woche über hat es viel geregnet und ich bin am Dienstag und Donnerstag in der Dämmerung im Regen gelaufen. Ich laufe nicht gerne im Regen (wer macht das schon), aber ich habe es mir schön geredet, in dem ich es als eine besondere Form der Vorbereitung auf den Frankfurt Marathon betrachtet habe. Schließlich gab es Jahre, in denen es in Frankfurt Ende Oktober so heftig und ausdauernd geregnet hatte, dass man den Marathon bei niedrigen Temperaturen im Dauerregen absolvieren musste. Ich glaube, junge Leute nennen so etwas positive Affirmation. Hat bei mir geklappt. Ich war am Ende sogar froh 12 Kilometer im Regen gelaufen zu sein.

Mein Marathonplan sah vor, dass ich eigentlich gestern meinen Longrun ableiste und heute einen 10 Kilometerlauf. Aus terminlichen Gründen musste ich die Reihenfolge ändern. Gestern hatte meine jüngste Tochter und mein jüngster Sohn ihren Handballspieltag und ich war mit meiner Familie den ganzen Tag in der Halle. Die Zeit reichte nur, um gegen kurz vor sechs die 10 Kilometer zu laufen und anschließend Krafttraining zu machen. Wettermäßig eine kluge Entscheidung, denn heute hat den ganzen Tag die Sonne geschienen und bei angenehmen Temperaturen, habe ich heute mal die Dillstrecke ausprobiert. Dort hat man in den letzten Jahren tolle Radwege gebaut und so eine Strecke geschaffen, die von Wetzlar ohne Unterbrechung nach Dillenburg führt. Größtenteils liegt die Strecke entweder an der Dill oder an der Bahnstrecke. Man kann den Blick über die grüne Flussebene schweifen lassen und hört neben sich die Dill plätschern.

Bei so langen Strecken reicht das allerdings nicht aus, um eine mentale Abwechslung zum monotonen Bewegungsablauf zu schaffen. Der gleichbleibenden Rhythmus von Arm- und Beinbewegung und dem synchronen Atmen kann einen nach zwei Stunden echt fertig machen. Man fühlt sich entweder wie eine Maschine oder läuft sich in eine meditative Ekstase. Beides finde ich seltsam und manchmal schrecke ich beim Laufen hoch und denke, dass ich mich in einer Simulation befinde. Also hatte ich mich entschlossen, mich beim Laufen mit einem Podcast abzulenken. Musik mit seinem eigenen Metrum hätte mich vielleicht negativ beeinflusst und meinen Laufrhythmus gestört. Manche Läufer basteln sich ja Playlisten mit Musik, die sich an ihrem Rhythmus orientieren und hören dann immer die gleiche Playlist. Also unterstreichen sie die Monotonie noch einmal mit Musik. Es gibt allerdings kaum Podcasts, die drei Stunden dauern. Ich hatte mir „Alles gesagt“ von der Zeit ausgesucht. Ein sieben Stunden langes Interview mit Wim Wenders sollte wohl ausreichen, um mich beim Laufen zu begleiten. Das Konzept des Podcasts finde ich herausragend. Zwei Journalisten der Zeit reden mit Prominenten über ihr Leben und es gibt keine Zeitvorgabe. Das Gespräch endet, wenn die Gäste ein vorher besprochenes Signalwort benutzen. Daher gibt es Sendungen, die nur zwei Stunden dauern, aber auch welche, die acht Stunden dauern. Und wer jetzt Herr Wenders kennt, weiß dass er ein besonnener und langsamer Redner ist, der mit seinen achtzig Jahren viel zu erzählen hat. Er ist nicht nur einer der besten Filmregisseure, sondern auch ein leidenschaftlicher und humorvoller Erzähler und ich höre ihm gerne zu. So gingen dann die drei Stunden und dreißig Kilometer schnell vorüber. In dieser Woche habe ich gespürt, dass das Training seine Wirkung nach und nach entfaltet. Ich komme mit den Belastungen besser klar und auch nach dem Longrun fühle ich mich körperlich gut und nicht ausgelaugt.

Marathon-Vorbereitung 5. Woche – 37,82 km

Fünf Wochen sind vergangen, fünf Wochen liegen noch vor mir. Und um das Bergfest angemessen zu feiern, habe ich meine PB (persönliche Bestzeit) auf der Zehn-Kilometer-Strecke um ein paar Sekunden verbessert und das im strömenden Regen. Ein versöhnlicher Abschluss für eine wechselhafte und launische Woche. Ich habe zweimal spät abends nach der Arbeit in der Dunkelheit laufen müssen. Ich bin immer zu spät nach Hause gekommen und habe zu Hause alles stehen und liegen gelassen, um einmal 60 Minuten und einmal 70 Minuten zu Laufen. Mental hat das bei mir Spuren hinterlassen und gerade am Donnerstag, nach ungefähr vier Kilometer, wäre ich am liebsten einfach stehen geblieben und nach Hause gegangen. Ich weiß nicht, wie ich mich immer wieder motivieren kann. Gerade jetzt, wo es abends früher dunkel wird, ich viel zu spät nach Hause komme und mein Leben neben dem Laufen auch organisieren muss. Natürlich sage ich mir immer wieder, dass ich ein Ziel habe und nach dem 26.10. wieder zu meinem alten Laufpensum zurückkehre. Wahrscheinlich bin ich von Natur aus einfach zu stoisch und zu engstirnig, wenn es um persönliche Ziele geht. Habe ich mich einmal von einem Plan überzeugt, bleibe ich dabei. Wahrscheinlich keine schlechte Eigenschaft, wenn man Marathon laufen möchte. Am Freitag und Samstag war dann der körperliche Tiefpunkt erreicht. Erschöpft von der Woche, vielen Termine und den Wetterschwankungen, hat sich eine Erkältung angekündigt. Meine Nase lief und ich war schlapp. Am Samstag Nachmittag, der angeblich letzte Sommertag des Jahres, sollte ich vierzig Minuten laufen und dabei das Lauftempo steigern. Das lief sehr gut und danach war mein Schnupfen verschwunden. Heute Morgen hat es angefangen zu regnen. Ich war nach dem guten Lauf am Samstag wieder motiviert und hatte mir vorgenommen, auch im Regen zu laufen. Ein gute Übung für den 26.10. Denn Ende Oktober kann das Wetter durchaus eklig sein, kalt, regnerisch und das den ganzen Tag über. Im Trainingsplan war ein 10-Kilometer-Lauf vorgesehen (Zeitempfehlung: 51 Minuten). Das war klar, schaffe ich nicht. Ist auch nicht schlimm. Mittags war ich mit meinen Kindern bei MC-Donalds und der Hamburger mit Zwiebeln sprach die ersten drei Kilometer mit mir. Seitenstechen und mehrere Rülpser führten dazu, dass ich entscheidende Sekunden auf der Strecke liegen lassen musste. Und trotzdem bin ich PB gelaufen!!!! Schon ab Kilometer acht habe ich es in den Zehenspitzen gefühlt: eine PB liegt in der feuchten Luft. Zum ersten mal mit 47.51 Minuten bin ich bei acht Kilometern unter 48 Minuten geblieben. Ich bin drangeblieben und am Ende verkündete meine Garmin meinen Rekord!! Auf dem letzten Kilometer lief mir ein anderer Läufer hinterher und als ich fertig war mit meinen zehn Kilometer, lief er an mir vorbei und rief mir zu, das ich ihn jetzt noch einmal richtig motiviert hätte, weil ich so schnell unterwegs war….als er weg war, habe ich einen ziemlichen Männerjubel von mir gegeben. Ein echt geiler durchnässter Abschluss für dieses Bergfest.

Marathon-Vorbereitung 4. Woche – 59,26 km

Die letzte Woche hat mir alles abverlangt. Ein Test für mein Beharrungsvermögen und meine mentale Stärke, mit zweifelhaftem Ergebnis. Montag und Dienstag habe ich gefastet, weil ich für eine medizinische Untersuchung einen leeren Magendarmtrakt vorweisen musste. Erst Dienstag Nachmittag nach der Untersuchung durfte ich wieder etwas essen. Abends stand ein 60 Minuten-Dauerlauf an. Auch wenn ich mittlerweile wieder Nahrung zu mir genommen hatte, fiel mir das Laufen die ersten Kilometer sehr schwer. Aber ich habe tapfer durchgehalten, musste allerdings auf mein Krafttraining verzichten. Mittwoch und Donnerstag war vollgepackt mit Terminen. Donnerstag hatte ich einen Termin nach dem anderen und bin erst um 19.30 Uhr zu Hause gewesen. Es dämmerte am Horizont, als ich gegen kurz vor acht los lief. 70 Minuten Dauerlauf war vorgeschrieben und ich habe mich echt gewundert, dass ich recht flott vorangekommen bin. Da meine übliche Strecke abseits der Stadt liegt, bin ich ein Großteil der Strecke in der Dunkelheit gelaufen. Ich habe zwar eine Stirnlampe, aber wie man das halt eben so macht, die lässt man im Schrank liegen und läuft lieber in der Finsternis. Mit dem Ergebnis, dass ich immer langsamer wurde, weil ich den Untergrund und die Unebenheiten kaum erkannt habe. Es war fast halb zehn, als ich zu Hause ankam, etwas essen und mich ausruhen konnte. Donnerstag auf Freitag habe ich super geschlafen und war einigermaßen ausgeruht. Freitag Abend war ich unterwegs, soziale Pflichten, Vereinsarbeit oder wie man das auch immer bezeichnen will. Erst halb zwölf war ich im Bett und habe mich die ganze Nacht rumgewälzt. Samstags Haushalt machen, Tochter beim Handball zusehen und dann sechzig Minuten Laufen. Mein Kopf war schwer, mental war ich am Boden, müde, schlaff und völlig desillusioniert habe ich am frühen Abend meine sechzig Minuten runtergerissen. Wenigstens habe ich noch mein Krafttraining machen können. Todmüde bin ich ins Bett gefallen und nach neuneinhalb Stunden aufgestanden. Frühstück, ein paar Dinge für die Woche vorbereiten und dann 27 Kilometer Longrun. Hätte ich mich nicht ausschlafen können, wäre ich nicht gelaufen. Aber das Wetter war gut, nicht zu warm, nicht zu kalt, ein Mischmasch aus Sonne und Wolken. Ich war vollkommen locker in den Beinen und so bin ich viel zu schnell losgerollt, um dann ab 19 Kilometer immer langsamer zu werden und zum Schluss die 3 Kilometer wie ein Trampeltier über den Asphalt zu poltern. Ich werde es nie lernen: langsam loslaufen, Kraft einteilen. Meine Garmin hatte noch einen Geisterkilometer gezaubert und lt. der Uhr habe ich für Kilometer 28 nur 3 Sekunden gebraucht. Sehr beeindruckend mein letzter Kilometer. Beim Marathon wäre ich nicht mehr ordentlich ins Ziel gekommen. Im Geiste habe ich meine Erwartungen an meine Marathonzeit um eine halbe Stunde heruntergeschraubt: 4.30 Stunden klingt nach dem Longrun sehr verlockend und realistisch. Es sind noch sechs Wochen und trotz der Zeit, die ich investiert habe, kann ich mir nicht vorstellen, das Ziel n der Festhalle zu erreichen. Ist das die richtige Einstellung? Mein ganzes Leben ist an den Rand gedrängt worden, nur weil ich mir in den Kopf gesetzt habe, einen Marathon zu laufen. Samstags habe ich noch Magazin Royale geschaut und Böhmermann hat sich über Marathonläufer lustig gemacht. Er wirft LäuferInnen vor, dass sie reinen Eskapismus betreiben und vor den Problemen dieser Welt wegrennen. Das tat weh! Als eingefleischter Böhmermannfan und angehender Marathonmann kann ich so etwas kaum ertragen. Ich bin Läufer, lese immer noch die Nachrichten und beschäftige mich mit Politik usw. Aber irgendwie hat er schon ein bisschen recht…wer läuft hat kein Leben mehr und beschäftigt sich mit nichts anderem als dem Laufen….so fühle ich es zumindest im Moment.

Marathon-Vorbereitung 3. Woche – 39,53 km

Jede Woche in der Marathonvorbereitung stellt mich vor neue Herausforderungen. Diese Woche musste ich einige Termine mit meinem Lauf-Plan koordinieren. Montags eine ganztägige Veranstaltung, Donnerstag ein Elternabend in der Schule, bedeutete für mich am Dienstag und Mittwoch, zwei Tage hintereinander Abends nach der Arbeit zu laufen. Dienstags Intervall (3 x 1000 Meter in unter fünf Minuten mit 4 Minuten Pause) und Krafttraining, Mittwochs Dauerlauf 70 Minuten. Das Intervalltraining konnte ich gut stemmen und das Krafttraining hat mich auch nicht aus der Fassung gebracht. Am Mittwoch ist es mir schwer gefallen, loszulaufen und in meinen Rhythmus zu kommen. Meine Beine haben sich von Anfang an wie Betonklötze angefühlt. Wenn meine Füße den Boden berührt haben, habe ich meinen ganzen Körper gespürt. Ich bin nicht gerollt, sondern gerumpelt. Es hatte lange gedauert aber igendwann hatte ich mich dann doch eingegroovt . Am nächste Tag hatte ich Pause und die war dringend nötig gewesen. Denn am Freitag wollte ich beim Brückenlauf in Wetzlar eine gute Figur machen. Seit ein paar Jahren laufe ich dort für meinen Arbeitgeber mit. Es gibt Teams mit 3 Läufern. Die Teams müssen innerhalb einer Stunde möglichst viele Runden durch die Altstadt laufen. Eine Runde ist ca. 2 Kilometer lang. Für jede Runde wird Geld gespendet. Ich versuche immer als Startläufer zu laufen, um meine 2 Runden zu laufen. Es geht im Stadion los und man läuft ein Stück über die Tartanbahn, raus aus dem Stadion Richtung Altstadt. Durch die Altstadt zu laufen ist gar nicht so unspektakulär, da es Richtung Dom richtig steil wird und man bergab über Kopfsteinpflaster rennt. Danach hetzt man durch einen Park und kommt wieder zurück ins Stadion und vor der großen Tribüne sucht man den nächsten Läufer, dem man den Staffelstab überreicht. Es war angenehm warmes Wetter und viel Sonne am Himmel, daher war die Stadt voll mit Publikum. Es geht schon ein Schauer über den Rücken, wenn man völlig außer Atem auf dem Eisenmarkt ankommt und von den Leuten am Wegesrand angefeuert wird. Nur so kommt man den Berg hoch. Die erste Runde war bei mir nicht so gut. Die zweite Runde war wesentlich besser. Aber eigentlich geht es nicht um die individuelle Leistung, sondern um das Miteinander und die gute Stimmung und natürlich den guten Zweck. Um 21 Uhr war ich zu Hause und mir haben schon die Beine geschmerzt. Der Samstag war anstrengend, ich hatte schlecht geschlafen, viel Hausarbeit und Erledigungen lagen vor mir, die ich nicht aufschieben konnte und trotzdem habe ich es am Abend geschafft, noch einmal vierzig Minuten zu laufen. Danach wurde es etwas ruhiger und am Sonntag sollte ich zehn Kilometer in 52 Minuten laufen. Eine Aufgabe, an der ich scheitern musste. Ich bin noch nie 10 Kilometer in 52 Minuten gelaufen. Mein Rekord liegt bei knapp über 53 Minuten. Also habe ich mir eine möglichst flache und gerade Strecke ausgesucht. In Giessen beginnt am Schwimmbad in der Ringallee der Stadtpark und eine Strecke die fast geradeaus in die Wieseckau am Segelflugplatz vorbeiführt. Ich bin einigermaßen gut weggekommen und ca. 7 Kilometer bin ich unter der geforderten Pace geblieben. Für die letzten 3 Kilometer hat mir die Kraft gefehlt und ich bin bei 53.55 hängengeblieben. Eine gute Zeit und ein schöner Lauf. Wie man auf den Fotos oben sehen kann, ist die Strecke auch etwas fürs Auge und deswegen hatte ich sie ausgewählt. Nach der Woche konnte ich nicht zehn Kilometer an irgendeiner Bundesstraße und durch Industriegebiete laufen. Das hätte mich wahnsinnig deprimiert. Danach habe ich mir beim meinem Lieblingskafeeladen einen Frozen Capuccino mit Sahne und einem Schokokeks besorgt. Ich saß, hatte Zeit und genoss den Rückblick auf eine gute Woche.

Marathon-Vorbereitung 2. Woche 54 Kilometer

Wer sich heute zum Marathon-Man aufschwingen will, braucht irgendeine schicke Uhr, die jeden Lauf zuverlässig aufzeichnet. Orte, Tempo, Dauer, Herzschlag usw. Meine Garmin hat einige Sensoren und wenn ich wollte, könnte ich mit ihr sogar meine Schrittlänge aufzeichnen. Garmin hat den Ruf unerbittlich zu sein. Es kann einem passieren, dass man 25 Kilometer in absoluter Bestzeit gelaufen ist und die Uhr den Rekord grimmig mit unproduktiv bewertet. Die Uhr ist mit der Adidas-Running-App verknüpft und so kann ich den schwarzen Bandwurm verfolgen, den ich mit meinen gezählten und dokumentierten Schritten in die Landkarte zeichne.

Die zweite Woche liegt hinter mir. Im Moment bekomme ich die erhöhte Anzahl an Läufen und das zusätzliche Krafttraining ganz gut in meinen Alltag unter. Ich muss manchmal auf andere Tätigkeiten verzichten und ein wenig Aktivitäten-Crossing betreiben. Gestern hatte mein Sohn ein Fußballspiel in der Nähe. Ich habe ihn zum Sportplatz gebracht und bin an die Lahn gelaufen, um 12 Kilometer Dauerlauf in 70 Minuten hinter mich zu bringen. Ich kam zur zweiten Halbzeit wieder und konnte meinen Sohn zujubeln und wieder heimbringen. Eine Gewöhnungssache und nichts Neues für mich. Es gibt zum Glück Komoot. In der kostenlosen App-Version kann man Laufstrecken in der Umgebung suchen und meistens wird man fündig.

Ich bin übrigens ein Asphaltjunkie, der es am liebsten hat, wenn der Weg vor ihm sich wie ein schwarzes Band unter seinen Füßen abspult. Dafür braucht man die richtigen Schuhe und den richtigen Laufstil. Ich hoffe, ich habe beides. Bis jetzt bin ich ohne Verletzungen ausgekommen. Ich spüre unter meinen Fußsohlen die Unebenheiten und es macht mich manchmal kirre. Zum Beispiel bin ich heute zur Badenburg gelaufen. Der Weg dorthin führt durch eine alte Ferienhaussiedlung. Der Asphalt sah aus wie hingeschissen. Alle halbe Meter hat jemand den Asphalt ausgebessert und dann noch einmal ausgebessert und nochmal ausgebessert. Tausende Teerfladen, an deren Kanten meine Füße sich verkanten. Musste ich durch. Aber das sind die kleinen Dinge, die mich aus dem Rhythmus bringen.

Die Herausforderung in dieser Woche lag darin, Samstags 12 Km zu laufen und Sonntags 24 km. Darum geht es: seinen Körper an die höheren Belastungen gewöhnen. Es hat funktioniert. Ich mache mir weniger Gedanken um meinen Körper, als um meinen Kopf. Bei so langen Strecken habe ich die Befürchtung, mein Gehirn könnte von einer gedanklichen Ödnis überfallen werden. Aber das wäre dann ja auch ein wenig Meditation, oder? Meine Beine schmerzen auf jeden Fall kaum und bis auf den hohlen Hunger und das Verlangen nach viel Zucker fühle ich mich sehr gut.